Bibelübersetzungen überarbeitet
Dem Volk wieder mehr «aufs Maul geschaut»
Die Lutherbibel ist für viele Christen eine Institution: unveränderlich und sprachgewaltig. Doch die Übersetzung wurde im Laufe der Jahrhunderte etliche Male überarbeitet – mal mehr, mal weniger glücklich. Die neue Revision soll 2016 am Reformationstag erscheinen, sie geht einen Schritt zurück und ist deshalb für viele ein Fortschritt.
Es sollte ursprünglich gar keine Revision werden, die evangelische Kirche wollte die Lutherbibel nur auf Fehler durchsehen lassen. Doch inzwischen ist die kleine Korrektur zum Grossprojekt geworden, bei dem 70 Theologen und Sprachwissenschaftler daran arbeiten, zur Sprachgewalt Luthers zurückzufinden.Der erste Korrektor war Luther selbst
Eigentlich gab es «die» Lutherbibel nie. Ihr Text war schon immer im Fluss gewesen. 1522 startete Luther als Junker Jörg auf der Wartburg seine Bibelübersetzung. In nur 11 Wochen übertrug er das Neue Testament ins Deutsche. Der Zeitdruck war gewollt, denn zur Leipziger Buchmesse im gleichen Jahr konnte er sein «Septembertestament» bereits unters Volk bringen. Da er selbst mit seiner Übersetzungsqualität nicht zufrieden war, begann Luther parallel zur Arbeit am Alten Testament damit, seine NT-Übersetzung zu verbessern. Und dieses Korrigieren setzte er fort bis 1545, wo kurz vor seinem Tod die letzte Wittenberger Ausgabe seiner Bibel erschien.
Versuche und Fehlversuche
Auch die weitere Geschichte der Lutherbibel ist von Veränderungen geprägt. So neutral muss man es fast ausdrücken, denn beileibe nicht jede Korrektur war eine Verbesserung. Heute schaut Christoph Levin, einer der bearbeitenden Theologen auf den vorliegenden Text von 1964 (AT) und 1984 (NT) und schüttelt den Kopf. Vieles sei sogar in der alten Übersetzung von 1912 besser gewesen, unterstreicht er. Und dem Sonntagsmagazin gegenüber erklärt er: «Die Weihnachtsgeschichte ist ein ganz trauriges Kapitel.» Dabei ist die jetzige Bibelübersetzung deutlich besser als die vorige Überarbeitung, das sogenannte «Eimertestament» von 1975. Den spöttischen Namen erhielt es, weil man darin sein Licht nicht mehr unter den Scheffel, sondern unter einen Eimer stellte. Der Altphilologe Walter Jens sprach damals von «Eingängigkeit um jeden Preis» und kritisierte die «spannungslose Einerlei-Rede».
12'000 mal «aufs Maul geschaut»
Das Motto der aktuellen Revision ist «bewahren, wiederherstellen, korrigieren». Und das haben die Theologen und Sprachwissenschaftler an ca. 12'000 Stellen getan. Im NT wurde fast die Hälfte aller Verse bearbeitet. Manches wurde erneuert – so wurde die Ansprache in den Paulusbriefen auf das zeitgemässere «Brüder und Schwestern» umgestellt. Manches wurde für den Gebrauch in Gottesdienst und Liturgie angepasst. Und sehr vieles wurde so abgeändert, dass die alte Sprachgewalt Luthers wieder durchscheint. Levin betont, dass Luthers Übersetzungen sich immer als «sprachschöpferisch, poetisch, empathisch und stilprägend» erwiesen hätten. Ihre Sätze klingen, sie lassen sich lernen und singen. Und bleiben dabei verständlich. Diese «liturgische Brauchbarkeit» steht im Mittelpunkt der neuen alten Übersetzung. Luther 2016 – man darf gespannt sein…
Nicht nur Luther wird erneuert
Nicht nur die Lutherbibel wird immer wieder überarbeitet. Dies gilt praktisch für jede lebendige Übersetzung. So hat die «Hoffnung für alle»-Bibel des Schweizer Fontis Verlags gerade erst ihr 30-jähriges Jubiläum gefeiert. Trotzdem wurde sie gründlich durchgesehen und ist gerade frisch erschienen – nicht nur in neuem Gewand, sondern jeder Vers wurde noch einmal neu überprüft und gegebenenfalls neu übersetzt. Die Motivation von Projektleiter Urs Stingelin und seinem Team war dabei dieselbe wie Luthers. So unterstreicht er: «Die Bibel soll uns Menschen dienen, damit wir von Gott erfahren. Deswegen hat er sich auf die Sprache der Menschen eingelassen.» Tatsächlich könnte uns Gottes Wort weder berühren noch verändern, wenn wir es nicht verstehen würden. Wir brauchen also gute Bibelübersetzungen – wobei die beste Übersetzung immer noch diejenige ist, die man auch liest.
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet / Sonntagsblatt