Kirchen nach Lockdown
Adrian Nes: «Beziehungsorientiert statt programmorientiert!»
Für einige Kirchen war der
Lockdown schockierend und lähmend, und das gesamte Kirchenleben lag brach,
andere nahmen die Herausforderung als Chance für Neues. Livenet sprach mit
mehreren Pastorinnen und Pastoren über Schönes und Schweres, über Lernfelder und
mögliches Neuland nach Corona. Adrian Nes von der FEG Wil erzählt davon, dass
er und seine Gemeinde nicht einfach so in die alte Normalität zurückkehren wollen…Wie haben Sie die
Corona-Zeit als Pastor und Gemeinde erlebt? Was war herausfordernd?
Adrian Nes: Als hoch beziehungsorientierter Mensch war die
Corona-Zeit für mich insofern herausfordernd, dass mir die direkten Kontakte
und Beziehungen stark gefehlt haben. Wir haben schnell auf Online-Gottesdienste
und Zoom-Meetings umgestellt, weit über 100 Telefonanrufe getätigt, um mit den
Menschen in Verbindung zu bleiben und Hilfseinsätze zu koordinieren, aber die
Gemeinschaft vor Ort hat sehr gefehlt. Wir sind aber dankbar, dass die meisten
Menschen aus der Gemeinde diese Zeit gut überstanden haben. Durch das
vorhandene Beziehungsnetz musste niemand in der Isolation sein. Die Beziehungen
in der Gemeinde wurden durch die Krise nicht geschwächt, sondern eher gestärkt.
Wo gab es Lichtblicke,
Chancen, Weiterentwicklungen?
Die Nächstenliebe und die
Fürsorge, die in dieser Zeit gelebt wurden, waren beispiellos. Wir konnten
praktisch erfahren, dass wir Teil einer grossen Familie sind. Die Online-Gottesdienste
wurden auch von Menschen angeschaut, die sonst unsere Gottesdienste nicht
besuchen würden. Durch diese Krise haben wir
die Predigt auch im Video-Format aufgenommen – ein Projekt, das schon länger in
Planung war. Nun ist es zum Standard geworden, dass wir nicht nur ein
Audio-Podcast, sondern auch ein Video-Podcast haben. Wir sind dank Corona
digitaler geworden.
Gab es Ermutigendes in
Ihrem privaten Umfeld?
Wir erleben, dass einzelne
Bekannte von uns durch die Krise offener für das Evangelium geworden sind. Als
Familie sind wir in dieser Zeit stärker zusammengewachsen. Auch die Beziehungen
in der Verwandtschaft haben sich trotz Distanz intensiviert.
Schon am Anfang der Corona-Zeit habe ich das Wort aus Lukas-Evangelium, Kapitel 22, Vers 31 bekommen, das mich durch diese Zeit begleitet hat: «Simon, Simon, der Satan hat sich erbeten, euch schütteln zu dürfen wie den Weizen im Sieb. Ich aber habe für dich gebetet, dass du deinen Glauben nicht verlierst. Wenn du dann umgekehrt und zurechtgekommen bist, stärke den Glauben deiner Brüder!» Satan wollte uns durch diese Krise schaden, aber Jesus betet für uns, dass wir dadurch im Glauben gestärkt werden. Die Krise ist nicht dazu da gewesen, um unseren Glauben zu zerstören, sondern um ihn zu reinigen, wie der Weizen, der geschüttelt wird, um ihn von der Spreu zu trennen.
Wie erleben Sie jetzt nach drei Monaten Lockdown die Kirchen-Lockup-Phase?
Wir durften schon zwei
Gottesdienste feiern. Die Freude des Wiedersehens ist gross! Die Gemeinde ist
sehr diszipliniert und hält sich an das Schutzkonzept. Einzelne Personen haben
noch Angst und bleiben im Moment noch zu Hause. Es ist traurig, dass die
Gemeinde im Gottesdienst noch nicht mitsingen darf, aber die Dankbarkeit, dass
wir uns wieder treffen dürfen, überwiegt. Wir schauen zuversichtlich in die
Zukunft und fokussieren uns auf die Möglichkeiten, statt über die
Einschränkungen enttäuscht zu sein.
Geht es nach Corona zurück
zum Business as usual oder haben Sie neue Ideen und Konzepte für die
Zeit danach?
Wir
wollen nicht einfach so in die alte Normalität zurückkehren. Wir möchten in der
Zukunft vermehrt beziehungsorientiert statt programmorientiert Kirche bauen. Der Sonntagmorgen ist zwar wichtig, aber was unter
der Woche in den Häusern passiert, ist genauso von Bedeutung. Diese Sicht wollen
wir vermehrt vermitteln und die Gemeinde ermutigen, vermehrt auch im Alltag zu
Hause mit anderen Menschen Gemeinschaft untereinander zu haben.
Welche konkreten Schritte
und Veränderungen planen Sie oder haben Sie schon vorgenommen?
Wir planen, die Entstehung
von neuen Kleingruppen zu fördern, damit noch mehr Menschen aus der Gemeinde in
einem Beziehungsnetz eingebettet sind. Denn diese Beziehungen waren in der
Corona-Zeit sehr wichtig und haben sich als tragend erwiesen. Die Predigt wird nach
der Corona-Zeit weiterhin als Livestream angeboten, um auch Kirchenferne oder
Menschen, die zu Hause bleiben müssen, via Internet zu erreichen.
Zur Webseite:
FEG Wil
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Autor: Meike Ditthardt
Quelle: Livenet
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