Rohingya-Krise
Ein Bericht aus dem grössten Flüchtlingslager der Welt
Seit April neuer Geschäftsführer der christlichen Nothilfeorganisation Medair, besuchte David Verboom Ende September eines seiner Projekte: Das Flüchtlingscamp Kutupalong in Bangladesch. Im Folgenden lässt er uns an seinem Erleben teilhaben.
Ich arbeite bereits seit über 20 Jahren in der humanitären Hilfe. Die Geschichten voller Gewalt und unvorstellbaren Verlusten, welche mir die Menschen erzählen, erschüttern mich heute noch genauso wie am ersten Tag.Schockierende Erlebnisberichte
Ich befinde mich in einer von Medair betriebenen Klinik im Flüchtlingslager Kutupalong in Bangladesch und höre Amal, einem 26-jährigen Rohingya, zu. Er spricht schnell und gedrängt, als er erzählt, was geschah, als die Soldaten in seine Heimat im Bundesstaat Rakhine in Myanmar eindrangen: Menschen wurden ermordet und gefoltert, Häuser bis auf die Grundmauern niedergebrannt, Ackerflächen zerstört. Einige seiner Verwandten wurden weggebracht und sind seitdem verschollen.Als Amal vernimmt, dass Soldaten auf dem Weg in sein Dorf sind, flieht er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern und schliesst sich dem Massenexodus Hunderttausender Rohingyas aus Myanmar an. «Wir haben alles hinter uns gelassen. Das einzige, was wir mitgenommen haben, waren unsere Kleider». Nach einem erschöpfenden Fussmarsch und einer rettenden Bootsfahrt über den Grenzfluss Naf erreichen Amal und seine Familie schliesslich das Lager Kutupalong in Bangladesch. Innert wenigen Wochen verdoppelt sich die Lagergrösse. Mit mehr als 600'000 Rohingyas lebt Amal heute im grössten Flüchtlingslager der Welt.
Metalldächer, Bambus und Leinwand, so weit das Auge reicht
Es ist schwer, sich die gigantischen Dimensionen dieses Lagers vorzustellen. Zehntausende kleiner Hütten – dicht auf dicht. Wenn ich durch das hügelige Lagergelände gehe, präsentiert sich stets dasselbe Bild: Metalldächer, Bambus und Leinwand, so weit das Auge reicht.
Das Leben im Lager ist hart. Privatsphäre ein Fremdwort. Abgesehen von einer kleinen Entschädigung, welche Hilfswerke für kleinere Dienstleistungen zahlen, haben die Flüchtlinge kein Auskommen und sind damit fast ausschliesslich auf Nothilfe angewiesen. Sie dürfen das Lager nicht verlassen und es gibt keine Schulbildung für die Kinder.Ich unterhalte mich mit Amal, während er darauf wartet, für seine Familie spezielle Zusatznahrung zu beziehen. «Mein Jüngster hat wieder mehr Energie. Er spielt jetzt mehr», freut sich Amal. Im weiteren Gespräch frage ich ihn nach seiner Hoffnung auf die Zukunft. Er schweigt einen Moment, bevor er antwortet: «Meine Hoffnung ist, dass wir eine offizielle Identität bekommen und damit in unsere Heimat zurückkehren können».
Staatenlos und nicht willkommen
Seit 1982 weigert sich Myanmar, den Rohingyas die Staatsbürgerschaft und die damit verbundenen Rechte zu gewähren. Damit sind die Rohingyas staatenlos. Ein kürzlich von den Vereinten Nationen veröffentlichter Bericht kommt zum Schluss, dass sie in Myanmar Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden. Der Bericht ist für die Rohingyas ein Hoffnungsfunke in einer wenig hoffnungsvollen Zeit.
Als unabhängige Hilfsorganisation kann Medair keine politischen Lösungen anbieten, aber wir können die Menschen in dieser schwierigen Zeit unterstützen, indem wir praktische Hilfe leisten und ihre Widerstandsfähigkeit stärken. Jeder Mensch hat das Recht auf eine würdige Existenz. Die mediale Berichterstattung zur Rohingya-Krise hat nachgelassen, aber der humanitäre Bedarf ist nach wie vor hoch. Gebet und Hilfe ist und bleibt dringend notwendig. Amal und die vielen anderen Rohingya-Flüchtlinge dürfen nicht zu vergessenen Opfern werden.
Die Rohingya:
Die Rohingya-Flüchtlinge gehören zu den mehr als 68,5 Mio. vertriebenen Menschen weltweit. Dies ist die höchste Zahl dokumentierter Vetriebener aller Zeiten. Bei Medair glauben wir, dass jeder Mensch nach Gottes Ebenbild geschaffen und daher von einzigartigem Wert ist. Dieser Glaube motiviert uns, unter allen Umständen unser Bestes zu geben, bedürftige Menschen zu unterstützen und ihnen Hoffnung zu vermitteln. Wir tun dies, indem wir sie mit Ernährungs-, Gesundheits- und Infrastrukturleistungen versorgen.
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Autor: David Verboom
Quelle: Livenet / Medair