Hier profitieren alle
Deutsch für Ukrainer: ein Gemeinschaftsprojekt in Steffisburg
Es wurde in kurzer Zeit auf die Beine gestellt: Die politische Gemeinde, die Reformierte Kirchgemeinde und die Freie Evangelische Gemeinde in Steffisburg führen einen gemeinsamen durch – mit grossem Erfolg.Seit Ende April war das FEG-Zentrum «Brügg» im Zentrum von Steffisburg für drei Monate am Dienstag- und Freitagvormittag von regem Leben erfüllt: Rund 40 Geflüchtete aus der Ukraine wurden in die Kunst der deutschen Sprache eingeführt – von einem motivierten Team von Lehrkräften aus Steffisburg und Umgebung.
«Ich hatte keine Ahnung, wie man Deutschunterricht gibt», gesteht Susanne, Frau eines pensionierten Pfarrers. «Aber mit dem guten Material bin ich schnell in die Materie eingestiegen und es macht wirklich Spass.» Ähnlich ging es vielen Lehrkräften, die sich freiwillig gemeldet haben – viele von ihnen im fortgeschrittenen Stadium des «progressiven Mittelalters» (wo man/frau ja Zeit hat, oder?).
Gemeinschaftswerk
Der Deutschunterricht für Ukrainer wurde von der politischen Gemeinde Steffisburg, der Reformierten Kirchgemeinde und der FEG Steffisburg gemeinsam auf die Beine gestellt: ein weiteres Beispiel der hervorragenden Zusammenarbeit in sozialen Belangen, die in den letzten Jahren im Dorf an der Zulg gewachsen ist. Unter der Gesamtleitung von Josua Lederer hat sich in kurzer Zeit ein Team gebildet, das Zeitpläne aufgestellt, Lehrmittel bestellt und den ganzen Unterricht effektiv und flexibel organisiert hat. Gemeindepräsident Reto Jakob hat den Unterricht zur «Chefsache» gemacht und war immer wieder mal dabei, um sich ein Bild zu machen.
Flexibilität nötig
«Ja, flexibel muss man sein. Jedes Mal kommen neue Lernende dazu», so Josua Lederer. Von den rund 60 aus der Ukraine Geflüchteten, die in Steffisburg aufgenommen wurden, nehmen gut 40 am Deutschunterricht teil. Dabei sind ihre Vorkenntnisse enorm unterschiedlich: von der jungen Frau, die englisch kann und mit der man so gut kommunizieren kann, bis zu der Grossmutter, der unsere «lateinische» Schrift total fremd ist, ist alles dabei.
Da sind J. und T., ein Ehepaar aus der total zerbombten Stadt Mariupol. Sie kommen jedes Mal und können nicht schnell genug lernen. Sie haben zwei Kinder von 12 und 14 Jahren, die Deutsch in der Schule lernen. Oder da ist T., die 11 (!) Kinder hat und (vielleicht gerade darum) geistig sehr fit wirkt, aber trotzdem dankbar ist, wenn sie möglichst in einer kleinen Gruppe lernen kann.
Alle Stufen
Der Kurs, der nach den Ferien fortgesetzt werden soll, bietet drei Klassen an: eine für Anfänger und zwei für Fortgeschrittene, die entweder Englisch oder schon ein paar Brocken Deutsch können. Im Laufe der ersten Wochen kamen auch immer neue Lehrkräfte dazu, sodass man bald einmal jede Gruppe mit zwei Lehrpersonen besetzen konnte. «Gerade bei den Anfängern ist das eine grosse Hilfe, so kann man sich ihnen in kleineren Gruppen besser widmen. Hat es doch solche unter ihnen, die nur das kyrillische Alphabet kennen und sich erst mit unserer Schrift vertraut machen müssen!» erklärt Hobby-Lehrerin Regula.
Kaffee ist wichtig
Die Unterrichtsvormittage beginnen um 8.30 Uhr morgens mit einem Kaffee, zu dem es immer etwas ukrainisch-Selbstgebackenes gibt. In dieser Zeit werden auch neue Teilnehmer registriert und in die Gruppen verteilt. Zum Glück ist immer eine Übersetzerin da, sodass man zum Gespräch nicht mehr als nötig auf die Handy-Übersetzer-Apps zurückgreifen muss (die übrigens in der ganzen Sache einen hervorragenden Dienst tun). Von 9 bis 11 Uhr läuft der Unterricht dann – mit Pause dazwischen - zweigleisig: in den oberen Räumen wird in drei Klassen nach Büchern unterrichtet, während unten im Bistro in persönlichen Gesprächen auf die individuellen Situationen der Lernenden eingegangen wird.
Mit «Deutsch für Ausländer» (für Asylsuchende aus verschiedenen Nationen) hat ein Team der FEG bereits jahrelang Erfahrung. «Um so schöner, dass wir in kurzer Zeit eine zweite Schiene aufgleisen konnten», freut sich Josua Lederer. Tatsächlich: hier profitieren alle. Die Frauen und Männer aus der Ukraine, die Deutsch lernen und mit Schweizern, aber auch miteinander Beziehungen aufbauen; die Lehrpersonen, die ihre Kenntnisse erweitern, Spass haben an der Sache und so ganz nebenbei neue Freunde gewinnen. Die FEG, deren Räume in hervorragender Lage optimal genutzt werden können. Und die politische Gemeinde, die – wie so oft – auf den Wert von Freiwilligenarbeit und persönlichen Einsatz der Bürger abstellen kann.
Religiös neutral
Der Unterricht wurde bewusst religiös neutral mit säkulären Lehrbüchern gestaltet und ist auch kostenlos. Allerdings waren unter den Teilnehmern verschiedene Mitglieder ukrainischer Freikirchen; für sie und für am Glauben Interessierte wird nun auf private Initiative hin durch eine russischsprachige Schweizerin ein Bibel-Treff organisiert werden. Gerade bei traumatisierten Menschen ist die geistliche Dimension eben auch wichtig.
Mit einem Grillfest an der Zulg hat die Gruppe, in der viele neue Freundschaften geschlossen wurden, zu Ferienbeginn das erste Trimester Unterricht gefeiert und beendet. Alle freuen sich schon auf die Fortsetzung im Herbst.
Zum Thema:
Handbuch als Starthilfe: Deutschkurse für Migranten und Flüchtlinge
Evangelische Allianz Kölliken: Gutes Miteinander bei Weihnachtsaktionen, Sprachkursen etc.
Organisation über Web-Plattform: Schweizer Kirchen helfen Flüchtlingen aus der Ukraine
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet
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