100 Jahre Ägypten

«Es ging nicht um Religion, sondern Fähigkeit»

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Kamil Samaan (hinten links im beigen Oberteil) zu Besuch bei einem ägyptischen Kinderheim (Bild: Kirche in Not)
Am 28. Februar feiert Ägypten 100 Jahre Unabhängigkeit von Grossbritannien. Livenet sprach mit Pfarrer Kamil Samaan, der auf Einladung des Werks «Kirche in Not» kürzlich in der Schweiz war und einen Einblick in die Christenheit Ägyptens gab.

Kamil Samaan, kürzlich gab es einen ganz besonderen Grund zum Feiern, der Christ Boulos Fahmy Eskandar wurde in eine Top-Position ernannt, nämlich zum Höchsten Richter des Landes – können Sie das kurz erklären?
Kamil Samaan:
Zum ersten Mal ist nun der oberste Richter ein Christ. Das ist ein gutes Signal für die Ägypter. Es ging nicht um Religion, sondern Fähigkeit. Der Mann ist fähig, er wurde ernannt.

Welche Hoffnung bringt das mit sich? Lange Zeit war so etwas kein Thema.
Es gab bereits andere Signale, welche zeigten, dass Christen höhere Positionen erreichen können. Eine christliche Gouverneurin wurde in einer Provinz eingesetzt, in der Christen nur ein halbes Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie leistet gute Arbeit und ebnet so den Weg – für Christen und für Frauen. Die Wege sind nicht alle zu. Die höhere politische Schicht ist sich bewusst, dass die Christen lange unter Ungerechtigkeit gelitten haben. Sie versucht, es besser zu machen.

Kann von einem Umbruch gesprochen werden oder wäre das in der Gesamtheit noch zu früh?
Das Umdenken geschieht in der höchsten politischen Klasse. Aber bei der Bevölkerung ist das noch weit weg. Jahrzehnte, Jahrhunderte lang nährte man die feste Überzeugung, dass die Muslime die besten Menschen sind. Da blieb kein erster Platz für Nicht-Muslime. Damit diese Denkweise von der höchsten politischen Klasse nach unten kommt, braucht es seine Zeit und Bemühung. Wir sind dabei, etwas zu tun.

Was könnten die nächsten Schritte sein?
Ich selbst bin in einer Gruppe mit evangelischen Pastoren und muslimischen Universitätsprofessoren, wir haben uns zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zu leisten – in den Schulen. Wir treffen uns zuerst mit den Religionslehrern. Wir bringen ihnen die Werte der Versöhnung, der Toleranz, das gute Zusammenleben bei, damit sie es den Schülerinnen und Schülern weitergeben. Ein weiteres Mal treffen wir uns mit den Eltern und dann mit den Schülerinnen und Schülern. So bildet man die unterste Altersschicht für diese Offenheit. Bis jetzt haben wir über 180 Schulen besucht. Wir wollen die staatlichen Schulen erreichen … und warum nicht auch Studenten an der Universität.

Nun wird die 100-jährige Unabhängigkeit gefeiert – Ägypten ist natürlich schon sehr viel älter. Hat dies eine Bedeutung?
Ich habe davon nichts gespürt. Vielleicht weil man nur eine offizielle Erklärung unterzeichnete. Die Engländer blieben in Ägypten, sie hatten immer die Oberhand, auch in der Politik. Wenn nicht direkt, dann indirekt durch den Suezkanal und viele andere finanzielle Positionen. Man spürte nicht viel davon. Vielleicht durch den Absturz des Königs 1952. Da könnte man vielleicht etwas feiern...

Sie sind in der Schweiz auf Einladung von «Kirche in Not», das impliziert, dass es Herausforderungen gibt. Was bedeutet das genau?
Die oberste Klasse ist davon überzeugt, die unterste noch nicht. Wir müssen unsere Anerkennung erkämpfen. Die Katholiken tun dies im medizinischen Bereich, mit Sozialarbeit, und wir haben 172 Schulen, manche von ihnen kosten fast nichts – das braucht Geld. Bei der Sozialarbeit helfen wir durch ein Entwicklungsbüro in jedem Bistum dem Volk. Gesundheitseinrichtungen, wie Krankenhäuser und Krankenstationen sind zum Dienst aller Bürgerinnen und Bürger. Das Hilfswerk «Kirche in Not» und andere Hilfswerke helfen uns stark. Durch dieses konkrete Zeugnis steigt die Anerkennung in der unteren Schicht.

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Datum: 28.02.2022
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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