Kampf gegen Menschenhandel

So werden Menschen in der Schweiz versklavt

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Gemeinsam gegen Menschenhandel in der Schweiz kämpfen (Bild: Heartwings)
Dorothée und Peter Widmer leiten seit 14 Jahren den Verein Heartwings in Zürich, der soziale Projekte im Rotlichtmilieu umsetzt. Ihr Team besucht regelmässig über 400 Bordelle. Für Peter Widmer ist klar: «Dieses grosse Unrecht muss aufhören.»

Dass Menschenhandel vor unserer Haustüre geschieht, ist vielen nicht bewusst. Viele der Opfer landen in der Zwangsprostitution, weiss Peter Widmer: «Die Frauen kommen fast ausschliesslich aus armen Ländern. Von Freunden, Bekannten oder hinterlistigen 'Loverboy-Freunden' werden sie unter falschen Vorwänden in die Schweiz gelockt. Sie stehen dann hier mit ihren Koffern und erhalten keine Arbeit. Die einzige 'legale' Arbeit ist diejenige in der Bar oder im Kabarett. Sie geraten in eine Schuldknechtschaft, da sie ihren Schlepperbanden die Reisekosten und hohen Zimmermieten im Bordell abzahlen müssen. Ein Ausstieg ohne Hilfestellung ist kaum möglich, denn als Fremdlinge können sie sich sprachlich nicht wehren. Zudem haben sie kein Vertrauen in die hiesige Polizei oder Behörden. Wenn sie dennoch ihr Schweigen brechen wollen, folgen oft schwerwiegende Drohungen mit verbaler oder körperlicher Gewalt. Es wird ihnen beispielsweise gedroht, dass ihre Kinder oder Eltern im Heimatland umgebracht werden.»

Dorothée Widmer weiss: «Menschenhandel geschieht immer versteckt. Die Frauen sind instruiert, wie sie Auskunft geben sollen und werden so Teil des kriminellen Systems, beispielsweise durch aufgezwungenen Drogenschmuggel. Weil Prostitution in der Schweiz gesetzlich als normale Arbeit gilt, treffen wir leider zunehmend auch junge Flüchtlingsfrauen aus der Ukraine an, die für falsche Freunde anschaffen müssen.»

«Selbst die Tiere in der Schweiz sind besser geschützt»

Menschenhandel basiert auf organisiertem Verbrechen, erklärt Peter Widmer: «Oft stehen Clans dahinter. Jemand bringt die Frauen, jemand holt die nötigen Bewilligungen für sie ein. Ein anderer organisiert, wo und wie sie arbeiten können.» Den Frauen geht es schlecht, denn diese Nutzniesser schöpfen den hohen Gewinn ab: «Selbst die Tiere in der Schweiz sind besser geschützt als diese Frauen, denn die Tierschutzgesetze sind strenger als die liberale Schweizer Prostitutionshandhabung. Betroffene können nie ruhig schlafen und erleben Nonstop-Dauerstress. Sie werden kontrolliert, müssen bis zu 30 Freier pro Nacht bedienen. Das ist die totale Qual. So verwundert es nicht, dass viele dieser Opfer unter Trigger Flashbacks und posttraumatischen Belastungsstörungen leiden.»

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Dorothée und Peter Widmer (Bild: Facebook)
Der Verein Heartwings hat im Frühling 2021 ein Reinigungsunternehmen im zweiten Arbeitsmarkt gestartet, um diesen Frauen eine alternative Arbeitseingliederung zu ermöglichen. Mehrere Frauen haben in diesem Aussteigerinnen-Arbeitsprogramm eine Festanstellung erhalten. Sie durchlaufen eine bezahlte, praxisorientierte Ausbildung mit Praktika und ISO-zertifizierten Schulungen zur Fachfrau Reinigung. 

Ehemalige Zwangsprostituierte erleben: Veränderung ist möglich

Swetlana ist eine dieser Frauen. Als 15-Jährige wurde sie, ohne Schulabschluss und Perspektiven, von ihrem geldgierigen Loverboy-Freund in ihrem verarmten Heimatland in die Prostitution gezwungen. Später schleppte er sie in die Schweiz, weil hier viel mehr Geld für ihn zum Verdienen war.

Swetlana hat sich nach 13 schlimmen Jahren Zwangsprostitution von ihrem Loverboy radikal losgelöst und sagt glücklich: «Ich kann es nicht glauben. Vor einem Jahr kam ich das erste Mal in eure Räumlichkeiten für gespendete Kleider. Jetzt wohne ich dank eurer Begleitung in einem Haus weit weg von der Zürcher Langstrasse. Jeden Tag gibt es neue Putzkunden. Ich bin jetzt Reinigungsfachfrau – eine ganz normale Frau mit einer normalen Arbeit und richtigem Schweizer B-Ausweis!»

Grosskundgebung auf dem Bundesplatz

Angesichts der unhaltbaren Situation haben sich zehn Organisationen entschlossen, eine breit angelegte Kampagne für den Kampf gegen Menschenhandel durchzuführen. Dazu gehört auch der Verein Heartwings. Ziel ist es, Schweizerinnen und Schweizer über die Lage zu informieren, sie für die Problematik zu sensibilisieren und aufzuzeigen, wie sie sich für den Kampf gegen den Menschenhandel engagieren können. Denn nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter leben mitten unter uns. Als Höhepunkt der Kampagne findet am Samstag, 24. September 2022, eine öffentliche Grosskundgebung auf dem Bundesplatz in Bern statt.

Zum Thema:
Christliche Ostmission: Menschenhandel – auch in der Schweiz
Kampagne gegen Menschenhandel: Sklaverei breitet sich in der Schweiz aus
«Dunkelziffer enorm»: Schweiz: 500 Meldungen im Bereich Menschenhandel

Datum: 21.06.2022
Autor: Markus Baumgartner
Quelle: gegen-menschenhandel.ch

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