Provozierende These
Überzeugter Glaube garantiert eine tolerante Gesellschaft
«Wie passt ein exklusiver Glaube mit einer pluralistischen Gesellschaft zusammen?» Dieser spannenden Frage widmete sich der bekannte Prof. Miroslav Volf am zweiten Studientag des «Studienzentrums für Glaube und Gesellschaft» an der Universität Freiburg (CH) - mit einem überraschenden Ergebnis.
Zwei Sackgassen
«Wir finden in der heutigen Welt zwei Ansätze, Spannungen zwischen Religionen zu vermeiden, die beide in eine Sackgasse führen bzw. Menschen massiv unterdrücken», erklärte der Theologe und Publizist weiter.
«Die erste Option ist, dass die Religion aus dem öffentlichen Leben ganz ausgeschlossen wird. Das hat unter anderem J.J. Rousseau gefordert. Diese Lösung ist aber ein Problem für alle religiösen Menschen. Sie werden ins Private abgedrängt und können sich nicht öffentlich artikulieren.»
Die andere Möglichkeit: Dass das öffentliche Leben von einer Religion dominiert wird. «Damit sind aber dann alle Andersgläubigen diskriminiert», hielt Prof. Volf fest und ergänzte: «100 Millionen Christen werden weltweit – vor allem in solchen Gesellschaften – unterdrückt.»
Schleifen sich die Religionen ab?
Eine These besagt, dass Menschen, wenn sie mit Angehörigen anderer Religionen zusammenleben, selbst mit der Zeit «pluralistisch» werden: man merkt, «dass der andere doch auch Recht haben könnte» und stellt die Exklusivität seines eigenen Glaubens immer mehr in Frage. Das sei möglich, hielt Volf fest, häufiger geschehe aber das Gegenteil: die Herausforderung anderer Religionen führe dazu, dass man seine eigene Überzeugung hinterfragt, prüft und stärkt. Es stimme nicht, dass eine pluralistische Gesellschaft automatisch dazu führe, dass sich die Religionen quasi «abschleifen». Darum bleibe die Notwendigkeit bestehen, einerseits überzeugt zu glauben und andererseits die gesellschaftliche Freiheit zu fördern.
Überzeugter Glaube führt zu politischer Freiheit
«Die wichtigste Freiheit in einem modernen Staat ist die religiöse Freiheit. Aus ihr kommen alle anderen Freiheiten», hielt Volf fest und erklärte, wie Religionsfreiheit zum ersten Mal in einer Verfassung festgeschrieben wurde – und zwar von einem überzeugten Christen. Der geborene Engländer Roger Williams (1603-1683) wanderte als Baptistenpastor nach Nordamerika aus und schuf auf Rhode Island die erste Verfassung, in der Kirche und Staat getrennte Aufgaben hatten und in der die Religionsfreiheit garantiert wurde – und zwar weil er die Prinzipien dafür in der Heiligen Schrift fand. Seine Argumente: Der Glaube könne nur eine freie Entscheidung sein; Gott zwinge nie und sei auch dem grössten Sünder gnädig. Jesus habe die kirchliche und die staatliche Gewalt getrennt (im Unterschied zum Gesetz des Mose); seine Liebe zu den Sündern vertrete sich nicht mit irgendeiner Form von Zwang (wie ihn etwa die Puritaner zu seiner Zeit ausübten). «Williams glaubte absolut an die Bibel, aber gerade darum hielt er es für total unvereinbar, irgendeine Art von Druck auszuüben», erklärte Volf und zitierte Williams: «Gott wird von Druck beleidigt.»
Ein moderner Staat müsse also nicht die Religion zurückdrängen, sondern ihre Freiheit garantieren, schloss Volf. «Alle Weltreligionen haben Ressourcen, öffentlichen Pluralismus zu fördern und Andersgläubige nicht zu unterdrücken.»
Zum Thema:
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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet
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