Hier wurde der prominenteste Bürger der Welt geboren
Bethlehem hat den Charme eines orientalischen Städtchens. Palmen stehen vor christlichen Gebäuden, und was in den Geschäften verkauft wird, geht nahtlos vom Schönen ins Kitschige über. Ähnlich muten auch manche Weihnachtsbräuche im Geburtsort Jesu an. Bethlehem damals, Bethlehem heute – Nikolause, Terroristen und die Suche nach Brücken des Friedens.
Jesus.ch: Sie sind der Vize-Bürgermeister der berühmtesten Stadt der Welt ...
Ziad Abdallah al-Bandak: Ja, das ist richtig. In Bethlehem ist vor rund 2000 Jahren unser Herr Jesus Christus auf die Welt gekommen. Und es ist mir eine sehr grosse Freude, Deputy Major dieser bekannten palästinensischen Stadt zu sein.
Dann haben Sie ja die ganze Zeit Weihnachten ...
Nun, es ist ein sehr wichtiger Job, den jeder haben möchte. Denn dadurch ist man bei ganz verschiedenen religiösen und politischen Zeremonien dabei. Es ist auch eine Art Aussenministerium. Wir haben viele Verbindungen zu wichtigen Städten und Menschen in dieser Welt.
Was tun Sie den ganzen Tag über?
Wenn der Bürgermeister nicht da ist, vertrete ich ihn. Ansonsten bin ich einfach bei bestimmten Angelegenheiten dabei. Privat arbeite ich als Elektroingenieur in meiner Firma für Schalttafeln. Dort verdiene ich mein Geld. Für die Regierung arbeite ich ehrenamtlich, und das mit Vergnügen.
Wie wichtig ist Weihnachten für Bethlehem?
Weihnachten bedeutet Freude und Leben, Hoffnung, Vergnügen, denn an diesem Tag wurde unser Herr Jesus Christus geboren. Seine Lehre und sein Leben haben die Freude und die gute Sache nach Bethlehem und in den Rest der Welt gebracht. Aber durch die israelische Besatzung ist die Stadt, in der dieses Leben und diese Hoffnung begonnen haben, in eine schwierige ökonomische Situation geraten.
Anm. d. Aut.: Wenige Stunden nach diesem Interview verhaftete die israelische Armee zwei Terroristen. Sie hatten sich in der Wäscherei eines Spitals versteckt!
Sie haben rund 65 Prozent Arbeitslose. Wie gehen Sie damit um?
Nach dem Beginn der Intifada ist es schlimmer geworden. Das meiste Geld nehmen wir über den Tourismus ein. 60 bis 70 Prozent unserer Wirtschaft gründen darauf. Seit der Abriegelung durch Israel kommen massiv weniger Touristen zu uns. Dabei hängt sehr viel von ihnen ab. Die Einwohner können nun ihre Steuern und Abgaben nicht mehr bezahlen. Wir steuern Richtung Kollaps.
Wer ebenfalls unter wenig Touristen leidet, ist Ihre Nachbarstadt Jerusalem. Was verbindet diese beiden heiligen Städte?
Wir haben keine offiziellen Kontakte. 1968 beschlossen die Israeli, ihre Stadt zu erweitern – auf Kosten von Bethlehem. Die israelischen Minister entschieden sich aus Sicherheitsgründen für noch mehr Land. Jetzt bauen sie auch eine Mauer.
Einen Zaun ...
Nicht nur einen Zaun, zum Teil ist es auch eine Mauer. Sie tun das auf unserem Land. Auf ihrem eigenen Land wäre das eine andere Sache. Aber so können wir nicht gute Nachbarn sein. Wenn die Probleme gelöst sind, können wir eine gute Beziehung aufbauen. Der Papst sagte, dass der Nahe Osten Brücken und nicht Mauern brauche.
Die Israeli sagen, sie hätten dank diesem Zaun weniger Probleme mit Terroristen.
Das ist relativ. Wer für eine Sache sterben will, der wird es auch tun, ob wir nun dagegen sind oder nicht, und mit oder ohne Mauer. Man muss vielmehr das Hauptproblem lösen: die Besatzung von 1967. Wir könnten gute Nachbarn sein, und unsere Kinder könnten in Frieden zusammenleben.
Anm. d. Aut.: Seine Nachbarstaaten drängten Israel 1967 in den Sechs-Tage-Krieg. Aber statt ausradiert zu werden, gingen die Israeli mit erheblichem Landgewinn aus dem ihnen aufgezwungenen Krieg hervor.
Der Nahe Osten brauche Brücken und nicht Mauern, sagte der Papst. Denken Sie, dass Jesus diese Brücke ist?
Die Lehre unseres Herrn Jesus Christus sagt, dass wir zu allen, auch zu unseren Feinden, gut sein sollen. Was Jesus gesagt hat und was in der Bibel steht über Liebe und Nächstenliebe und ein Leben in Frieden, das ist wichtig. Bethlehem kann zur Brücke des Friedens werden.
Etwas ganz anders: An Weihnachten kommen Tausende nach Bethlehem, darunter manche in einem Nikolaus-Kostüm. Kann einem so ein Zirkus auf die Nerven gehen?
Nein, das ist kein Zirkus. Die Leute sind hier, weil sie Weihnachten als einen heiligen Tag feiern wollen. Wir denken nicht, dass sie religiöse Gefühle verletzen; auch nicht die feierliche Atmosphäre. Sie kommen, um die heiligen Orte zu besuchen, den einzigartigen Geburtsort von Jesus Christus.
Ich habe gehört, Christen hätten wegen fundamentalistischen Moslems massive Probleme. Über 5000 von ihnen hätten darum inzwischen die Stadt verlassen.
Es gibt eine Auswanderung von Christen aus Bethlehem; aber auch aus Beit Jalla und Beit Sahur. Der Grund ist nicht der Fundamentalismus, sondern die ökonomische Situation. Wenn man kein Einkommen hat und alles in der Stadt und im Distrikt blockiert ist, dann schaut man sich nach einem anderen Ort um. Das ist alles. Christen und Moslems leben hier in einer guten Koexistenz. Es gibt kleine Zwischenfälle, aber die sind nicht so schlimm.
Also gehen auch Moslems?
Ja. Aber weil wir Christen eine Minderheit sind, ist die Prozentzahl viel höher. Wenn ein paar tausend Christen gehen, ergibt dies eine hohe Prozentzahl. Wenn zwei Prozent der Moslems gehen, fällt das weniger auf. Einst haben 95 Prozent des Landes christlichen Palästinensern gehört. Ihr Einkommen ist durch die Mauer der Israeli rapid gesunken. Sie dürfen ihren Boden nicht mehr bewirtschaften. Also sind einige von ihnen ausgewandert.
Offenbar schiessen islamische Fundamentalisten aus den Gärten von Christen auf Gilo, den südlichen Vorort von Jerusalem. Beim Zurückschiessen treffen die Israeli dann die Häuser der Christen. Was sagen Sie dazu?
Diese Schüsse auf Gilo waren vor zwei Jahren. Üblicherweise wird aus möglichst kurzer Distanz geschossen, mal von hier- und mal dorther, ohne dass viel überlegt wird, ob hier Christen leben, die dann von den Israeli angegriffen werden oder nicht. Dass die christlichen Palästinenser von den Terroristen missbraucht werden, ist ein Gerücht. Wir sind gegen die Schüsse gegen Gilo, damals und heute. Wir sind hier, um für Frieden zu sorgen. Mit Schiessen löst man keine Probleme. Wir mussten dafür mit viel Zerstörung bezahlen.
Wie sehen Sie die Zukunft von Bethlehem?
In diesem Land muss man optimistisch sein. Wenn man mit den Menschen hier spricht, spürt man viel Niedergeschlagenheit. Aus besagten Gründen haben sie jeden Millimeter an Hoffnung verloren. Ich persönlich bin aber optimistisch. Das Leben geht weiter. Und es wäre gegen jede Logik, zu meinen, die Situation müsse bleiben wie sie ist. Ich hoffe, dass auf beiden Seiten die Weisheit siegt.
* Ziad Abdallah al-Bandak ist griechisch-orthodoxer Christ. Der Bürgermeister ist Katholik. Bei der Vergabe der Ämter wird darauf geachtet, dass beide Konfessionen vertreten sind. Bethlehem steht unter palästinensischer Verwaltung.
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Dossier Bethlehem
Weihnachts-Magazin
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Jesus.ch