Gang durch die Bibel
Sprache in der Bibel
1. Und Gott sprach (Die Bibel, 1. Mose, Kapitel 2)
Die Bibel beginnt mit dem Schöpfungsbericht. Die Schöpfung selbst ist ein «Sprechakt» Gottes: «Und Gott sprach» heisst es achtmal in 1Mo 1 im Zusammenhang mit einem Schöpfungsakt. Und das Zeugnis der Schöpfung redet so auch ohne Worte (vgl. Psalm 19,3; 8,3ff.; Römerbrief 1,20; Hebräerbrief 11,3) in einer Vernehmlichkeit, die tief ergreifen kann und sollte - als «Buch der Natur». Lesen wir genügend darin?
Es gibt auch ein biblisches «Zurück zur Natur». «Oder lehrt euch nicht auch selbst die Natur ...?», fragt Paulus (1Korinther 11,14). In der Stille eines Waldes, an der vor unseren Blicken ins Grenzenlose entschwindenden Weite des Meeres, vor der für unsere normalen Begriffe unverrückbaren Grösse der Bergwelt, an der Entdeckung der zarten Schönheit einer Blume lernen wir etwas von der Herrlichkeit unseres «treuen Schöpfers» und Erhalters.
2. Gott spricht zum Menschen (1. Mose 2)
Der Mensch, als Bild Gottes und Ihm ähnlich geschaffen, ist ein Sprach- Wesen. Nicht nur durch Gottes Wort ins Dasein gerufen, sondern als Existenz, die sich selbst durch Sprache in den Beziehungen zu Gott, zum Mitmenschen und als Gottes Repräsentant in der Schöpfung erkennen, zurechtfinden, mitteilen und betätigen kann, ist er zur Zwiesprache mit Gott gewürdigt, zu einer Gemeinschaft, die seine blosse Geschöpflichkeit transzendiert, ihr einen Sinn verleiht, der innerweltlich nicht aufgeht.
Mit der Würde ist eine Verantwortung verbunden, auf die hin der Mensch schon im ersten Zeugnis einer Gottesrede (1. Mose 2,16.17) angesprochen wird. Gottes Freigebigkeit (V. 16) kommt darin zum Ausdruck, wie auch Seine Oberhoheit und Weisheit (V. 17), in der Er dem Menschen ein Gebot auferlegt, das ihn zugleich schützt und erprobt; denn die Schöpfung von 1. Mose 1,3 - 2,4 war unberührt durch Böses, das es ausserhalb gab, in Satan und seinen Engeln. Die an sich nutzlose Erkenntnis des Bösen wäre dem Menschen durch Gehorsam erspart geblieben.
3. Der Mensch gibt den Tieren Namen (1. Mose 2)
Gott rief durch Sein Wort die Schöpfung ins Dasein. Er benannte auch, was Er schuf: den Tag im Unterschied zur Nacht, Himmel, Erde, Meere, Adam; den Letzteren ermächtigte Er, seinerseits Geschöpfe zu benennen. Das Benennen der Tiere ist ein Herrschaftsakt, setzt Unterscheidungsvermögen, Einsicht in das Wesen des zu Benennenden voraus und macht das Benannte wieder für andere kenntlich.
Dadurch wird deutlich, wozu Sprache befähigt, wie sie einen Erfahrungshorizont erschliesst und andere daran teilnehmen lässt. Wenn diese Fähigkeit Schaden leidet oder missbraucht wird, verdunkelt sich die Erkenntnis; dafür finden sich schon in der Bibel viele Beispiele. Vom ersten und für das Weitere ausschlaggebenden Ereignis berichtet das nächste Kapitel der Bibel.
4. «Hat Gott wirklich gesagt ...?» (1. Mose 3)
«Siehe, ein kleines Feuer, welch einen grossen Wald zündet es an» (Jakobus 3,5) - die listige Frage der Schlange, mit der sie Zweifel und Misstrauen ins Herz der Frau säte, gleicht einem «dialektischen Feuer», das seit dem Fall des Menschen durch die Weltgeschichte geht und immer wieder Brände entfacht, wo Menschen nicht um die schützende und nährende Kraft des Wortes Gottes wissen und sich darauf berufen: «Es steht geschrieben» (vgl. Lukas 4).
Die Frage der Schlange lässt sich in drei Teile gliedern: 1) Hat Gott wirklich gesagt: 2) Ihr sollt nicht essen 3) von jedem Baume des Gartens? Dabei wird deutlich, dass der zweite Teil mit Kapitel 2,17, der dritte Teil aber mit Kapitel 2,16 in Verbindung steht; durch die Vermischung fällt vom Verbot, das an seinem Ort seinen guten Sinn hat, ein trügerischer Schatten auf die Güte und Freigebigkeit Gottes.
Der erste Teil, der die eigentliche Frage enthält, verhüllt diese perfide Vermischung und überspielt sie irritierend. Schon in der Antwort der Frau, die über das von Gott Gesagte hinausgeht, spürt man etwas von der unheilvollen Wirkung der Frage. Das verführerische Versprechen an die Geängstete gibt der Unsicherheit eine Wende zu einer falschen «Theologie».
Die List und Lüge der Schlange liegt in den Verbindungen. Das Verbindungswort «denn» am Anfang des fünften Verses suggeriert einen Begründungszusammenhang, der frech denjenigen aus Kapitel 2 «ersetzt» und verkehrt. Die Reihenfolge des «Hinzufügens» und «Wegnehmens» (vergleichbar mit 5. Mose 4,2 und Offenbarung 22,18.19) zeigt an, dass die Klarheit des Wortes Gottes einen direkten Angriff des Lügners unmöglich macht; das böse Ziel solcher Beraubung kann offenbar nur durch den Umweg des Hinzufügens (vgl. auch Sprüche 30,6) erreicht werden, wo ein misstrauisches Herz sich dafür öffnet.
Die pervertierenden Folgen dieses bösen «Sprachspiels» finden sich in den weiteren Versen. Scham und Furcht, Trotz und Verzagtheit (vgl. Luthers Übersetzung von Jeremia 17,9) bemächtigen sich der Menschen. Nichts bleibt unversehrt in den Beziehungen, in die Gott das erste Menschenpaar hineingestellt hat. Die Erkenntnis des Guten und Bösen, die sich der Mensch durch seinen Ungehorsam erworben hat, befleckt sein Gewissen derart, dass er sogleich die Rechtsbegriffe verdreht.
All dies spiegelt sich also in der Sprache, diesem Wesensmerkmal des Menschen, das sein Inneres mit dem Äusseren verbindet, die innere Geschichte mit der äusseren, die nun ihren Gang nimmt: ausserhalb des Gartens, fern vom Baum des Lebens, in der Nichtigkeit der Existenz, die allemal zu Verdruss und Kummer bereitenden Fragen Anlass gibt, Fragen, denen nicht auszuweichen ist, die nicht auf Dauer vertrieben oder verdrängt werden können, die aber als Stacheln zu dem zurückführen können, dessen Wort der Mensch einst verlassen hat.
5. Gott und Mensch im Dialog (1. Mose 3-4)
Die Menschen verstecken sich nach dem Fall unter den Bäumen des Gartens. Unter diesen Zeugnissen der Güte und Freigebigkeit Gottes wähnen sie sich in ihrer Furcht vor den Augen dessen verbergen zu können, der diese Bäume gepflanzt hat. Welch ein Widerspruch!
Der Widerspruch im äusseren Weg spiegelt denjenigen im Innern, im Herzen. Aber welche Gnade, dass der Herr mit Seiner Frage «Wo bist du?» nicht umstandslos mit der Nennung der Sünde beginnt, sondern herzerforschend bei deren äusserster Auswirkung. So zeigt Er selbst dem Sünder gegenüber noch eine Achtung, die mit dem Ernst seines Zustandes eher zurechtkommt als eine direkte Urteilsverkündigung.
Im ganzen Dialog können wir feststellen, dass Gott als vollkommener Gesprächspartner sein gefallenes Geschöpf ernst nimmt und über diesen Rechtsstreit hinaus im angesagten Gericht über die Schlange etwas Wesentliches vom Evangelium aufleuchten lässt, was dem Bussfertigen und Einsichtigen aus der Not heraushilft und ihm am Ort seiner Mühsal eine Hoffnung gibt.
Etwas Vergleichbares findet sich selbst noch im Dialog zwischen Gott und Kain. Die Arroganz, mit der Kain nach dem Brudermord aber gegen Gott auftritt, macht es unmöglich, den Weg aus der Verzweiflung heraus zu finden. So wird er zum Typus des Rastlosen, der unter dem Zeichen seiner Tat eine gottlose Welt organisiert mit den Möglichkeiten von Reichtum, Zerstreuung und technologischem Aktivismus, selbst mit der Poesie in einer Variante, die den Umgang mit der Sprache an eine verzweifelte Selbstbezüglichkeit kettet und damit auf eine Geschichte gottloser Kunst vorausweist: Kunst als Realitätsflucht, «Kunst als Lebenslüge» (A. Camus).
6. Sprachverwirrung in Babel (1. Mose 11)
Städtebau begann mit Kain. Nach der Flut findet er sich wieder bei Nimrod (1. Mose 10); die Erzählung vom Turmbau zu Babel und seinen unmittelbaren Folgen bildet den Abschluss der so genannten Urgeschichte. Sprache stiftet Gemeinschaft, Sprache ist eine Macht. Aber wie verhängnisvoll wird Sprache, wenn sie sich vom Ursprung der Macht losreisst und die menschlichen Aktivitäten koordiniert und bündelt unter ein monumentales gottloses Projekt: Solche Sprachgemeinschaft verschliesst sich gegen Gott.
Die Menschen wollen sich einen Namen machen mit dieser Stadt und mit einem Turm, «dessen Spitze an den Himmel reiche». Wie viele solcher Türme sind im Lauf der Weltgeschichte gebaut worden, ohne dass vorher die Kosten berechnet wurden (vgl. Lukas 14,28). Gott macht diesem verfehlten Einheitsstreben ein Ende. Auf dem Weg des Gerichts – durch Verwirrung – zerstreut Er die Menschheit. Viele verschiedene Sprachen bilden sich aus dieser «Konfusion».
Aus der sogenannten Tiefenstruktur, die den Sprachen gemeinsam ist und eine gewisse Übersetzbarkeit gewährleistet, ist nie mehr eine Universalsprache regeneriert worden. Versuche dazu wirkten gekünstelt oder totalitär und steigerten in Verkennung der den Sprachen innewohnenden Dynamik bloss die Verwirrung.
So bedeutsam die Sprachen für die Identität sind, so wirksam trennen sie die Völker oder kleinere Sprachgruppen; deren Geschick im Lauf der Zeit wird tief beeinflusst durch die Besonderheiten der Wahrnehmung, die den Sprachen je eigen ist. Sie sind Gefässe der Erinnerung, Instrumente der Welterschliessung, können die Menschen auf gottfernen Wegen aber auch in religiöse Dunkelheit versenken und ihnen so zum Verhängnis werden.
7. Joseph gebraucht einen Übersetzer (1. Mose 42,23)
Ähnlich wie Kain befinden sich die Brüder Josephs (mit Ausnahme Benjamins) ab 1. Mose 37 auf einem Weg, der unter dem Zeichen einer «Lebenslüge» steht. Hass und Neid haben ihre Früchte hervorgebracht (vgl. 1. Johannes 3,15); mit einer Lüge haben sie betreffs des verkauften Joseph ihren Vater irregeführt, der sich aber (vielleicht in einer dunklen Ahnung) ihrem «Trost» verweigert.
Aber auch Josephs Weg steht gleichsam unter einem Zeichen. Der von seinen Brüdern als «Träumer» Verspottete wurde durch das seinen Träumen innewohnende oder sie begleitende Gotteswort geläutert (Psalm 105,19). Zur bestimmten Zeit treffen die in sich so unterschiedlichen Wege wieder zusammen. «Und Joseph erkannte seine Brüder, sie aber erkannten ihn nicht» (1. Mose 42,8). Von Gott geleitet gibt er sich ihnen auch noch nicht zu erkennen.
Dass sie gerade Joseph gegenüber beteuern, «redliche» Leute zu sein (V. 11.31), klingt wie eine Ironie der Geschichte. Dieser aber nimmt sie beim Wort; die wiederholte Lüge (V. 13) glauben sie selbst nicht, und so weckt die Bedrängnis das Gewissen, das die einstige Geschichte wieder gegenwärtig macht (V. 21.22).
Mit dem Dolmetscher hält Joseph gleichsam die zweifache Geschichte auseinander, bis das denkwürdige «Sprachereignis» eine Gott gemässe Wendung nimmt (vgl. 2. Korinther 7,10). In dieser Geschichte findet sich der Schlüssel zur Geschichte Israels (vgl. Apostelgeschichte 7 und Römerbrief 9-11); aber sie hat auch mit der eingangs erwähnten «Zeiten-Brücke» zu tun, die für jedes Menschenleben bedeutsam ist: Wie ein zeitlich vielleicht weit entlegener Text bedrängend gegenwärtig zu werden vermag und den Angesprochenen unausweichlich in einen Entscheidungsprozess einbezieht, der das Herz erforscht und das Gewissen weckt und überführt und unterweist.
8. «Es wallt mein Herz von gutem Worte» (Psalm 45,1)
Die Psalmen werden oft als das Herz der Bibel bezeichnet. Zartbesaitete Menschenherzen bringt der Geist Gottes zum Klingen - in Trauer und Freude, in Klage und Lobgesang. Der Schrei aus der Tiefe und der Jubel des Heils, die Höhen und Tiefen des Lebens drängen und finden darin zu einem poetischen Ausdruck. Und was aus dem Herzen kommt, findet seinen Weg auch wieder zu Herzen. Das Buch enthält dabei auch Geschichtsdeutung, Unterweisung und gibt mit seinen Verheissungen den Blick frei für die Zukunft nach Gottes Gedanken.
Für den Umgang mit der Sprache dürfen wir gewiss daraus lernen, uns daran prüfen, ob die Lippen mit dem Herzen übereinstimmen (vgl. als Gegensatz Matthäus 15,8 und Hebräerbrief 13,15), und darüber sinnen, wo unser Schatz ist, denn «da wird auch dein Herz sein» (Matthäus 6,21).
In einer Zeit, wo viele Menschen den Verlust einer wahren Mitte empfinden und beklagen, wird hier ein Weg gewiesen, wo der Glaubende – im guten Sinne ex-zentrisch – eine neue Mitte gefunden hat, wo er einkehrt in innere Zwiesprache, die alsdann nach aussen dringt: «Preise den Herrn, meine Seele, und all mein Inneres seinen heiligen Namen» (Psalm 103,1).
9. Sprache und Zeit (Prediger 3,7)
Es gibt das gute Wort zu seiner Zeit (vgl. Sprüche 15,23), aber es gibt auch das Wort zur Unzeit, das Gerede und Geschwätz, die leeren Worte, Reden zu einer Zeit, wo Schweigen ratsam wäre und Stillesein. Aber auch das gute Wort setzt einen Hörer voraus, der bereit ist, diesem Wort im Innern Zeit zu lassen und Raum zu geben, es zu erwägen, es im Nachsinnen sich zu Eigen zu machen. Wenn «der Gesang der Toren» oder «das Geschrei des Herrschers unter den Toren175 (vgl. Prediger 7,5; 9,17) das Ohr erfüllt und den Sinn betäubt, was dann?
In einer gehetzten Zeit lohnt es sich, die Spannung zwischen Zeit-Druck und Zeit-Sinn auf ihren Ursprung hin zu bedenken, den Gleichschritt mit dem «Fortschritt» auch einmal zu verweigern, um die Zeit im Licht der Ewigkeit zu sehen, um den eigenen Ort in der Zeit zu erkennen, um uns vom erleuchtenden Wort Gottes leiten zu lassen, der der Herr der Geschichte ist, in dessen Hand auch unsere Zeiten sind (vgl. Psalm 119,105; 31,15).
Das kann uns auch dazu bringen, unsere Worte zu wägen, zurückzuhalten zur Unzeit, aber auch auszusprechen zur rechten Zeit, dem Gegenüber entsprechend, in echter Zwiesprache, im Gespräch, das sich so zu wahrer Gemeinschaft vertiefen kann.
10. Das Wort als Saat (Matthäus 13, 3ff. und Lukas 8,4ff.)
Was dem Reden Gottes den Platz in unserem Innern streitig machen kann, wird in den obigen Stellen deutlich. Vergleicht man beispielsweise Matthäus 13,22 und Lukas 8,14 mit 1. Johannes 2,16, so ist die Antwort klar: Es ist die Welt im eigenen Herzen, was die Kraft und den Segen des Wortes Gottes schmählern oder gar verdrängen kann.
Die Welt ist zerrissen, und die Zuneigung zu ihr gibt dieser Zerrissenheit im ei¬genen Herzen Raum. «Der Glaube ist aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch Gottes Wort» (Römerbrief 10,17) – diese Verbindung zwischen Wort und Glaube ist von der Saat, vom Wurzeltreiben an eine wachs-tümliche.
Und Wachstum braucht Zeit, braucht Nahrung und Pflege, setzt Kenntnis der Gefährdungen voraus und die richtige Reaktion darauf. Wie schön aber, dass so das Reden auch nicht zusammenhanglos wird, sondern einen tiefen Sinn bekommt, sinnstiftend wirkt, Blüten und Blätter und «zu seiner Zeit» Frucht hervorbringt, wofür uns Gal 5,22 eine «Qualitätsprüfung» gibt.
11. «Im Anfang war das Wort» (Johannes 1)
Es ist hier nicht die Absicht, über den Prolog des Johannes-Evangeliums weitläufig zu werden. Für unseren Umgang mit der Sprache jedoch ist darin eine Unterweisung enthalten, die – wunderbar und geheimnisvoll – uns eine Ehrerbietung abverlangt, die allem Weiteren die Sinnperspektive und Rangabstufung verleiht.
Das ewige Wort war bei Gott von Ewigkeit her; als aber «die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn» (vgl. Galater 4,4 und Johannes 1,14). In das Dunkel der Gottlosigkeit und Gottvergessenheit der Welt hinein offenbarte sich Gott im Sohn. Er tat Ihn kund (Johannes 1,18) – da, wo Er unbekannt geworden war, wo sich durch diese Unkenntnis aber auch der Sinn der ganzen Weltgeschichte verrätselt hatte. Das Wort «kundtun» hängt im Griechischen mit dem Wort «Exegese» zusammen. So ist Jesus Christus, der Mensch gewordene Gottessohn, die Exegese, die Interpretation, die Auslegung Gottes.
Als Exegese Gottes wird Jesus Christus (vgl. Johannes 1,17) auch zum Schlüssel und Prüfstein der Bibelauslegung (vgl. dazu auch Johannes 5,39 und Lukas 24,27). Dies aber ist unausweichlich damit verbunden, dass Er als «der Weg» (vgl. Johannes 14,6) uns dabei überführt von unseren eigenen Wegen (vgl. Jesaja 53,6).
Buchstäblich hat sich Sein Weg mit dem unsrigen «gekreuzt»: Zu Ihm, der zum Kreuz ging, das für uns Menschen in die¬ser Welt das Ende und die Wende gebracht hat, müssen wir uns wenden, wenn wir Gott in Seiner Gnade und Wahrheit durch den Glauben kennen lernen wollen.
12. «Warum versteht ihr meine Sprache nicht?» (Johannes 8,43a)
In Johannes 8 und 9 stellt sich der Herr Jesus in Wort und Werk als das «Licht der Welt» dar. Dies bringt Gegensätze zum Vorschein, wie sie die Stunde der Entscheidung erfordert und wie sie nicht klarer vor Augen treten könnten. Wenn alles zur Entscheidung drängt, spiegelt sich das auch in einer Sprache, die alles in Eindeutigkeit zum Ausdruck bringt und gerade da-durch jede Halbheit bei den Hörern verunmöglicht.
Diese Engführung des Gesprächs zeigt die tieferen Gründe oder Abgründe des Unverständnisses bei den Menschen, die die Wider-sprüche ihres Lebens zu Widerspruch und Widerstand gegen den Sohn Gottes kehren und zur «Wahrung» eines günstigen Selbstbildes sich verzweifelt gegen den verschliessen, der das «Bild des unsichtbaren Gottes ist» (vgl. Koosserl 1,15; Hebr 1,3).
das verurteilende Gesetz die heilbringende Gnade
Finsternis Licht
von unten von oben
von dieser Welt nicht von dieser Welt
knechtende Sünde befreiende Wahrheit
der Teufel als Vater der Lügner Gott als Vater des Herrn Jesus
13. Pfingsten (Apostelgeschichte 2)
In gewissem Sinn ist Pfingsten das antithetische Ereignis zur Sprachverwirrung nach dem Turmbau von Babel. Dort in Babel haben wir das Gericht, hier in Jerusalem die Verkündi-gung des Heils; dort Verwirrung und Zerstreuung, hier Erleuchtung und Sammlung; dort der vermessene Versuch, einen Turm mit einer bis zum Himmel reichenden Spitze zu bauen, hier die Herabkunft des Heiligen Geistes, dem die Erniedrigung Christi in Menschwerdung und Leiden voraufging.
Der auferstandene und verherrlichte Herr tauft die Gläubigen durch die Gabe des Heiligen Geistes zu einem Leib. An die zumeist zweisprachigen Diaspora-Juden ergeht dadurch ein Zeichen und Zeugnis Gottes über Seine Absicht, in der Zeit der Gnade das Heil in Christus unterschiedslos allen Menschen nahe zu bringen.
14. «Das Bild gesunder Worte» (2. Timotheus 1)
In 1. Mose 6,5 lesen wir von Gottes unbestechlichem Urteil über «das Gebilde der Gedanken» des menschlichen Herzens in seinem verlorenen Zustand. Wenn aus solchen Gedankengebilden sich «künstlich erdichtete Fabeln» oder auch «Festungen» menschlicher Vernunftschlüsse (vgl. 2. Petrus 1,16 und 2. Korinther 10,4f.) herausbilden und als geistige Machtfaktoren Menschen faszinieren und mitreissen, dann wirkt die Aufforderung des Paulus an Timotheus und an jeden Gläubigen umso mehr als heilsame und unverzichtbare Richtungsangabe für unser Tun und Trachten in einer schwierigen und gefahrvollen Zeit.
Jedes Wort in diesem Ausdruck gilt es zu erwägen, damit er uns transparent wird auf die kostbare Gabe der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments hin.
15. Inspiration (1. Korinther 2; 2. Timotheus 3)
Über die Inspiration der Heiligen Schrift ist viel geschrieben worden. Im Zusammenhang mit unserem Thema sei hier darauf hingewiesen, dass eine orthodoxe Bekenntnisformel zur göttlichen Inspiration oft nicht allzu viel bringt. Es ist bisweilen fast so wie mit den mittelalterlichen Gottesbeweisen; sie spiegeln im Rückblick eher einen Schwund an Evidenz, eine Verunsicherung, die stärkeren Zweifeln die Bahn öffnete: Die Ambivalenz des Mittel-alters arbeitete dem Verhängnis der «Neuzeit» vor.
In den beiden angeführten Kapiteln wird betreffs der Inspiration deutlich, dass wir sie auf ihren Ursprung, ihre Sprachmittel, die menschlichen Gefässe der Vermittlung und die Absicht, das Ziel hin zu bedenken und zu glauben haben, damit unser Lesen der Bibel nicht nur vom Bekenntnis der Inspiration begleitet ist, sondern damit sie unsere Erfahrung und Erwartung prägt.
16. Das Wort Gottes (Offenbarung 19)
Umnachtet vom Geheimnis ist jener Kampf Jakobs mit dem Engel des Herrn, aus dem er mit einem neuen Namen hervorging: Israel. Der Engel nannte Seinen Namen nicht. Geheimnisvoll ist auch die Begegnung Manoahs und seiner Frau mit diesem Engel des Herrn, der gleichfalls Seinen Namen auf die Frage nach ihm nicht enthüllt; «er ist ja wunderbar», fügt er jedoch seiner Gegenfrage bei. In Jes 9 lesen wir von dem «grossen Licht», das dem Volk, das in Finsternis wandelt, aufgehen würde. Und wenig danach heisst es: «Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer …» (Jesaja 9,6).
Ähnlich können wir – ausgehend von der Erscheinung Gottes im brennenden Dornbusch – die Selbstbenennung Gottes «Ich bin, der ich bin» als Hinführung zu den «Ich-bin»-Worten des Johannes-Evangeliums und der Offenbarung anhören und darüber nachsinnen.
Derjenige, der Seinen Namen mit einem Geheimnis umgibt, dessen Name geheiligt sein will, Er erscheint in Offenbarung 19 – sozusagen alles früher Offenbarte in sich aufnehmend und bestätigend – als das Wort Gottes.
In diesem Durchgang durch die Bibel wird klar, dass für den Umgang des Christen mit der Sprache alles Wesentliche in der Heiligen Schrift selbst zu finden ist. Wenn ein Mensch die Worte Gottes verlässt, sie vergisst oder sie gar hinter sich geworfen hat (vgl. Psalm 50,17), wirkt sich das auf die Sprache selbst aus, sie verkümmert, sie verkehrt sich – hinter «Worthülsen» kann der Wortschatz verloren gehen. Im Lärm einer sich selbst nur ernst nehmenden «Aktualität» kann ein Mensch – und gerade der anonyme «Massenmensch» – in der Datenflut versinken, ohne die Insel im weiten und stürmisch gewordenen Meer der Bücher- und Bilderwelt zu entdecken (vgl. Amos 8,11.12), die Rettung und wahre Sicherheit bedeutet: das Buch der Bücher, die unverfälschte Milch des Wortes Gottes, das auch die Süsse des Honigs enthält.
Dieses von Milch und Honig fliessende Land wollen wir Christen doch kennen lernen und ersehnen als Pilger, die durch die Wüste der «Postmoderne» gehen; die Lampe des prophetischen Wortes (2. Petrus 1) kann uns auch in den Trümmern übereinander stürzender Zeiten den Weg weisen.
Das Ineinander, Widereinander und Durcheinander von Schismengeschichte und Dogmengeschichte, das als schwere Last auf dem Gedächtnis der Kirche liegt, darf sie nicht dazu verführen, sich den zentrifugalen Wirkungen des Zeitgeistes zu öffnen, vielmehr sollen wir die Augen des Herzens auf den ausrichten, der unsere Lasten getragen hat und uns trägt und führt bis zu Seiner Wiederkunft. – Das wird auch unseren Umgang mit der Sprache prägen!
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Der Christ und die Sprache
Autor: Norbert Lüthy
Quelle: Livenet / Zeit & Schrift
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