Heilsames Alleinsein

«Ich faste Gemeinschaft»

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Einsamkeit macht krank. Das unterstreichen viele Studien. Ausserdem schwingt bei dem Begriff etwas mit, das nach «der kommt mit seinem Leben nicht zurecht» klingt. Trotzdem habe ich mir überlegt, in dieser Fastenzeit regelmässig Gemeinschaft zu fasten – also bewusst Allein-Zeiten einzurichten.

Mein Leben ist voll – und das ist schön. Ich geniesse es, mit lieben Kolleginnen zusammenzuarbeiten. Ich freue mich darauf, nach Hause zu kommen und Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Ich liebe Besuch. Ich lerne gern neue Menschen kennen. Aber manchmal wird mir alles zu viel. Und dann merke ich, dass aus «voll» ein «zu voll» geworden ist. Beim Blick auf die diesjährige Fastenzeit kam mir der Gedanke: Wie wäre es, einmal Gemeinschaft zu fasten? Ich werde natürlich in dieser Zeit nicht auf eine einsame Insel ziehen, ich werde weiterarbeiten und auch daheim kein Eremitendasein führen. Aber ich werde mich immer mal wieder ausklinken. Weil ich denke, dass es mir guttut.

Alleinsein ist nicht Einsamkeit

Selbst wenn wir gut im Freundeskreis vernetzt sind und eine liebevolle Familie haben, erleben wir immer wieder, dass wir an existenziellen Punkten im Leben allein sind. Wir werden allein geboren und sterben allein, auch wenn andere Menschen versuchen, uns liebevoll zu begleiten. Diese Erkenntnis kann schon Angst machen. Und da sind wir beim Thema Einsamkeit angekommen. Der Soziologe Rolf Haubl meint zum Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein: «Einsam sein schmerzt, alleine sein tut gut.» Denn Einsamkeit ist meist nicht selbst gewählt. Der Psychologe Manfred Spitzer nennt sie sogar «Todesursache Nummer eins». Sie ist mindestens so tödlich wie das tägliche Rauchen einer Packung Zigaretten. Aber dieses zerstörerische Gefühl hat erst einmal nichts mit dem Alleinsein zu tun. Denn dieses kann sehr positiv sein.

Alleinsein ist erholsam

Was für die eine gruselig scheint, ist für den anderen etwas Besonderes: Zeit mit dem Menschen, den ich am besten kenne und dem ich nichts vormachen brauche – mit mir selbst. So ist es kein Wunder, dass Alleinsein in einer BBC-Umfrage über die erholsamsten Aktivitäten auf Platz drei landete – nach Lesen und dem Unterwegssein in der Natur, was auch selten in grossen Gruppen geschieht. Wer Zeit hat, über sich selbst nachzudenken, sich neu auszurichten, einmal ruhig zu werden und auf Gott zu hören, der empfindet dies oft als erholsam. Besonders nach einer gewissen Gewöhnungszeit, denn genussvolles Alleinsein funktioniert nicht auf Knopfdruck.

Bewusst offline

Wenn ich jemanden sehe, der allein im Restaurant isst, dann ist mein erster Gedanke: «Der Ärmste.» Warum eigentlich? Vielleicht feiert er diese Zeit mit sich selbst? Denn eigentlich sind wir (bin ich) eher selten nur für mich. Ich schreibe diese Zeilen, während ich mit Musik im Büro sitze, zwischendrin einen Blick auf mein Handy werfe und gleich meinen Koffer für den Willowcreek-Kongress mit über 10'000 Teilnehmenden packe. Das ist alles okay, aber ich denke, dass es mir guttut, auch einmal das Handy auszuschalten, Ruhe zu haben, rauszugehen, allein zu sein. Dann ist das einzige, was ich höre, Vogelgezwitscher und meine innere Stimme. So wie ich mich kenne, werden sich meine Gedanken eine ganze Weile lang um alles mögliche Nebensächliche drehen – aber warum auch nicht? Ich bin ja nicht unter Leistungsdruck mit meiner Idee vom Ab-und-zu-allein-Sein.

Gott und ich

Alleinsein – das immer auch das Alleinsein mit Gott ist – hat tatsächlich viele biblische Vorbilder. Abraham gewinnt neue Perspektiven, als Gott ihn aus seiner Zeltstadt herausführt und ihm den Blick in den Himmel öffnet: «Sieh doch zum Himmel und zähle die Sterne, wenn du sie zählen kannst!» (1. Mose, Kapitel 15, Vers 5). Ähnlich ergeht es dem Seher Johannes auf der Insel Patmos, wo Gott ihm begegnet (Offenbarung, Kapitel 1) – und dazwischen noch vielen anderen Männern und Frauen der Bibel. Selbst Jesus sucht immer wieder Zeiten der Ruhe und des Alleinseins: « Und am Morgen, als es noch sehr dunkel war, stand er auf, ging hinaus an einen einsamen Ort und betete dort» (Markus, Kapitel 1, Vers 35).

Fit für die Gemeinschaft

Neuausrichtung. Kraft. Erholung. Für mich klingen diese Begriffe nach einem lohnenden Ziel. Und ich rechne damit, dass es mich einen grossen Schritt in diese Richtung voranbringt, wenn ich mich in den nächsten Wochen immer wieder einmal zurückziehen werde. Nicht weil ich es muss, sondern weil ich es kann und will. Das Paradoxe daran fasste schon der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer zusammen: «Christen, die nicht allein mit sich fertig werden können, […] hoffen in der Gemeinschaft anderer Menschen Hilfe zu erfahren. Meist werden sie enttäuscht und machen dann der Gemeinschaft zum Vorwurf, was ihre eigenste Schuld ist.» Und er spitzt seine Aussage sogar noch weiter zu: «Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft. Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein.»

In diesem Sinne: heilsames Alleinsein.

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Datum: 02.03.2020
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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