Interview

Ben Girod von den Amischen erlebt «Versöhnung mit Zwingli»

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Ben und Barbara Girod
Sie waren nicht zu übersehen in Winterthur: 40 Amische, Männer, Frauen und Kinder aus dem fernen Westen der USA. Die Nachfahren von Täufern, die einst in der Schweiz verfolgt wurden, empfanden die von der Stiftung Schleife organisierte Konferenz als ein Heimkommen zu ihren Wurzeln – zu ihren geistlichen Vätern in der Reformation.

Livenet sprach mit Ben Girod, dem Initianten dieser Reise zur Aussöhnung mit der Geschichte. Girod ringt seit 20 Jahren um eine geistliche Erneuerung der Gemeinschaft der Amischen*. Das Gespräch fand kurz vor der Feier im Grossmünster statt, in der der Zürcher reformierte Kirchenratspräsident Pfr. Ruedi Reich die Vertreter der Täufer als ‚Schwestern und Brüder in Christo‘ willkommen hiess. Reich bekannte die Schuld der reformierten Kirche mit den Worten, die Verfolgung taufgesinnter Menschen sei ein ‚Verrat am Evangelium‘ gewesen.

Livenet: Ben Girod, Sie haben einen langen Weg hinter sich. Wann begann Ihre Reise?

Ben Girod: Sie begann, als ich geboren wurde. Wie es der Prophet Jeremia von Gott hörte, der ihn von Mutterleib an berief. Im eigentlichen Sinn begann die Reise allerdings erst, als ich 37-jährig war und Gott mich heimsuchte.

Ich wurde in Berne im Bundesstaat Indiana geboren. Wir lebten da und später in Bowling Green, Missouri. Wir suchten den Herrn viele Jahre lang. Man hatte uns gelehrt, dass wir bis nach dem Tod unserer Rettung nicht gewiss sein könnten. In diesem Umfeld lebten wir. Da kam eines Tages der Herr in einer dramatischen Weise zu mir und veränderte mein Leben für immer. In diesem Moment, als er das Heil tief in mein Herz brachte – und den Frieden, der über alles Verstehen geht –, im selben Augenblick offenbarte er mir seine Strenge. Ich sah mit Schaudern den geistlichen Zustand der Volksgruppe der Amischen. Doch Gott berief uns von diesem Tag an, unter den Amischen zu leben.

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Ben Girod und Geri Keller
Den Lebensstil der Amischen beizubehalten – aber in einem anderen Geist?

Ja, in einem erneuerten Geist. Aber natürlich bedeutete das viel Schmerz und Leid, wohin wir auch gingen.

Wurden Sie von den Amischen ausgeschlossen?

In Missouri wiesen uns die Leiter schliesslich aus der Gemeinschaft weg. Wir zogen nach Pennsylvania und suchten dort Aufnahme in verschiedenen Gemeinden. Endlich zogen wir nach Michigan.

Sie lebten äusserlich wie die anderen Amischen – doch mit innerer Freiheit. Und für diese Freiheit, die Sie empfanden, suchten sie Akzeptanz?

Ja, genau. Wir sprachen nicht über unsere Erfahrungen. Wir suchten die Gemeindeleiter auch nicht neu zu lehren. Wir baten bloss um Aufnahme. Dies wurde uns nirgends gewährt. Dabei sprachen wir nicht über das, was uns beschäftigte, wir drängten niemand unsere Denkweise auf. Aber man mochte uns nicht dulden. Wir handelten nach den Worten von Jesus, der seinen Jüngern auftrug, im Fall von Verfolgung in die nächste Stadt zu fliehen. Genauso erging es uns: Wir zogen von Stadt zu Stadt, quer durchs Land.

Schliesslich führte uns der Herr nach Idaho. Er hatte die Absicht, uns mit dem grösseren Teil seines Leibes (der christlichen Kirche) zu verbinden. Das ist geschehen, und zu diesen Verbindungen gehört nun sogar die reformierte Kirche hier in der Schweiz!

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Alphörner im Zürcher Grossmünster
Könnte man sagen, dass Sie in Idaho, fernab der Zentren der Amisch-Kultur, wo der Traditionalismus am stärksten ist, Frieden fanden?

Es war Gottes Handeln. Er brachte uns weg von diesen Zentren unserer Kultur. Jetzt verstehen wir warum: Nach allen schweren Zeiten wollte er uns zusammenführen mit dem grösseren Teil des Leibes, auch im Ausland. Ein Prophet sagte mir vor einigen Jahren, wenn ich gehorsam bleibe, werde Gott diesen Dienst international ausweiten. Nun geschieht es.

Diese Versöhnung mit Zwingli, hier in der Schweiz, rührt eine Saite in meinem Herzen an, dass ich es gar nicht mit Worten ausdrücken kann. Diese Versöhnung ist real: Zwingli und Konrad Grebel (einer der ersten Täufer, zuvor ein Freund Zwinglis auf dem Weg zur Reformation in Zürich – Red.) finden nun im Auftrag und durch die Fügung Gottes wieder zueinander, im Namen von Jesus.

Sie haben Geri Keller von der Stiftung Schleife erst im letzten Jahr getroffen. Wie kamen Sie zur Einsicht, dass er die Brücke zu Zwingli bauen würde?

Ich begriff das lange nicht. Wir standen in Verbindung mit David Demians Organisation „Watchmen für the Nations“ und wussten, dass Sie Leiter in der Schweiz kannten. Dies brachte in uns gleich eine Saite zum Schwingen. Wir wussten nicht mehr, spürten einfach einen brennenden Wunsch, diese Leiter zu treffen. Ich fragte David, ob ich mit ihm in die Schweiz reisen könne. Er hatte Bedenken. Denn er wusste nicht, dass Geri Keller sich nach einem Kontakt mit uns sehnte. Vor neun Monaten trafen wir uns, Geri und ich, Lilo und Barbara, und da brauchten wir nicht viele Worte – wir wussten einfach, dass unsere Herzen zusammengefügt waren.

Kommen wir zurück zu den Amischen. Sehen Sie in den Gemeinschaften, die zerstreut in den USA leben, ein zunehmendes Verlangen nach Freiheit? Seit langem rebellieren vor allem Jugendliche gegen die strikten Regeln, zum Beispiel indem sie Autos fahren. Gibt es einen neuen Durst nach innerer Freiheit, Interesse für den Weg, den Sie gegangen sind?

Ja, überall unter Amischen in den USA findet sich ein Verlangen, das zum Ausdruck kommen will. Bis zu diesem Punkt wird diese Sehnsucht von den Leitern der Gemeinschaft unter dem Deckel gehalten. Bisher gelang die Unterdrückung. Aber nach dem, was heute geschieht, erwarten wir sehr bald zu hören, dass diese Amischen hervorbrechen werden aus den Gemeinden. Und die Bischöfe und die Leiter werden das nicht stoppen können. Davon bin ich überzeugt. Der Drang nach Freiheit nimmt zu. Dies ist die Kairos-Zeit des Herrn. Die Bewegung wird stärker. Sie werden hervorbrechen. Und man wird das nicht stoppen können.

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Reformierte Pfarrer waschen Amischen die Füsse
Worauf gründet sich diese Erwartung? Sind Sie im Kontakt mit vielen Leitern und Bischöfen der Amischen in den USA, die das bestätigen?

Zur Zeit habe ich nicht mehr viele Kontakte mit Leitern. Früher war das anders: Ich hatte mit Bischöfen im ganzen Land zu tun. Aber sie waren alle gegen mich eingestellt. Sie hatten meinetwegen zahlreiche Sitzungen und berieten, wie sie mit mir umgehen sollten. Ich habe nie Widerstand geleistet, nie mich gegen sie erhoben oder mich gerechtfertigt. Aus diesem Grund weiss ich: Nachdem sie das Ihre getan haben, wird Gott nun tun, was Er vorhat.

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* Die Amischen (engl. Amish) sind Nachfahren von Täufern, die sich ums Jahr 1695 unter Führung eines Jakob Ammann von den konservativen Mennoniten abspalteten, weil sie pietistische Einflüsse ablehnten. Ammann verlangte einfache Kleidung und drang unter anderem darauf, dass Männer ihre Bärte nicht stutzten. Die Spaltung geschah in der Schweiz und im Elsass.

Nach 1710 überquerten die ersten Amischen den Atlantik. 1787 gab es in Pennsylvania etwa 70 Gemeinden. Formelle Diskussionen über die Gemeindeordnung (1862-1878) führten zu einer Trennung: Die progressiveren Amish-Mennonites gingen später in den Mennonitengemeinden der Umgebung auf; die ‚Old Order Amish‘ beharrten auf ihrem Traditionalismus.

Um 1985 gab es in den USA (v.a. in Pennsylvania, Ohio und Indiana) etwa 35'000 und in Kanada (Ontario) etwa 700 erwachsene Amische. Sie leben in weitgehend autarken bäuerlichen Gemeinschaften, die in der Regel ohne Stromzufuhr auskommen, die meisten Errungenschaften der Technik ablehnen und Kontakte mit Aussenstehenden meiden.

Die Amischen praktizieren bis heute in der Kirchenzucht das ‚Shunning‘: Wer nicht gemäss den Regeln der Gemeinschaft lebt, wird ausgeschlossen und konsequent gemieden – auch wenn er der Nachbar ist.

Die Gruppe um Ben Girod, die sich von zahlreichen Geboten der Amischen freigemacht hat, lebt in Bonners Ferry im Norden Idahos und in Libby, Montana, nahe der kanadischen Grenze.

Weitere Livenet-Artikel zur Konferenz:

www.livenet.ch/www/index.php/D/article/189/8028 (Stimmen von Mennoniten und Reformierten)

www.livenet.ch/www/index.php/D/article/189/8009 (Bericht über den Konferenzverlauf)

www.livenet.ch/www/index.php/D/article/103/7794 (Geschichtliche Hintergründe)

www.livenet.ch/www/index.php/D/article/154/7823 (Kirchliche Stimmen vor der Konferenz)

Webseite: www.schleife.ch

Datum: 09.05.2003

Kommentar

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