Ägypten
Unsichere Zeiten für Christen, Frauen und Demokraten
In Ägypten steht es auf des Messers Schneide, ob etwas vom «Arabischen Frühling» zu retten ist. Sogar ein Bürgerkrieg kann nicht ausgeschlossen werden.
Nachdem sich Präsident Mursi vor zehn Tagen unumschränkte «pharaonische» Vollmachten zugelegt hatte, wurde an diesem Wochenende der Entwurf für das neue ägyptische Grundgesetz einstimmig beschlossen. Verfassunggeber waren allerdings nur mehr Muslimbrüder und die noch radikaleren Salafisten. Liberale, Sozialdemokraten und die Vertreter der koptischen Christen hatten das Gremium schon Mitte November unter Protest verlassen.Mursi unterschrieb den Verfassungsentwurf gleich am Samstag und setzte für den 15. Dezember eine Volksabstimmung darüber an. Die neuen Bestimmungen engen Frauen- und Bürgerrechte sowie die Religionsfreiheit schneidend ein. Einen Vorgeschmack darauf geben sieben Todesurteile, die eben in Kairo auf Antrag des neuen Generalstaatsanwalts Anwar al-Said über christliche «Lästerer» des Propheten Mohammed verhängt wurden.
Im einzelnen will der vorgeschlagene Artikel 81 die Grundrechte der Ägypterinnen und Ägypter nur auf das beschränken, «was den Staatsinteressen nicht zuwider läuft». Was die ägyptischen Frauen und Mädchen betrifft, spricht Art. 30 von einem «ausgewogenen Verhältnis zwischen den familiären Verpflichtungen als Frau und Mutter und ihren Möglichkeiten, darüber hinaus noch berufstätig zu sein».
Das bedeutet praktisch die Bindung an den häuslichen Herd. Art. 43 zur vorgeblichen Religionsfreiheit gestattet nur Christen und Juden eine bescheidene Kultfreiheit – wie es eben das islamische Recht der Scharia will. Deren Prinzipien werden nach Art. 2 zu Grundlagen der gesamten künftigen Rechtsordnung gemacht.
Die Anwendung dieser Grundsatzbestimmung wird islamischen Experten anvertraut. Damit wäre Ägypten bei einer «Herrschaft der religiösen Rechtsgelehrten» (Wilayet al-Faqih) wie im Iran angelangt.
Doch am positiven Ausgang des Referendums ist leider nicht zu zweifeln. Die Muslimbrüder sitzen an allen Schalthebeln, haben die Medien gleichgeschaltet und die Armeeführer gekauft. Die letzte noch halbwegs unabhängige Institution, der ägyptische Verfassungsgerichtshof, wollte daher am Sonntag das ganze Machwerk für ungültig erklären. Tausende Muslimbrüder hinderten aber die Höchstrichter am Betreten des Gebäudes. Darauf hat sich der Gerichtshof ohne neuen Termin vertagt.
Jetzt fällt die Entscheidung über Ägyptens Zukunft auf der Strasse, zwischen den Demokratiedemonstranten am Tahrir-Platz und den auf sie einstürmenden Islamisten. Ein Bürgerkrieg kann in Ägypten nicht mehr ausgeschlossen werden.
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Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet
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