Christliche Aktion in Berlin

«Ich will zeigen, dass die Kirche helfen kann»

Viktor Weber trägt seine Berufung auf der Brust. Regelmässig spaziert er mit einem T-Shirt durch Berlin-Spandau, auf dem steht: «Ich bin ein Berliner...Pfarrer. Ich habe Zeit für Sie». pro hat den evangelischen Geistlichen gefragt, warum er das macht, wie die Zukunft der Kirche aussieht und ob die Hauptstadt tatsächlich so atheistisch ist, wie man ihr nachsagt.

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Viktor Weber
pro: Herr Weber, Sie waren heute wieder mit Ihrem Pfarrer-T-Shirt unterwegs. Wie sind die Berliner Ihnen begegnet?
Viktor Weber:
Das war jetzt das zweite Mal, dass ich mit dem T-Shirt auf der Strasse war. Ich bin zu einer Bäckerei in meinem Stadtteil gegangen, vor der eine vielbefahrene Strasse liegt und wo ich immer auf Menschen treffe. Ich habe mir drinnen einen Kaffee bestellt und mich dann draussen hingesetzt, sodass die anderen Gäste die Schrift auf meinem T-Shirt auch lesen können.

Zwei Damen haben dann gleich etwas genauer hingeschaut und ich fragte sie, wie ihnen mein T-Shirt gefällt. Das ist immer ein guter Einstieg für ein Gespräch. Die beiden Frauen waren dann total offen, haben mir ein wenig aus ihrem Leben erzählt und sogar etwas von ihren Erfahrungen mit der Kirche. Die eine von ihnen sprach über die Taufe ihres Bruders, die andere sagte, sie fände meine Idee kreativ und möge es, dass ich für meine Sache einstehe. Als ich schon fast auf dem Nachhauseweg war, bin ich noch mit einer anderen Frau ins Gespräch gekommen, die sagte, sie sei zwar nicht getauft, aber habe eine Verbindung zur Kirche. Ich habe sie zu unserem nächsten Gottesdienst eingeladen.

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T-Shirt «Ich bin ein Berliner Pfarrer, ich habe Zeit für Sie»
Was ist Ihr Ziel mit dieser Aktion?
Ich habe immer ein Kircheneintrittsformular dabei – und Verbandszeug! Nein, das ist natürlich ein Scherz, aber ich weiss ja vorher tatsächlich nicht, was an solchen Nachmittagen passiert. Ich erhoffe mir dadurch eine höhere Präsenz der Kirche in der Gesellschaft. Ich möchte auf natürliche und sympathische Art und Weise zeigen, dass es in meiner Gegend einen Pfarrer, eine Kirche – ja, Christentum – gibt. Andererseits interessiere ich mich tatsächlich auch für die Situation der Menschen in meiner Gemeinde und in meinem Gemeindegebiet.

Nur 25 Prozent der Berliner sind Teil einer der grossen Kirchen. Den Grossteil treffe ich also nicht im Gottesdienst. Ich möchte aber ein Gefühl dafür bekommen, was im Stadtteil los ist – und auch meinen seelsorgerlichen Auftrag wahrnehmen. Wir müssen als Kirche aufpassen, dass wir uns auch vor dem Hintergrund der aktuell stark rückläufigen Mitgliederzahlen nicht zu sehr nur mit unseren Kirchengemeinden beschäftigen, obwohl die natürlich auch wichtig sind. Wir müssen unseren Fokus nach aussen richten. Ich will sicher niemanden zwangsmissionieren. Aber ich will den Menschen zeigen, was die Kirche in ihrem Stadtteil alles tut. Dass das cool ist. Und ihnen helfen kann.

Sie haben gerade scherzhaft gesagt, Sie hätten immer Verbandszeug dabei. Sind Ihnen Menschen bei der Aktion schon einmal feindselig begegnet?
Bis auf eine Ausnahme waren die Reaktionen immer sehr positiv und freundlich. Just heute wurde ich von einem stark alkoholisierten Mann angepöbelt. Schwer zu sagen, ob das mit der Aktion zu tun hatte und er überhaupt noch in der Lage war, die Aufschrift auf meinem T-Shirt zu lesen. Vielleicht war es Zufall und ich seine Fläche zum Abreagieren.

Sucht die Kirche zu selten den Kontakt zu kirchenfernen Menschen?
Die Frage, die uns alle umtreibt, ist: Wie schaffen wir es, den Mitgliederrückgang zu bremsen? Ich persönlich finde, dass die Kirche und all ihre Mitarbeiter eine sehr gute Arbeit machen. Wir haben ein gutes Angebot, es gibt viel Innovatives, auch wenn man es nicht immer sieht. Doch mit all diesen Angeboten werden wir den Trend, dass immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, nicht stoppen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir das müssen. Als Landeskirche haben wir die luxuriöse Situation, traditionsbedingt eine sehr breite Mitgliederbasis zu haben – anders als etwa Freikirchen. Es geht uns komfortabel. Der Mitgliederschwund ist so gesehen eigentlich eine Normalisierung der Situation, insofern, dass am Ende vielleicht nur noch die Menschen in der Kirche sein werden, die auch wirklich an deren Inhalte glauben. Wir werden den Trend nicht aufhalten, aber können das Evangelium im Einzelnen an die Leute bringen.

Das klingt ein wenig hoffnungslos ...
Keineswegs! Deshalb spreche ich von Normalisierung und nicht von Schwund. Wir leben in einem Land, das einmal eine Staatskirche hatte. Da war jeder drin. Das ist heute anders und entsprechend ändern sich eben auch die Zahlen. Ich sehe nun meine Aufgabe als Pfarrer nicht darin, Trends umzukehren. Meine Aufgabe ist es, den Menschen ein spirituelles Angebot zu machen. Gott muss für den Rest sorgen. Natürlich ist die Kirche dennoch gefordert, gut und richtig zu arbeiten. Aber mehr können wir auch nicht tun.

Berlin gilt vielen als Hauptstadt des Atheismus. Wie erleben Sie es?
Aggressiven Atheismus erlebe ich selten. Aber es gibt viele Agnostiker, die von sich sagen: Die Gottesfrage geht über unsere Erkenntnisfähigkeit hinaus. Insgesamt finde ich, die Stadt hat viele kirchliche Angebote und ist durch und durch religiös, auch in allem, was über unsere Landeskirche hinausgeht. Da gibt es Freikirchen, die Angebote anderer Religionen, Yogakurse für jeden, bis hin zu Fussballspielen, bei denen die Fans Momente religiöser Verzückung erkennen lassen. In diesem Sinne würde ich sagen: Nein, Berlin ist keine atheistische Stadt!

Zum Originalartikel auf PRO:
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Datum: 09.08.2019
Autor: Anna Lutz
Quelle: PRO Medienmagazin / www.pro-medienmagazin.de

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