Geld und Geist
Die Emmentaler, ihre Täufer und die Gnädigen Herren
Livenet: Hans Minder, Sie gehören dem Koordinationskomitee des Täuferjahrs an. Was soll es?
Hans Minder: Es war an der Zeit aufzuzeigen, dass der Staat Bern von der Täuferverfolgung Dreck am Stecken hat. Schon in der Vorbereitung auf das Täuferjahr ist viel über die Täuferverfolgung, ihre Motive und ihre Umstände an die Öffentlichkeit gekommen. Zuvor hatte man in den Schulen kaum etwas davon vermittelt. Heute staunt man im Volk. Wir stellen ein enormes Interesse fest.
Hat man verdrängt, dass sich das alte Bern bereicherte?
Durch die Enteignung von Höfen kam viel Geld in die Staatskasse. Dass dies bereits dem alten Staat peinlich war, lässt sich daran ablesen, dass bei der Aufhebung der Täuferkammer 1743 offenbar auch gleich die Akten mit entsorgt wurden. Meter von Akten fehlen heute; vermutlich wurden sie schon im 18. Jahrhundert vernichtet. Man hat damals wohl schon gesehen, dass die theologische Begründung der Täuferverfolgung sehr dünn war. Sie war nicht in erster Linie theologisch motiviert, sondern durch die Staatsraison. Man wollte nicht hinnehmen, dass Untertanen nicht glaubten, was der Staat als einzig richtige Wahrheit vorgab…
…und ihre Kinder nicht als Soldaten herzugeben bereit waren.
Natürlich. Die meisten der gnädigen Herren hatten durch Solddienste fette Einkünfte. Hieronymus von Erlach, der Erbauer von Thunstetten und Hindelbank, gehörte zu den reichsten Europäern seiner Zeit. Er machte sein Vermögen nicht mit Softwarepaketen wie heute Bill Gates, sondern mit der Vermietung von Berner Soldaten an ausländische Fürstenhöfe. Massenhaft marschierten Berner im Ausland. Allein für meine Gemeinde Lauperswil habe ich von 1600-1798 den Kriegsdienst von über 150 Männern nachweisen können, in Frankreich oder Sardinien, im Piemont oder in Holland. Das grosse Geld machte dabei immer der Patrizier, welcher der offizielle Herr dieser Armee war.
Hatten ausländische Herrscher mehrere Kontaktleute in Bern?
Der französische König hatte Schweizer Regimenter. In der Schweiz beauftragte er mehrere Stellen, für ihn Soldaten zu rekrutieren. Diese suchten die Männer. Der französische Staat zahlte den Herren den Sold; wieviel sie an die Soldaten weitergaben, war ihnen überlassen. Jene, die die Regimenter aufstellten, zogen sehr viel Erlös daraus – nicht nur Berner, sondern auch Patrizier wie der „Schweizerkönig“ Ludwig Pfyffer von Altishofen (15242-94) zu Luzern. Er verdiente sich mit den Soldaten eine goldene Nase.
Huldrych Zwingli, der Zürcher Reformator, war um 1520 gegen das Reislaufen und den Solddienst angetreten. Wurden die reformierten Orte seiner Linie untreu?
Zürich blieb auch nicht sauber – das Geld zählte. Vor der Reformation war jeder auf eigene Faust losgezogen; später verlief der Solddienst in geordneten Bahnen: Es gab offizielle Entsendungen von Schweizer Soldaten ins Ausland.
Fallen die Zeiten, in denen der Bedarf nach Soldaten besonders gross war, mit härterer Täuferverfolgung im Emmental zusammen?
Für einen direkten Zusammenhang fehlen mir Belege. Man muss auch sehen, dass der Solddienst bei der Bevölkerung nicht unbeliebt war. Es gab damals wenig Möglichkeiten, über den nächsten Marktflecken hinaus zu verreisen. Dazu kommt, dass im Emmental der jüngste Sohn den Hof erbte; die älteren Brüder mussten etwas unternehmen.
Meine genealogischen Forschungen in Lauperswil zeigen, dass der Solddienst vor allem bei ärmeren Familien verbreitet war. Die reichen Bauernsöhne der Familie Lüthi hatten ihn nicht nötig; sie konnten einen Hof kaufen, sich mit der Erbin eines stattlichen Hofs vermählen oder der Vater besorgte ihnen eine Wirtschaft. Bei den Armen profitierte der Staat doppelt: Sie kamen ihm von der Armenkost (Fürsorge) ab und man erhielt Sold für sie. Die Täufer verweigerten sich diesem Geschäft von Beginn weg: Ihre Knaben standen, da nicht getauft, nicht im Taufregister.
Stellte sich die reformierte Kirche nicht gegen den Solddienst im Ausland?
Wir müssen sehen: Vor 1832 gab es keine Berner Landeskirche. Im 16. und 17. Jahrhundert war die Kirche ein Teil des Staates. Die Gnädigen Herren zu Bern waren der Kirche vorgesetzt. Der Münsterpfarrer zu Bern, selbstverständlich auch ein Bernburger, erhielt seine Weisungen vom Schultheiss und vom Kleinen und Grossen Rat.
In Zürich trug der Reformator Heinrich Bullinger dem Rat regelmässig seine Meinung vor und nahm Einfluss auf die Politik.
Das gab es in Bern nicht. Die Kirche war Befehlsempfängerin. Das Chorgericht im Dorf war ein staatliches Herrschaftsinstrument. Es setzte Befehle von Bern lokal um. Der Pfarrer führte normalerweise das Protokoll; er setzte den Weibel ein, der die Bauern holen musste. Weiter sassen im Chorgericht die vermögenden Bauern, mit einem schönen Mänteli des Landvogtes. Dieser schaute einmal im Jahr vorbei, um sich zu vergewissern, dass sie sich recht benahmen.
Wenn der Spielraum der Pfarrer begrenzt war: Wehrten sie sich gegen die Täuferverfolgung – oder schürten sie sie?
Die Chorgerichtsmanuale von Lauperswil lassen erkennen, dass manche Pfarrer Sympathien für die Täufer hegten und die Repression zu mildern versuchten. Andere verfolgten jeden, der nicht 100-prozentig reformiert war. Da ist von Ausrottung mit Haut und Haar die Rede. Pfarrer Wyss, der gegen Ende des 17. Jahrhunderts im Dorf amtierte, hasste die Täufer. Für alles, was nicht gut lief, gab er ihnen Schuld, sogar für schlechtes Wetter. Das ist im Protokoll nachzulesen. Für ein Gesamtbild müsste ich die Manuale diverser Kirchgemeinden durchackern.
Worauf hatte der Pfarrer Einfluss?
Jedenfalls auf das Mass der Verfolgung. Wenn Bern ein neues Mandat beschloss, um der Täuferplage endlich Herr zu werden, empfing er Befehl vom Landvogt, scharf vorzugehen. Aber er konnte Leute warnen, die Jagd intensivieren oder bremsen. Ich meine, bei Hanspeter Jecker gelesen zu haben, dass ein Pfarrer entlassen wurde, weil er zu täuferfreundlich war. In Lauperswil habe ich das Gegenteil festgestellt.
Wohin floss das Geld aus der Versteigerung enteigneter Höfe?
Die Gelder wurden nach einem Schlüssel verteilt. Die Kirchgemeinde profitierte davon, wenn man einen Täufer ausnehmen konnte. Denn der Staat wollte, dass die Kirchgemeinde auch ein Interesse daran hatte, ihre Täufer zu packen. Die Gnädigen Herren profitierten, und natürlich der Landvogt. Jene, die sie verrieten, und die Täuferjäger wurden auch belohnt. Doch der Profit war das zweitrangige Motiv. Im Vordergrund stand das theologisch gestützte staatspolitische Motiv. Die Auffassung, dass Untertanen einen anderen Glauben als den offiziell vorgegebenen haben dürfen, begann sich erst mit Friedrich dem Grossen in Preussen („Jeder nach seiner Fasson“) durchzusetzen.
Aber gerade mit den Täufern konnte der grosse preussische Kriegsherr das Heu nicht auf derselben Bühne haben...
Friedrich brauchte Soldaten für seine Feldzüge. Ich habe Belege dafür, dass auch Emmentaler in seiner Garde dienten. In Lauperswil steht ein Speicher von 1790. Im oberen Kämmerchen ist hinter der Türe ein lebensgrosses Portrait von Friedrich dem Grossen aufgemalt. Vermutlich hat einer der Knechte in Preussen gedient.
Welche Spuren hat die Täuferverfolgung in der Mentalität von Emmentalern hinterlassen?
Schwer zu sagen. Man gewöhnte sich früh daran, dass Leute in verschiedene Kirchen gingen, und tolerierte dies. Meine Nachbarn und Arbeitskollegen engagieren sich in ganz verschiedenen Kirchen. Das Täuferjahr dient uns als Mahnung zur Toleranz.
Es ist an der Zeit, die Schulbücher neu zu schreiben. Heute liest man, dass die Bauern 1798 mit den Sägessen auszogen, um ihren Staat gegen die Franzosen zu verteidigen. Nirgends steht aber, dass schon am Tag nach der Schlacht von Neuenegg in Langnau der Freiheitsbaum (Liberté, Egalité, Fraternité) aufgerichtet wurde. Manche Emmentaler Untertanen mochten kaum warten, bis sie den Gnädigen Herren ‚eis ungerebrate’ (eines auswischen) und sich ihrer entledigen konnten.
Im Berner Münster sind die Namen aller Berner eingemeisselt, die 1798 fielen. 19 Personen aus Lauperswil sind aufgeführt. Ich habe ihre Stammbäume aufgezogen und kann nachweisen, dass nicht einmal die Hälfte von ihnen fiel. Sämtliche Männer wurden doppelt aufgeführt, damit es nach mehr aussieht. Ich ziehe daraus den Schluss, dass die Emmentaler kein Interesse hatten, gegen die Franzosen zu kämpfen. Im Gegenteil freute man sich, dass die Gnädigen Herren verjagt wurden. Dass man später 400 Leute würde stellen müssen, damit sie für Napoleon in Russland erfrören, sah man noch nicht. Für Napoleon sind doppelt so viele Lauperswiler gefallen wie in der Schlacht zu Neuenegg, unserer angeblich patriotischen Schlacht.
Sie sprechen von Lauperswil. Was weiss man von den anderen Gemeinden im Emmental?
Ich bin daran, Daten zu sammeln. Nur schon die Grundlagen – über die Anzahl der Täufer – zu sammeln, ist eine gewaltige Arbeit. Stammtafeln, die Auskunft geben über ihre Beziehungen und Verwandtschaft, gibt es noch kaum. Man müsste alle Chorgerichtsmanuale (Protokolle) in den Gemeinden durcharbeiten, nicht bloss die Akten in Bern oder in Trachselwald. Die Daten sollten einheitlich abgeliefert werden, damit man sie verknüpfen kann.
Hans-Rudolf Lavater und Martin Haas stellen dieses Jahr einen Quellenband über die Berner Täufer fertig.
Der Band (der im Herbst erscheinen soll und bis 1560 reicht; Red.) enthält vor allem täufergeschichtliche Quellen. Wir müssen auch die Genealogie erforschen, um zu erkennen, was für Familien das waren und welcher sozialen Schicht sie angehörten. Versammelten sich bloss die ärmsten Bauersleute – oder auch vermögende Grossbauern? Wenn ja, warum?
Was wissen Sie bis jetzt?
Ich sehe, dass das Täufertum von Familien getragen wurde. In Lauperswil waren das eine oder zwei Familien. Regelmässig fanden täuferische Gedanken in weiteren Familien Eingang, wenn eine Tochter von Täufern einheiratete.
Hans Minder, Lauperswil, Betriebsökonom HWV, beschäftigt sich seit seiner Kindheit mit Familiengeschichte und treibt genealogische Forschungen. Er gehört dem Koordinationskomitee des Täuferjahrs an.
Bild 4: Markus Gygax.
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch