Der Mensch ist wertvoll
Ein Gynäkologe schwimmt gegen den Strom
Dr. Josef Lingenhöle will mit seinem Leben ein Zeugnis für den Glauben ablegen. Für ihn als Gynäkologen bedeutet dies, den Wert des Lebens hochzuhalten – eine Haltung, die herausfordert.
Während seines Medizinstudiums entwickelte sich bei Josef Lingenhöle seine Begeisterung für ein Thema, welches seinen weiteren beruflichen Werdegang prägte: die vorgeburtliche Entwicklung des Menschen.
Embryologie, Anatomie, Hirnforschung
Während des Studiums zum Facharzt für Geburtshilfe und Gynäkologie befasste sich Lingenhöle zuerst in der Grundlagenforschung mit der Embryologie, vertiefte sich dann in Anatomie mit einem Schwerpunkt in der Hirnforschung. «Die pränatale Entwicklung des menschlichen Hirns faszinierte mich sehr. In diesem Zusammenhang traf ich auf den amerikanischen Forscher Ronan O'Rahilly. Er war der bedeutendste Humanembryologe. Das war eine spannende Zeit.»
1991 machte Lingenhöle das Staatsexamen und 2010 schloss er die Facharztausbildung zum Gynäkologen ab. Während dieser Zeit stärkte sich seine Überzeugung, dass dem Wert des Lebens eine unantastbare Würde zukommt, die geschützt werden muss. Hierzu gehört auch die unantastbare Würde des ungeborenen Lebens. Seit 2011 führt er eine Praxis in Romanshorn.
Wenn ein Gynäkologe absolut «Pro Life» ist
Wer davon überzeugt ist, dass Gott den Menschen in seinem Ebenbild geschaffen hat und zusätzlich vom entstehenden menschlichen Leben fasziniert ist, spricht sich aufgrund dieses Menschenbildes gegen Abtreibungen aus. Für Dr. Josef Lingenhöle war dies jedenfalls klar und so wendet er in seiner Arztpraxis ausschliessliche medizinische Massnahmen an, die sich mit diesem Menschenbild vereinbaren lassen. Er stellt sich nicht nur gegen Abtreibungen, sondern unterscheidet auch klar zwischen Empfängnisregelung und Verhütung. «Viele wollen es nicht wahrhaben, aber viele Verhütungsmethoden wirken frühabtreibend.»
Eine solche Haltung wird nicht von allen geteilt und Lingenhöle erfährt auch Widerstand. Schon während seiner Ausbildung spürte er eine gewisse Diskriminierung. «Es ist schwierig eine Stelle zu erhalten, wenn man keine Abtreibungen macht.» Wegen seiner Überzeugung war auch seine Ausbildung gefährdet. Für den Abschluss der Facharztausbildung musste er Stellen im Ausland (Dublin und London) antreten und einige Zeit der Arbeitslosigkeit in Kauf nehmen. Doch dieser Preis war es ihm wert. Nie war er bereit, durch sein Handeln als Arzt menschliches Leben zu vernichten.
Ärzte, die sich gegen Abtreibungen aussprechen, werden in vielen Gesellschaftsbereichen diffamiert. «Oft werden wir so dargestellt, als würden wir nicht mit der Zeit mitgehen.» Das sei eine grosse Ausrede und Lüge der Zeit. «Entweder ist man ganz fürs Leben oder nicht.» Hier geschehe eine Weichenstellung, deren Auswirkung immer extremere Formen annimmt.
Der Wert des Menschen
Der Wert menschlichen Lebens wird immer weniger geachtet. Diese Tatsache erläutert Lingenhöle anhand der politischen Debatte der Fristenlösung. «1977 sprach sich das Schweizer Stimmvolk gegen die Abtreibung aus. Damals sprach man davon, dass ein Embryo nicht wirklich ein Mensch sei. Jahre später (2002) war ein Embryo zwar wissenschaftlich als Mensch anerkannt, aber trotzdem kam die Fristenlösung in einer erneuten Abstimmung mit 72 Prozent durch.» Das bringt Lingenhöle zur Frage, weshalb die Achtung und der Schutz menschlichen Lebens innerhalb von 25 Jahren so stark an Wert verloren hat.
Eine Antwort sieht er darin, dass in demselben Zeitraum ein massiver gesellschaftlicher Glaubensverlust zu beobachten ist. «Der heutige Mensch will autonom sein, wie Gott. Das ist heute eines der grössten Probleme. Dadurch wird der Mensch dem Menschen ausgeliefert – aus egoistischen und utilitaristischen Gründen werden bisherige Begrenzungen im medizinischen Bereich aufgehoben.» Der schwindende Respekt menschlichen Lebens macht sich nicht nur vor der Geburt bemerkbar, sondern auch am Ende des Lebens.
Wer Leben gering achtet, wird respektlos
«Heute ist es normal, dass Dinge wider besseren Wissens ignoriert werden. Man will es nicht zur Kenntnis nehmen.» Es sei die Folge des Stolzes, sich gegen besseres Wissen mit den eigenen Interessen durchzusetzen, auch wenn dabei andere Menschen Schaden erleiden. «Früher war es wichtig, den anderen zu respektieren und Fragen zu stellen, um ihn zu verstehen.» Heute könne man oft nicht mehr miteinander reden und wolle die Argumente des anderen nicht einmal hören. «Das ist ein weiterer Ausdruck davon, dass wir den Wert des Menschen nicht mehr anerkennen. Jede Person ist einmalig und es ist ein Zeichen der Hochachtung, dass ich mich für sie interessiere.»
Dieser Respekt soll in Lingenhöles Umgang mit Patienten sichtbar werden, indem er sich für jede Patientin genug Zeit nimmt. Für jede neue Patientin wird eine Stunde eingetragen. Er erachtet es auch als Respekt, wenn er alles tut, um ihnen fachlich gesehen gerecht zu werden. «Ich respektiere andere Meinungen, lasse mich aber nicht zu einem Verhalten wider meinen Glauben bewegen oder verleiten.» Konkret: Wer eine Abtreibung durchführen will, wird sich an einen anderen Gynäkologen wenden müssen.
Mit einer Überzeugung nicht allein sein
Obwohl Lingenhöle entschieden für seine Glaubensüberzeugungen eintritt, gibt er sich nicht als Kämpfer, der sich darauf anlegt, andere anzufeinden oder an dem alle Anfeindungen abprallen. Gerade für den Rückhalt seiner Frau ist er sehr dankbar (die beiden haben drei Töchter). Und auch von anderen Menschen in seinem Umfeld sieht er sich gestärkt.
«Heute suche ich Mitarbeitende im Praxisteam, die meine Einstellung mittragen.» Wenn sie sich mit einer Pro-Life Haltung nicht identifizieren können, gibt es unweigerlich Spannungen. «Heute ist es grundsätzlich schwierig, gute Mitarbeitende zu finden. Und in meiner Situation ist es doppelt schwierig.» Eine seiner Mitarbeiterinnen meint dazu: «Ich finde es mutig und bewundernswert, in der heutigen Zeit eine so klare Haltung zu bewahren.» Für sie gehört es dazu, Frauen am Telefon zu informieren, dass gewisse Leistungen nicht angeboten werden. «Es ist schön, in einer Praxis zu arbeiten, wo so klare Grundwerte bestehen.»
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Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet
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