Astrophysiker Norbert Pailer

«Das Universum unterliegt einer beschleunigten Expansion»

Mit «Der vermessene Kosmos» liefern die beiden Astrophysiker Norbert Pailer und Alfred Krabbe einen faszinierenden Einblick in den Weltraum, gerade auch aus christlicher Sicht. «Den Menschen den Himmel näher bringen, ist meine Mission», schreibt der Wissenschaftler auf seiner Webseite. Livenet unterhielt sich mit Norbert Pailer über das All und die Buch-Neuauflage.

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Norbert Pailer (Bild: SCM Hänssler)
Livenet: Norbert Pailer, das Buch «Der vermessene Kosmos» ist in neuer Auflage erschienen – die erste Auflage erschien 2006, was hat sich seither in der Astrophysik verändert?
Norbert Pailer: Wir standen bei der Neuauflage in der Tat vor der Frage, ob diese sinnvoll ist; aufgrund der vielen Fortschritte wäre wahrscheinlich die Herausgabe eines neuen Buches angemessener – und leichter – gewesen. Natürlich gibt es Aspekte, die sich überlebt haben, und andere, deren angekündigte Erwartungen hier weiter ausgezogen werden mussten. Auch neue Aspekte mussten aufgenommen werden, worauf zum Beispiel die Antwort auf die vorige Frage einging. Schon allein diese Anmerkung deutet an, wie relativ und gleichzeitig lebendig unser astrophysikalisches Wissen ist. In der Naturwissenschaft «irren» wir uns empor, von einem Wissensstand zum nächsten. Das wird auch für Inhalte dieser Neuauflage nicht anders sein.

Wissenschaftler finden also nicht in gesichertem Wissen, sondern immer an dessen äusserster Grenze ihre Heimat, dort, wo das gegenwärtige Wissen dem gegenwärtigen Unwissen direkt in die Augen sieht. Und hier ist es einer kleinen Schar von Wissenschaftlern vergönnt, «Unwissen» aufzudecken, etwas zu entdecken – von dem wir nicht wussten, dass wir es nicht wussten – und es einzuordnen in unsere Modellwelt. Dafür wollten wir das Bewusstsein der Leser schärfen, da uns leider die Medien die augenblickliche naturwissenschaftliche Vorstellungswelt als nach allen Seiten abgesicherte Wahrheit präsentieren. Das ist sie sicher nicht. Aber sie ist das Beste, was Physik heute leisten kann.

Die Ausdehnung des Alls wird als Argument gegen die Schöpfung genannt, was sagen Sie dazu?
Es gab einmal eine Zeit – vor etwa 100 Jahren – da entzog sich alles, was sich hinter der irdischen Welt befand, als im wahrsten Sinne «hinter dem Mond» befindlich, weil sich der Kosmos der direkten sinnlichen Erfahrung entzog. Noch in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts gab es unter Fachleuten heftige Debatten, ob ausser unserer Milchstrasse überhaupt noch andere Galaxien existieren und ob der Andromeda-Nebel nicht ein Teil unserer Galaxie sei. Erst Edwin Hubble begründete mit dem damals grössten Teleskop der Welt auf dem Mount Wilson die moderne Vorstellung vom Kosmos. Was zuvor wie eine nebulöse Wolke aussah, entpuppte sich bei entsprechender Vergrösserung als riesige Ansammlung von Sternen, ganz ähnlich unserer Milchstrasse. Damit war die Debatte beendet und die Zeit der extragalaktischen Astronomie hatte begonnen. Seither passiert die systematische Erschliessung des Raumes mittels der sogenannten kosmischen Distanzleiter, einem System unterschiedlicher Messmethoden, die uns unter Hinzunahme von Überlappungsbereichen in immer grössere Tiefen des Raumes führt. Die so gemessenen Dimensionen des Kosmos sind beeindruckend, selbst für die Zeitgenossen, die die Erde für ein globales Dorf halten. Die Zahlen sind auch für professionelle Astrophysiker nicht wirklich vorstellbar. Und weil dies so ist, neigt man verständlicherweise dazu, diese Entfernungen zu hinterfragen.

Etwas plump gefragt: Was spricht aus astronomischer Sicht gegen den Urknall?
Grundsätzlich wäre es zum Beispiel höchst verwunderlich, dass aus dem Chaos einer «Urexplosion» ein so wunderbares Gebilde wie unser Kosmos – samt Leben – hervorgehen sollte. Da aber Naturwissenschaft eine Antwort auf die Fragen unserer Welt – ohne Eingriff von aussen – geben will, sind gewisse modellhafte «Vereinfachungen» nötig. Weiterhin muss grundsätzlich gefragt werden, woher all die Voraussetzungen für einen «Urknall» gekommen sein sollen, nachdem Naturwissenschaft erst dann Aussagen machen kann, wenn es etwas zu messen gibt, denn Naturwissenschaftler sind «nur Innenarchitekten»; im Buch gibt es dazu weiterführende Ausführungen zum Selbstverständnis der Naturwissenschaft, was dem deutlich zuwider läuft, was uns über die Medienkanäle täglich erreicht.

Jedenfalls brauchen Naturwissenschaftler für ihre Arbeit Voraussetzungen, die jenseits der Raumzeit liegen mussten. So geht Naturwissenschaft nicht so weit zurück, dass sie nach der Herkunft der Naturgesetze fragt; sie werden als Gottgegeben angenommen, was durchaus wörtlich verstanden werden darf. In diesem Sinne ist Naturwissenschaft unvollständig. Naturwissenschaftliche Forschung erfolgt unabhängig von der Existenz eines Schöpfers und das Wirken Gottes kann mit ihren Methoden weder beschrieben noch bestritten werden.

Rein hypothetisch gefragt: Was hätte es denn gebraucht, dass ein Urknall möglich wäre?
Sollte es am Anfang tatsächlich «geknallt» haben, muss zum Beispiel eine ausgesprochen fein austarierte Kraft dafür gesorgt haben, dass die Sache funktionierte:
1. Wäre die Kraft zu gross gewesen, hätte sich die ganze Sache der Explosionswolke «nur» ausgedünnt.
2. Wäre die Kraft zu klein gewesen, wäre alles wieder ineinander zusammengefallen.

Erstaunlich wäre also zum Beispiel, dass diese Kraft der sogenannten Inflationsphase gerade so abgestimmt war, dass so etwas wie unser Kosmos entstehen konnte. Und das ist nur eine Grösse in einem unbelebten Kosmos als ein kleines Beispiel. Das Hubble-Teleskop hat uns zusammen mit anderen Observatorien in den letzten Dekaden eindrücklich gezeigt, dass das Universum einer beschleunigten Expansion unterliegt. Und die Herkunft und Natur der Kraft, die das Universum als Antigravitationkraft regelrecht auseinander reisst, ist das ganz grosse Geheimnis der modernen Astronomie. Deshalb verstehe ich die Frage vieler, ob sich die Physik angesichts dieser grossen Unsicherheiten nicht verlaufen hat?!

Zum Thema:
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Datum: 26.07.2017
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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