Martin Luther King Indiens trifft Schweizer Parlamentarier
Joseph D'souza wird «der Martin Luther King Indiens» genannt. Er kämpft für die Rechte der Dalits («Unberührbare»). In Bern traf er Parlamentarier und Menschenrechtler. Im Bundeshaus ebenfalls vor Ort: Joel Edwards, Direktor der Bewegung «Micah Challenge», die bei Regierungen darauf pocht, dass möglichst viel von der versprochenen Bekämpfung der Milleniumsziele umgesetzt wird. Livenet.ch war dabei.
Die Herbstsonne wirft ihre schönsten Strahlen in den schmucken Raum, der Holzboden knarrt, der Blick aus dem Fenster über die Bundeshauptstadt ist ein Genuss. Weniger harmonisch sind die Worte, die Joseph D'souza verwendet - «Genozid», «sexuelle Ausbeutung», «Sklaverei». Es ist aber kein lauter, dramatischer Appell; in ruhigen Worten drückt der indische Menschenrechtler das Schicksal aus, das in Indien nach seiner Bezifferung 250 Millionen Einwohner trifft: die Dalits.
Sexuelle Übergriffe: Unberührbare werden «berührt»
Selbst in entwickelten Gebieten dürfen die Unberührbaren laut Joseph D'sousa manche Strassen nicht begehen und müssen sich teilweise auf den Boden werfen, wenn jemand einer höheren Kaste passiert - damit der «bessere Bürger» nicht vom Schatten des Dalit getroffen wird.Dalits erhielten kein Recht. Werde eine Dalit-Frau vergewaltigt, dürfe sie manchenorts nicht einmal in den Polizeiposten - der Ort sei für sie verboten.
Unter sexuellen Übergriffen leiden Frauen und Kinder dieser untersten Kaste; «wir haben zunehmend Tempelprostitution», schildert Joseph, der das «Dalit Freedom Network» leitet.
0,7 Prozent
Mit in der Runde sass Joel Edwards, Direktor der Bewegung «Micah Challenge». Diese verlangt von den Regierungen, dass sie die Milleniumsziele umsetzen, welche die UNO im Jahr 2000 fasste. Es geht darum, die Armut bis ins Jahr 2015 zu halbieren, dazu sollen die Nationen der ersten Welt 0,7 Prozent des Staatshaushalts in die Entwicklungshilfe investieren.Verschiedene Hilfswerke fordern dies ein, darunter die christliche Bewegung «Micah Challenge», die das Anliegen auf den biblischen Propheten Micha baut und in der Schweiz durch die Aktion «StopArmut2015» vertreten ist. Zu den Unterstützern gehören EVP-Präsident Heiner Studer und EVP-Nationalrat Walter Donzé.
Er habe im Parlament die Aktion «StopArmut» vorgestellt, sagte Donzé. «Ich erklärte, dass die Teilnehmer der Aktion sich verpflichten, 0,7 Prozent des eigenen Einkommens in die Millieniumsziele zu stecken. Das machte im Parlament grossen Eindruck.» Dennoch seien die Ziele durch die Klimathematik und die Wirtschaftskrise in Gefahr.
Eine dreistellige Millionensumme
«Gute Ansichten und Absichten haben wir», bemerkte SP-Nationalrat Ricardo Lumengo. Aber die Mehrheit zu gewinnen sei schwer, dennoch arbeite er und andere daran - Lumengo war an seinem freien Tag zum Treffen im Bundeshaus erschienen. Man müsse gute Projekte zeigen, betonte «StopArmut»-Geschäftsführer Peter Seehofer, so werde man fassbar.«Real und finanzpolitisch sind die 0,7-Prozent nicht möglich. Vom Anliegen her müssen wir sie trotzdem anpeilen», bilanziert Donzé. Bedeuten würde dies eine Steigerung der Schweizer Entwicklungshilfe um eine dreistellige Millionensumme.
Für die Rechte der Dalits wolle man sich ebenfalls stark machen, Walter Donzé hatte vor mehreren Jahren ein im Parlament ein entsprechendes Anliegen eingereicht.
Nach Bern geladen hatte die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA), StopArmut2015 sowie Operation Mobilisation (OM).
Für Dalit verboten
Am Rande des Treffens sprach Livenet.ch mit Joseph D'souza, dem «Martin Luther King Indiens». «Ein Dorf in Indien ist kein Dorf, es besteht eigentlich aus zwei Dörfern. Auf der einen Seite leben die Leute der höheren Kaste, auf der anderen die Dalit-Sklaven. Die Dalit dürfen nicht in die Gegend der höheren Kaste. Wenn es eine Quelle im Dorf gibt, darf diese von den Dalit nicht verwendet werden.»Spätestens mit 13 ist die Kindheit vorbei
Er wolle, dass die «Kasten-Sklaverei» durchbrochen wird. «Spätestens mit 13 ist die Kindheit eines Dalit vorbei. Zuhause lernen sie, das sie anders seien als die der höheren Kaste.» Ihnen werde verboten, in die Gegend der anderen zu gehen. In der Schule müssten die Dalit zuhinterst sitzen. «Darum bringe ich die Kinder in eigene Schulklassen wo sie die gleiche Ausbildung erhalten, wie jene der höheren Kaste. Einmal fragte ein Journalist die Kinder einer solchen Klasse, was sie werden wollen. Alle hatten einen Traum. Dann fragte der gleiche Journalist im gleichen Dorf Dalit-Kinder einer normalen Klasse. Diese Kinder hatten keine Berufswünsche.»Mehr als hundert solcher Schulzenter seien eröffnet, der umtriebige Inder wünscht sich tausende. «Die Dalit-Kinder sollen spüren, dass sie nicht weniger Wert sind als die anderen.»
«I have a dream»
«Wir wollen, dass unsere Generation die Generation ist, die den Dalit-Alptraum stoppt. Es ist ein grosser Traum, aber wir wollen dies noch während unserer Lebenszeit sehen», verkündet D'souza.Gerade Frauen seien die ersten, die das Kastensystem ablehnen, da sie darunter besonders leiden. Besonders wichtig sei internationaler Druck sowie die Stimme der Christenheit, denn sie vermittelt, dass jeder Mensch ein Ebenbild Gottes ist. «Dies sind die Dalit genauso wie die Schweizer!»
«Namen ändern hilft nicht»
Wenn das Land vereint sein soll, müssen die Kasten abgeschafft werden, erklärt der Aktivist. Die Arbeit seiner Bewegung leistet dazu auch juristische Hilfe. Zum Beispiel im Falle vergewaltigter Dalit-Frauen, denen der Zutritt ins Polizeigebäude verwehrt wird. «Dann werden wir involviert. Und dann kämpft nicht mehr sie dafür, sondern eine Gruppe. Bürdet sich ein Polizist mehrere solche Fälle auf, wird es für ihn selbst schwierig.» Das offizielle Indien dulde diese Diskriminierung nicht.In den Grossstädten lebe es sich etwas besser, da man die Dalit-Identität teils ablegen könne. «Aber grosse Stellen kriegen sie nicht, weil die Bildung fehlt.» Nach der Kaste brauche nicht gefragt zu werden. «Nach zwei, drei Minuten weiss man von jedem, woher er kommt. Auch in den Schulzeugnissen muss man die Kaste angeben. Manche ändern in der Stadt ihre Namen, aber das hilft nicht.»
«Genozid»
Joseph D'souza spricht von «Genozid»: «Es geht um die Mädchen im Bauch ihrer Mütter. Abtreibung ist in Indien legal. Wenn die Familien sehen, dass es ein Mädchen wird, treiben sie oft ab. In den letzten fünfzehn Jahren wurden so über zwanzig Millionen Mädchen abgetrieben und weitere Millionen in die Sexindustrie verkauft. Die nächste Generation wurde komplett zerstört.»Es gebe mehrere Gründe für die Abtreibungen. Wegen der Mitgift seien die Mädchen eine Last. Zudem wollen werdende Mütter nicht, dass das Mädchen das mitmachen will, was sie selbst erlebte. «Sie will nicht eine Frau, die ebenfalls so leidet wie sie. Es ist ein stiller Genozid. Wir sprechen von Sudan und anderen - was ist mit 20 Millionen in einem Staat?»
Diese Abtreibungen münden in ein weiteres Problem: In manchen Bundesstaaten kommen laut Joseph D'souza 750 Frauen auf 1000 Männer. «Vergewaltigungen und Menschenhandel nehmen zu. Das hat einen direkten Zusammenhang mit dem Kastenwesen. Frauen aus Nepal und andern Orten werden angeschleppt und sexuell ausgebeutet. Die Frauengruppen sind sehr besorgt.»
Bürgerkrieg droht
Dalits organisieren sich zusehends, gerade die extreme Linke rekrutiere viele. Wenn man nicht auf demokratischem, zivilem Weg die Lage ändern könne, überrolle das Land eine Welle der Gewalt und die Idee einer vereinten Nation zerfalle in viele Gruppen. «Wenn wir in den nächsten Jahren nicht massive Fortschritte machen, wird Indien ein sehr übler Platz.» Dann nämlich, wenn die Menschen das Gesetz in die eigenen Hände nehmen und Gerechtigkeit einfordern. «Ja, wir sind eine grosse Demokratie und wir haben Recht und Gesetz. Aber wem dient das? In vielen Teilen der Welt profitieren die Mittelklasse und die Starken davon, deshalb überlebt es. Aber in Indien ist die Mitteklasse, auch wenn sie gross ist, nur etwa 25 Prozent. 75 Prozent werden von Fortschritt und Demokratie nicht mitgenommen. Wenn das nicht ändert, fliegt uns das um die Ohren.» Joseph D'souza sagt, dass er auf Bildung und Demokratie setzt, damit die Lösung friedlich wird.
Nicht depressiv
Trotz der vielen Probleme werde er nicht depressiv. «Es gibt viele Herausforderung. Im letzten Jahr etwa die grosse Attacke in Orissa. Mir hilft der Glaube an Jesus. Ich sehe, wie Gott in der Geschichte wirkte. In Christus sind wir mehr als die Feinde.»Joseph D'souza sagt, er gehe davon aus, dass das nächste grosse Ereignis in der Geschichte der Fall der Kasten sei. «Und ich hoffe, dass wir, so wie die Amerikaner jetzt einen schwarzen Präsident haben, wir in Indien einen Dalit als Präsidenten haben. Und zwar einer, der aus eigener Kraft in dieses Amt gelangt, einer der die Nation eint; ich glaube, dass das geschehen wird.»
Links zum Thema:
Dossier «Christen in Süd- und Südostasien»
www.dalitnetwork.org
www.micahchallenge.org
www.stoparmut2015.ch
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch
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