Freikirchen
Der VFG wird politisch
Der Verband kehrt damit an die Wurzeln des Pietismus zurück, einer evangelischen Reformbewegung, die nicht nur das persönliche Seelenheil betont hat, sondern auch die Verantwortung für die Gesellschaft. Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das Papier als eine Kombination aus solider Reflexion und eher oberflächlichen Gedankengängen.
Staat als eigenständiger Raum?
"Was die Freikirchen von der Eidgenössischen Politik erwarten", heisst es im Untertitel, als ob es darum ginge, quasi von aussen einen Wunschkatalog zu formulieren, ohne selber einen Beitrag leisten zu wollen. Die distanzierte Formulierung ist vielleicht Ausdruck des Rückgriffes auf die "Zwei-Reiche-Theologie" Luthers im Kapitel "Leitgedanken". Diese in ihrer Wirkung heillose Theorie gibt dem Staat einen quasi eigenständigen Raum, den Gott nur indirekt beeinflussen darf; sie verkennt die prophetische Aufgabe der Kirche, die sich – überall wo Gottes Wille verletzt wird – einmischen kann und muss.
Im einleitenden Kapitel wird denn auch festgehalten, dass es grundsätzlich kein Gebiet gebe, das sich der theologischen Beurteilung entziehe. Und der Anwendungsteil macht endgültig klar, dass sich der VFG doch eher auf eine Schöpfungs- (und Erlösungs-) Theologie beruft, die keinen Bereich der Wirklichkeit auslässt.
Meist eingemittet-bürgerlich
In der Folge blitzen zwischen den Zeilen überraschend prophetische Gedanken auf. "Politisch aktive Christen sollen nicht spezifische Interessenvertreter sein, sie müssen die ganze Zivilgesellschaft vor Augen haben" (S. 7). Die Umsetzung dieses Postulats würde unsere Parteienlandschaft in Bewegung bringen! Oder dort, wo das Papier angesichts der Drittwelt-Probleme einen Entwicklungsdienst statt eines Wehrdienstes fordert (S. 15). Meist bleiben die Forderungen allerdings in einem eingemitteten bürgerlichen Rahmen, mal nach rechts (ausgeglichener Staatshaushalt, S. 30; Förderung intellektueller Eliten, S. 25), mal nach links (im Sozialbereich) ausholend.
Eindeutiges zur Suchtproblematik
Das geht nicht ohne Widersprüche: Nachdem die "Vollkasko-Mentalität" bedauert worden ist, folgt auf dem Fuss die Forderung nach einem "Versicherungsschutz (wenn auch nur) in der Grundversorgung für alle ohne Einschränkung bis zum Lebensende" (S. 18). So wirken nur wenige Forderungskataloge wie aus einem Guss – eine Ausnahme bildet etwa das Kapitel zur Suchtproblematik (S. 19).
Völlig missglückt ist der Abschnitt über die Kulturpolitik (S. 16). Hier wird Kunst auf ihre Botschaft reduziert und damit verzweckt. Unter dem Strich bleibt die lobenswerte Tatsache, dass sich ein evangelikaler Verband aufs politische Parkett wagt. Die biblisch inspirierten Tanzschritte müssten allerdings noch präziser eingeübt werden.
Mehr zum Thema:
Dossier Freikirchen-Positionspapier
Forum: Was ist Ihre Meinung zum VFG-Positionspapier?
Autor: Hanspeter Schmutz
Quelle: VBG-Institut