Kommentar: Der Täufer-Komplex
Am 20. November 1571 wurde der Emmentaler Täuferlehrer Hans Haslibacher in Bern geköpft. Es war die letzte von 24 urkundlich nachgewiesenen staatlich verordneten Täufer-Hinrichtungen im Staate Bern.
Die Hinrichtungen hatten 1528 begonnen, als sich drei Täufer weigerten, in den Schoss der Berner Landeskirche zurückzukehren. Sie wurden oberhalb der Eisenbahnbrücke beim bis heute so genannten Blutturm in der Aare ertränkt.
Enteignungen, Folter …
Was 1525 mit einer ersten Gerichtsverhandlung gegen bernische Täufer begonnen hatte, führte in der Folge zu Enteignungen, Folterungen, Gefängnisstrafen, Verbannungen, Todesstrafen bis zum Verkauf von Täufern auf die Galeeren. Mit den Zinsen aus dem Täufergut wurden Berner Kirchen neu gebaut oder renoviert. Erst 1799 wurde im Nachgang zur französischen Invasion ein Duldungsgesetz erlassen, das alle Strafgesetze gegen religiöse Meinungen und Sekten aufhob. Der Berner Kirchenrat konnte sich damit aber nicht abfinden und setzte schon in der Mediation die alte Kirchenverordnung mit ihren Täufermandaten wieder in Kraft; noch 1809 wurde eine Täufer-Ehe als ungültig erklärt und 1810 ein Gesuch um freie Gottesdienstausübung abgelehnt. Im März 1811 wurden in der Kirche Langnau im Beisein des Kirchengerichtes 27 Kinder durch Besprengung zwangsgetauft.
Gefahr für staatliche Ordnung
Wo lag das Problem? Die Täufer bildeten nach der Reformation die erste Freikirche in der reformierten Schweiz. Diese erwiesenermassen vorbildlich lebenden Menschen erfrechten sich, die Bibel eigenständig zu lesen und ohne Theologen sehr direkt auszulegen. In ihre Gemeinschaft trat man nicht durch eine sakramentale Säuglingstaufe ein, sondern nur durch persönliche Bekehrung, gefolgt von der Taufe. Laien reichten einander das Abendmahl. Sie tauften und verheirateten ohne Erlaubnis der Kirche. Im Weiteren lehnten die Täufer den Militärdienst ab und verwarfen das Schwören. Sie störten ja die staatliche Ordnung, die u.a. durch die Kirche sichergestellt wurde. Insbesondere aber stellten sie deren Monopol in Frage.
Ein Täufer-Komplex
Vergangene Zeiten? Wer die hilflosen Reaktionen und Argumente der Kirche auf die Täufer studiert, fühlt sich oft peinlich an Ereignisse aus der heutigen Zeit erinnert. Es scheint einen nachhaltigen kirchlichen Täufer-Komplex zu geben. Er lässt sich in der Rede eines Synodalratspräsidenten ablesen, der die innerkirchlichen Evangelikalen als Gastredner an einer ihrer Tagungen abkanzelt. Er wirkt bei Sektenberatungsstellen, die freikirchlichen Bewegungen mit links den Sektenstempel auf die Stirn drücken. Er wird offensichtlich beim Gefängnisdirektor (einem ehemaligen Pfarrer!), der freikirchliche Pastoren nicht zur Gefangenenseelsorge zulassen will, solange sie kein kirchliches Theologiestudium und ein Nachdiplomstudium vorweisen können. Begründung: Die Freikirchler könnten die Gefangenen ja zu einer Bekehrung drängen.
Noch keine Gedenktafel im Kanton Bern
Anlässlich des Täuferjahres 2007 wäre die Zeit gekommen, sich dieser Vergangenheit zu stellen. Die Zürcher Kirche ist vorausgegangen. Dort, wo Täufer in der Limmat ertränkt wurden, steht heute ein Gedenkstein. Die Berner Kirche hat immerhin zwei Versöhnungsgottesdienste im Berner Münster organisiert, und für das Täuferjahr sind eine Ausstellung und Vorlesungen geplant. Aber bis heute fehlt der Gedenkstein – im Marzili oder beim Blutturm – der die böse Vergangenheit ans Licht holen würde. Und über das im 18. Jahrhundert in „irgendwelchen anderen Kassen“ verschwundene Täufergeld wird offensichtlich geschwiegen.
Trotz erfreulichen Begegnungen in der letzten Zeit: Der Täufer-Komplex scheint bis heute – vor allem im Verhältnis zu den Freikirchen – nachzuwirken. Es wäre an der Zeit, die Vergangenheit menschlich, finanziell und theologisch zu bereinigen, um die Zukunft (auch der Landeskirche) im heutigen Umfeld zu gewinnen.
Mehr auf: www.emmental.ch/taeuferjahr07
Autor: Hanspeter Schmutz
Quelle: Bausteine/VBG