Umstrittene Initiative
«Verbot der Todesstrafe ist nicht zwingendes Völkerrecht»
Das Verbot der Todesstrafe ist «streng juristisch betrachtet kein universelles, zwingendes Völkerrecht». Darauf weist der emeritierte Staatsrechtsprofessor Jörg-Paul Müller in der NZZ am Sonntag hin. «Über die Todesstrafe gibt es keinen weltweiten Konsens – denken Sie an Länder wie die USA, China oder Iran», so Müller in der Zeitung. Die Frage bewegt die Gemüter, seit eine neue Volksinitiative die Einführung der Todesstrafe bei «Mord mit sexuellem Missbrauch» fordert.
Derzeit kann eine Volksinitiative, nebst formellen Gründen, einzig dann nicht zugelassen werden, wenn sie gegen zwingende Bestimmungen des Völkerrechts verstösst (Art. 139 Abs. 3 BV).
Einen völkerrechtlichen Standard, der die Todesstrafe umfassend ablehnt, gibt es auch aus Sicht von Helen Keller, Professorin für Völkerrecht an der Universität Zürich nicht. Es herrsche hingegen ein «Grundkonsens, dass sie nur bei schweren Delikten und nach fairen Verfahren vollzogen werden darf», wobei auf «grausame Exekutionsmethoden» zu verzichten sei, sagte Keller im Interview mit der Neuen Luzerner Zeitung.
Schweiz müsste EMRK-Protokolle kündigen
Unbestritten ist, dass die Todesstrafe gegen Abkommen verstossen würde, die die Schweiz unterzeichnet hat, insbesondere die Zusatzprotokolle Nr. 6 und 13 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), mit denen die Todesstrafe in Friedens- und Kriegszeiten abgeschafft wird. Diese Protokolle müssten gekündigt werden; laut Müller sei dies zwar «rechtlich möglich, real aber undenkbar».
Privatpersonen hinter dem Begehren
Hinter der neuen Volksinitiative steht ein kleiner Kreis von Privatpersonen um den 35-jährigen Informatiker Marcel Graf, berichtete die NZZ am Sonntag weiter. Grund für die Lancierung der Initiative sei ein Kapitalverbrechen in dessen persönlichem Umfeld.
Die Initianten bringen keine politische Erfahrung mit und verfügen auch über keine finanziellen Mittel. Die Unterschriftensammlung soll deshalb weitgehend auf elektronischem Weg geschehen. Graf ist parteilos und will sich gemäss eigener Aussage auf keinen Fall einer Partei anschliessen, um die Unterschriftensammlung zu organisieren.
Nach dem Willen des Initiativkomitees sollen rechtskräftig verurteilte Täter, die eine Person im Zusammenhang mit einem Sexualdelikt töten, mit dem Tod bestraft werden. Die Hinrichtung müsste laut dem noch nicht veröffentlichen Initiativtext innerhalb von drei Monaten nach dem endgültigen Urteil vollzogen werden. Die Hinrichtungsmethode soll das Gericht festlegen.
Todesstrafe in Friedenszeiten seit 1942 abgeschafft
Die Schweiz hat die Todesstrafe in Friedenszeiten mit der Einführung des Strafgesetzbuchs 1942 abgeschafft. 1992 wurde die Todesstrafe auch aus dem Militärstrafgesetz gestrichen. In der Bundesverfassung steht ausdrücklich, dass die Todesstrafe verboten ist.
Quelle: Kipa