Christoph Zehendner
«Jesus ist faszinierend, aber nie wirklich zu fassen»
Liedermacher Christoph Zehendner beschäftigt sich in seinem Musikprojekt mit dem Markus-Evangelium. Warum Nachfolge ein Leben lang herausfordert und man sich als Christ immer mit Gegenargumenten auseinandersetzen sollte, erklärt er im Interview.
Ihr neues Album «Unfassbar» soll die Hörer einladen, sich mit
dem Markus-Evangelium zu beschäftigen. Wie kamen Sie auf die Idee zu dem
Projekt?
Christoph Zehendner: Mir ist es ein Anliegen, Fenster in die Bibel zuöffnen. In einem früheren Album habe ich mich zum Beispiel mit dem
Johannes-Evangelium beschäftigt. Es lag mir schon lange auf der Seele, dass
irgendwann Markus kommt, das wahrscheinlich älteste Evangelium.
Warum gerade das Markus-Evangelium?
Die Kürze, die inhaltliche Dichte machen das Markus-Evangelium aus. Es ist
sehr nah an den Geschehnissen dran. Manchmal lese ich Markus und denke, ich
schaue über seine Schulter und sehe die Szene selbst, die er beschreibt. Er hat
auf den Punkt gebracht, was wirklich wichtig war. Das Johannes-Evangelium
dagegen hat was Philosophisches, was Poetisches und Lyrisches. So etwas gibt es
im Markus-Evangelium nicht. Das ist für mich als Texter auch eine
Herausforderung. Ich möchte ja den Erzählstil des jeweiligen Evangelisten so
gut wie möglich lebendig werden lassen.
Was denn genau?
Eines meiner Lieblingslieder vom neuen Album ist «Ein weites Feld». Es
bezieht sich auf das Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld. Als Kind habe ich das
immer so verstanden: «Wenn Gott ein Samenkorn irgendwo hinlegt, dann pass auf,
dass es keine Vögel aufpicken, dass du nicht der steinige Boden bist oder dass
Dornen wachsen.» Also sehr drohend. Jetzt entdecke ich einen anderen Aspekt: Da
fällt ein Samenkorn auf guten Boden. Und das Wenige wächst um ein Vielfaches.
Es geht hier also um die verschwenderische Grosszügigkeit Gottes, die alles
möglich macht aus dem bisschen, was wir einbringen können. Wenn ich nur ein
Samenkörnchen Glauben zur Verfügung habe und mich klein und schwach fühle, dann
denke ich jetzt an diese Vermehrung. Deshalb habe ich ein Mut-Mach-Lied aus
diesem Bild Jesu gemacht.
Oder das Lied «Passt auf»: Es handelt von den Endzeitreden Jesu. Es hat mich mehr als jemals zuvor fasziniert, wie nah die Endzeitworte von Jesus am Heute dran sind und welche Aktualität sie haben. Einerseits warnt Jesus: «Augen auf, lasst euch nicht alles einreden.» Andererseits sagt er: «Vertraut mir. Am Ende komme ich.»
Was ist Ihre Lieblingsstelle im Markus-Evangelium?
Mich berührt besonders die Szene, wo einige Männer den Gelähmten zu Jesus
tragen. Sie drängen sich durch Menschenmassen, tragen den Gelähmten eine
schmale Treppe hinauf aufs Dach und decken es ab, um ihren Freund zu Jesus
hinunterzulassen. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie beliebt man sich damit
beim Hausbesitzer macht.
Ich hab mich sehr in diese Szene hineingedacht. Viele Jahre war ich der, der bei verschiedenen Gelegenheiten einen Zipfel so einer Matte getragen hat: Ich habe immer wieder versucht, Leute in die Nähe von Jesus zu bringen. In den vergangenen Jahren war ich wegen gesundheitlicher Probleme manchmal der, der auf der Matte lag und von Freunden getragen werden musste. Der Song, der daraus geworden ist, ist «Du bist frei».
Was macht Jesus für Sie «unfassbar»?
Unfassbar bedeutet für mich zum einen «grossartig, mega, krass». Nach meinen
Beobachtungen ist «unfassbar» in der Sprache junger Erwachsener heute
ausgesprochen positiv konnotiert. Zum anderen: Jesus ist nicht zu greifen. Auch
bei Markus bleiben viele Fragen an Jesus offen. Da ist nichts glattgebügelt und
leicht konsumierbar. Jesus ist faszinierend, aber nie wirklich zu fassen oder
gar «festzuhalten». Das ist auch gut so. Wenn jemand heute behauptet, er wüsste
bei allen Fragen ganz genau, was Jesus gemeint hat, werde ich sehr skeptisch.
In den Songs kommt immer wieder vor, dass die Nachfolge Jesu
herausfordert. Was bedeutet das für Sie konkret in der heutigen Zeit?
Wir Christen hier im Westen sollten uns daran erinnern, dass zur gleichen
Zeit Nachfolge Jesu den Tod, erhebliche Einschränkungen, das Ende der Familie
bedeuten kann und noch mehr. Ich habe lange überlegt, ob ich die Wendung
«Nachfolge heisst, das Kreuz Jesu auf mich zu nehmen» verwende. Denn wo trage ich denn sein Kreuz? Dann denke ich
aber an meine Geschwister in Indien oder anderswo in der Welt, die
Christenverfolgung erleben.
In der Nachfolge Jesu zu leben heisst für uns heute auch, innerlich unterwegs zu bleiben und uns nicht mit einer bestimmten Position oder Haltung zur Ruhe zu setzen. Mir widerstrebt die Formulierung «Ich stehe seit Jahren im Glauben». Korrekter wäre «Ich gehe im Glauben», weil Jesus mich in Bewegung hält.
«Passt auf» spricht unter anderem von Sorgen, Lügen, davon, dass
bekannte Weltbilder ins Wanken geraten, und es ermahnt, wachsam zu sein: Wie
spricht das in die aktuelle Zeit?
Der Umgang mit Informationen über Covid-19 oder über den Ukraine-Krieg
zeigt, wie wichtig verlässliche Quellen sind. Es kommt darauf an, nicht allem
blind zu vertrauen, was meine Meinung bestätigt. Für mich als Journalist heisst
«Pass auf» aber auch, andere Meinungen anzuhören. Auch welche, die das
Gegenteil von dem behaupten, was ich glaube. Ich möchte gute Argumente von
Impfgegnern zumindest hören. Manches überzeugt mich, anderes gar nicht. «Pass auf» heisst da: Bilde dir eine Meinung. Wenn du nur einen Kanal hörst, nur eine
Zeitung liest oder auch nur den einen Prediger hörst und dessen Theologie – das
ist gefährlich.
Was soll bei den Hörern des Albums ankommen?
Ich wünsche mir, dass sie einen Song hören und sagen: Jetzt will ich aber
wissen, was da wirklich steht. Ich wünsche mir, dass sie so dem
Markus-Evangelium begegnen und dann auch Jesus, um den es Markus geht. Das Bild
vom Fenster gefällt mir gut: Man schaut durch ein Fenster und bekommt dabei
Lust, anschliessend durch die Tür zu gehen und sich ganz dem Evangelium zu
nähern.
Christoph Zehendners neues Album ist ein Musikprojekt mit den Musikern Ralf Schuon und Hans-Joachim Eissler. Zusätzlich zum Album gibt es Klavierpartituren, Bläsernoten, Chorpartituren und MP3-Aufnahmen, mit denen Chorsänger ihre eigenen Stimmen einüben können. Ausserdem stehen Moderationstexte zur Verfügung, um die Musik abendfüllend aufzuführen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei PRO Medienmagazin
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Autor: Swanhild Brenneke
Quelle: PRO Medienmagazin