Verein ACT212
Das System des Menschenhandels stören
Besteht Verdacht auf sexuelle Ausbeutung und Menschenhandel, kann dies künftig einer nationalen Meldestelle mitgeteilt werden – auch anonym. Der Verein ACT212 arbeitet an ihrem Aufbau.
«Menschenhandel ist ein Verbrechen, das meist im Verborgenen geschieht», hielt Irene Hirzel fest. Sie ist Geschäftsführerin des Vereins ACT212 (agieren, kooperieren, thematisieren). In Bern orientierte sie über den Aufbau einer nationalen Meldestelle gegen Menschenhandel.
Ängste und Hemmungen der Betroffenen
Im Dezember 2012 wurde das Übereinkommen des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels ratifiziert, welches die Schweiz 2008 unterzeichnet hat. «Viele Personen wagen es nicht, sich direkt an die zuständigen Behörden zu wenden», erklärte Hirzel, die 18 Jahre lang für die Christliche Ostmission gearbeitet hatte. Dabei sei die Hemmschwelle für die Opfer besonders gross.
Bisher fehlte der Schweiz eine nichtstaatliche Meldestelle zur Entgegennahme vertraulicher Hinweise, die auch anonym erfolgen können. Mit dem Projekt zum Aufbau einer nationalen Meldestelle wird diese Lücke geschlossen.
ACT212 ist ein Beratungs- und Schulungszentrum gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung mit dem Ziel, die Bevölkerung und Anrufende mit verschiedenen Stellen wie Strafverfolgungs- und Migrationsbehörden sowie Opferberatungsstellen zu vernetzen. «Nur durch eine optimale Zusammenarbeit mit Behörden und Beratungsstellen können gemeinsame Strategien erarbeitet und umgesetzt werden», so Irene Hirzel.
Gegenseitiges Vertrauen schaffen
Der Jurist Peter Rüegger betonte, dass bei Menschenhandel sehr viel Feingefühl, Geduld und Vertrauensbildung nötig seien, um traumatisierten Opfern zu helfen. Armut bringe sie dazu, ihre Kinder und Familie mit Sexarbeit durchzubringen, deshalb wollten einige auch nicht aussteigen, sondern einfach überleben. «Damit sie Vertrauen fassen und Aussagen machen, brauchen sie zuerst Sicherheit», so Rüegger. Zudem müssten alle involvierten Behörden und Organisationen der Arbeit der anderen vertrauen und deren Vorgehen nicht infrage stellen. Das Opfer gebe den Takt des Verfahrens an und nicht die beteiligten Behörden. «Nur durch Vertrauen lässt sich die Komplexität eines Falls von Menschenhandel angemessen bewältigen», unterstrich der ehemalige Staatsanwalt.
Beispiele aus der Praxis
Vladimir Ubeivolc erläuterte an Beispielen aus Moldawien, wie es dazu kommt, dass Frauen behaupten, sie schafften freiwillig an: «Wenn Eltern ihre halb erwachsenen Kinder zurücklassen, um im Ausland Geld zu verdienen, werden diese zur leichten Beute für Menschenhändler.» Werde ein Mädchen an einen Zuhälter verkauft, der es vergewaltigen lässt und schlägt, sei der nächste, der es nicht schlägt, schon «ein besserer» Mensch. «Der dritte Zuhälter kauft dem Mädchen schöne Kleider, führt es aus, gibt ihm ein eigenes Zimmer. Für die geschundene junge Frau wird er zum Erlöser.» Sie identifiziere sich mit ihm, da sie nach dieser Gehirnwäsche am Loverboy- oder Stockholm-Syndrom leide und behaupte, freiwillig für ihn zu arbeiten. Ubeivolc leitet zusammen mit seiner Frau Yulia den Verein «Beginning of life». Sie machen Präventionsarbeit in staatlichen Schulen und haben Häuser in Moldawien, in denen Opfern geholfen wird, ein neues Leben aufzubauen.
Armutsbekämpfung ist Pflicht
«Wenn eine Regierung nichts unternimmt, um Armut zu bekämpfen, hat sie versagt.» Alexander Ott, Leiter des Polizeiinspektorats und Vorsteher der Fremdenpolizei der Stadt Bern, bestätigte die These, dass es vor Ort gute Arbeits- und Lebensbedingungen brauche, um Menschenhandel einzudämmen. In der Schweiz sei die Vernetzung von Behörden und Hilfswerken des Bundes, der Kantone, Städte und Gemeinden nötig, um Hinweise auf unlautere Machenschaften zu bekommen. «Es kann ein Reisebüro oder eine Arztpraxis sein, wo Ungereimtheiten auffallen», erklärte er. «Die dort Angestellten haben zwar keine Handlungskompetenz, aber sie können ihre Beobachtungen melden.» Ott glaubt nicht daran, dass Menschenhandel ausgerottet werden kann. Aber einzelnen Menschen könne geholfen werden, und zwar dann, wenn andere mithelfen, das Geschäft mit Menschen zu stören – indem sie sich informieren und melden, wenn ihnen etwas auffällt.
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Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: ideaSpektrum Schweiz
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