Libanon – Spielball der Mächte
In einer Zeit, wo die internationale Gemeinschaft und der innerlibanesische Dialog eine Auflösung der Miliz und ihre Eingliederung in die reguläre libanesische Armee fordert, hat sich der Führer der Hisbullah, Sheikh Hassan Nasrallah, im Alleingang über alle Vereinbarungen und Forderungen hinweggesetzt , erläutert Spangenberg. Als die heftige Reaktion Israels folgte, rief er sogar den offenen Krieg der Umma, der islamischen Völkergemeinschaft, aus.
Im Gegensatz zu 1975, als die Palästinenser den libanesischen Bürgerkrieg einleiteten, ist es nun eine libanesische Partei, die das ganze Land in einen Krieg gezogen hat. Wie 1975 die Palästinenser, so ist 2006 die Hisbullah ein Staat im Staate geworden. Das ist auch der eigentliche Grund, weshalb nach dem Abzug der Syrer vor über einem Jahr der Libanon politisch gelähmt ist. In der gegenwärtigen Krise ist er wieder einmal Spielball der Mächte geworden: zwischen Syrien und Iran einerseits, und Israel und Terror bekämpfenden Staaten andererseits. Ausserdem geht es um die schiitische Vormachtstellung gegenüber der sunnitischen im Libanon, d.h. es ist auch ein iranisch-arabischer Konflikt.
Wie kann Frieden einkehren?
Erstens muss die Hisbullah die beiden entführten Soldaten herausgeben. Zweitens müssen alle Kampfhandlungen eingestellt werden. Drittens muss die libanesische Armee die einzige Kraft im Land werden, die Waffen trägt. Viertens muss Syrien Libanon als souveränen Staat anerkennen, d.h. diplomatische Beziehungen aufnehmen, die Grenzfrage der Schebaa Farmen international klären und libanesische politische Gefangene herausgeben. Fünftens muss Israel mit dem libanesischen Staat – nicht mit der Hisbullah – die Frage aller anderen Gefangenen klären. Sechstens muss die Völkergemeinschaft die Bemühungen des Libanon um volle Souveränität – sich nicht einmischend – unterstützen. Siebtens muss die arabische und islamische Welt das Existenzrecht Israels in abgeklärten Grenzen anerkennen. Vorher kommt es nicht zur Ruhe, vorher kann kein Frieden wachsen.
Schiitische Leidensmentalität – im Libanon aktualisiert
Seit der Ermordung Husseins in Kerbala/Irak im Jahre 680 hat die schiitische Konfession innerhalb des Islam eine Mentalität des Leidens und Martyriums entwickelt. Hussein war der Sohn Alis, des Schwiegersohns Mohammeds. Bei der Aschura-Gedenkfeier schlagen sich heute noch Menschen die Köpfe blutig und ritzen sich Haut und Gesichter auf. Sie klagen laut, wie wenn sich die Ermordung gestern abgespielt hätte.
Schiiten sind die Minderheit im Islam, aber im Iran, Irak und Libanon bilden sie die grösste konfessionelle Gemeinschaft. Im Libanon sind die Schiiten aber nur eine von 18 konfessionellen (islamischen und christlichen) Gruppen. Da diese Leidensmentalität sich durch die Jahrhunderte ideologisch gefestigt hat, spielt sie auch im gegenwärtigen Krieg im Libanon eine Rolle.
Wie damals die Sunniten die Schiiten besiegten, so schlägt heute der militärische Riese Israel zu. In der Tradition des Leidens ist hiermit die Identität der Schiiten wieder einmal bestätigt. Gefährlich ist nur, dass die anderen 17 Konfessionen mit in diesen Strudel hineingezogen wurden. Den Leitern der schiitischen Hisbullah scheint es egal zu sein, wenn der Libanon in diesem Strudel untergeht.
Autor: Gottfried Spangenberg
Quellen: Livenet/Christlicher Hilfsbund im Orient