Einsatz für Randständige
«Ich habe gespürt, dass ich gebraucht wurde»
Er gehörte nicht zu denen, welche die Stunden bis zu ihrer Pensionierung zählen. Der Manager Hans Günter fühlte sich mit 60 noch fit und voller Tatendrang.Trotzdem stieg er vorzeitig aus dem Erwerbsleben aus. Er war überzeugt, dass seine Kompetenz auch als Ehrenamtlicher gebraucht würde. Als der Ausstieg feststand, wollten Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter und Bekannte von Hans Günter wissen, was er mit gut 62 Jahren zu tun gedenke. Dass er ihnen alle seine Hobbys inklusive eines Rebbergs aufzählte, genügte ihnen nicht. Sie hatten erwartet, dass er sich als Mann der Wirtschaft mit grossen Branchenkenntnissen sicher eine Anzahl Beratungsmandate holen würde.
Einsatz für Randständige
Zwar standen in der Tat einige Mandate zur Diskussion, aber Hans Günter lag besonders ein Sozialwerk nahe, das seine tatkräftige Unterstützung brauchte: Er liess sich in den Vorstand des JLH (Jesus Lebt Hilfswerk) wählen, das sich Randständigen in der Region Baden annimmt. Mehrere Voll- und Teilzeitangestellte sowie 35 Freiwillige kümmern sich dort um Suchtkranke, psychisch Leidende, Vereinsamte und Sozialhilfe-Empfänger. Das eigene Restaurant «Hope» bietet ihnen Begegnungsmöglichkeiten. Die Einnahmen kommen aus dem bescheidenen Ertrag des Restaurants, einem Beschäftigungsprojekt sowie Beiträgen der Gemeinden Baden und Wettingen. Vor allem lebt das JLH von Spenden. Doch im Herbst 2006 war es finanziell ins Schlingern geraten.Gründung einer Taskforce
Zur Rettung des Werkes wurde eine Taskforce gegründet, in der Vorstandsmitgliederzusammen mit Fachleuten aus der Wirtschaft nach Sanierungsmöglichkeiten suchten. Es galt, das Hilfswerk finanziell zu sanieren, ohne seinen christlichen Auftrag zu gefährden. Hans Günter erinnert sich: «Schon während der Arbeit in der Taskforce fragte ich mich, weshalb ich hier mitmache. Ich hatte keine Ahnung von den Randständigen, sah mich auch nicht als deren Betreuer und fühlte mich schon gar nicht als Sozialarbeiter. Und doch merkte ich, dass meine vielfältigen Erfahrungen aus der Wirtschaft hier gebraucht wurden.»Wichtiges Fundament
Für den pensionierten Manager war klar: «Das Fundament im christlichen Glauben ist das Wichtigste. Aber die Liebe zu den Menschen, Fachwissen, klare Ausrichtung, Regeln, Führung und die Sicherstellung der finanziellen Grundlage ergänzen das Ganze zu einer harmonischen Einheit.» Nur so liessen sich Ziele des Werkes erreichen, und nur so könne der langfristige Bestand gesichert werden. «Auch sozial-diakonische Werke müssen letztlich nach wirtschaftlichen Prinzipien geführt werden», sagt Günter, «auch wenn das nicht von allen gern gehört wird.»Vertrauen schaffen
Bei den Mitarbeitenden löste schon die Bildung der Taskforce Ängste aus. «Nun kommen die Manager, die alles auf den Kopf stellen und statt des Menschen nur noch den Franken sehen», lauteten Befürchtungen. Es brauchte etliche Gespräche, eine offene Information und eine gemeinsame Arbeitstagung aller Beteiligten, bis das Vertrauen zurückkehrte und Verständnis für die Massnahmen zu wachsen begann. Günter im Rückblick: «Rechtzeitige und offene Information schafft Vertrauen!» Es habe sich auch gezeigt, dass man nicht zu viel auf einmal erreichen könne. Dazwischen sei manchmal eine Konsolidierungsphase nötig.Im Laufe dieses Prozesses wurde eine klare Organisation entwickelt, die auf einer ausformulierten Strategie beruhte und zur Festlegung von Jahreszielen führte. Mitarbeitergespräche wurden eingeführt, ebenso Funktions- und Aufgabenbeschriebe sowie Kompetenzregelungen. Manchmal habe er gestaunt, wie oft für einen Wirtschaftsfachmann Selbstverständliches für die Mitarbeitenden gewesen sei. Schliesslich schufen die Regelungen und eine klare Organisation auch Sicherheit.
Kein Sozialarbeiter geworden
Heute profitiere jede Seite von der anderen, stellt Günter befriedigt fest. Die Kombination von diakonischem Auftrag und wirtschaftlichen Notwendigkeiten sei gelungen. «Ich bin zwar nicht gerade zum Sozialarbeiter geworden», schmunzelt Günter. «Aber ich habe gespürt, dass es mich braucht.» Nun engagiert er sich im Fundraising für das JLH mit dem Ziel, jährlich 400‘000 Franken an Spenden zusammenzubringen. Da komme seine «Verkäuferseele» voll zum Tragen. Dabei staune er oft, wo er Grosszügigkeit antreffe und wo nicht.Hans Günter, 63, verheiratet, zwei erwachsene Kinder, wohnt in Otelfingen im aktiven Ruhestand. Der Bankkaufmann bildete sich zum eidg. dipl. Verkaufsleiter und SKU-Unternehmensleiter weiter. Vor seiner Pensionierung war er CEO der Sager AG in Dürrenäsch, zuvor u.a. Vizedirektor der Wancor AG in Regensdorf und Direktor der Zürcher Ziegeleien. Er ist Mitglied der Pfingstmission Baden-Wettingen.
Autor: Fritz Imhof
Quelle: ideaSpektrum Schweiz
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