Fachkongress für Seelsorge
Wenn Angst und Polarisierung auf Hoffnung und Liebe treffen
In Würzburg kamen Psychotherapeuten und Seelsorger zu einer Zeit von Krieg und Corona zusammen. Sie zeigen sich überzeugt, dass der christliche Glaube gegen Polarisierung und Angst hilft.
Menschen sind vor allem dann empfänglich für Populismus, Verschwörungstheorien und Fake News, wenn sie verunsichert sind. Das machte der Chefarzt der Gelderland-Klinik (in Geldern am Niederrhein), Matthias Gasche, auf dem 11. Internationalen Kongress für Psychotherapie und Seelsorge vom 1. bis 4. Mai in Würzburg deutlich. Vieles sei auf der Welt aus den Fugen geraten. Vor allem das Bedürfnis nach Beziehung werde oft mit Füssen getreten und verhindere, dass Menschen sich in einer zunehmend komplexeren Welt zurechtfänden.
So könnten Verunsicherung
und das unbeantwortete Bedürfnis nach Beziehung dazu führen, dass
Menschen sich empfänglich zeigten für Denkvereinfachungen. Die nicht
ausreichende Erfüllung von Basisbedürfnissen führe beispielsweise zu einer
Anfälligkeit für Verschwörungstheorien, so Gasche; er ist auch Facharzt für
Psychosomatische Medizin und systemischer Familientherapeut.
Hoffnung und Liebe statt Angst und Extrem
Der Kongress in Würzburg stand unter dem Leitwort «Zukunftssicher. Wenn Angst und Polarisierung auf Hoffnung und Liebe treffen». In Zeiten von Corona und Ukrainekrieg trifft das Thema den Nerv der Zeit. Bereits 2020 sollte der Fachkongress unter diesem Leitwort stattfinden, was wegen der Corona-Pandemie nicht möglich war. Nun erscheint der Kongresstitel aktueller denn je. Die rund 800 Teilnehmenden kamen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, der Niederlande, Ungarn, Lettland und Paraguay. Veranstalter war die «Akademie für Psychotherapie und Seelsorge» (APS, Bad Homburg).
Mehr Chöre – weniger Kliniken
In seinem Plenumsvortrag hob Matthias Gasche hervor, dass jeder Mensch Beziehungen brauche: zu sich selbst, zu anderen Menschen und zu Gott. Er erläuterte dies anhand des Genesungsprogramms der Anonymen Alkoholiker, das in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts formuliert wurde und bis heute Millionen von süchtigen Menschen zur Abstinenz verholfen hat.
Weiter machte Matthias Gasche deutlich, wie wichtig und hilfreich Musik ist. Das gemeinsame Musizieren sei elementar und setze Positives frei. «Wenn wir mehr Chöre hätten, dann bräuchten wir weniger psychosomatische Kliniken.» Zur Veranschaulichung sang er in einer kleinen Gruppe zwei Lieder und begleitete sie mit Gitarre. Es sei zudem durch Studien belegt, dass Singen und Musik die Intelligenz des Menschen positiv beeinflussten. Sie helfe auch, nachsichtiger mit sich und anderen zu sein.
Glaube drückt sich im Handeln aus
Gegenüber Livenet erläutert er zur Frage des Glaubens: «Der Mensch hat ein Grundbedürfnis nach Transzendenz und über sich hinaus zu gehen. Jeder Mensch sucht etwas, das grösser ist als er selbst.» Gasche machte weiter deutlich, dass er die Klinik als gläubiger Mensch führe, sich jedoch nicht eines frommen Vokabulars bediene. Er lege mehr Wert darauf, dass sich der Glaube im Handeln ausdrücke.
Giesekus: Auch für russische Soldaten und deren Mütter beten
Im Blick auf den Ukrainekrieg rief Prof. Ulrich Giesekus (Freudenstadt) im Eröffnungsvortrag dazu auf, sich dem simplen «Gut-Böse-Schema» zu entziehen. «Wir sollten auch für die russischen Soldaten und deren Mütter beten und nicht nur den Abschuss von russischen Panzern bejubeln.» Wer die Mitte vertrete, bekomme von «beiden Rändern eins auf den Deckel». Eindringlich sagte er: «Wir müssen Meister der Integration werden, sonst fliegt uns die Welt um die Ohren»
Prof. Giesekus erläuterte, dass religiös Glaubende besser mit Ängsten umgehen könnten. Religion sei ein wesentlicher Faktor für seelische Gesundheit. Das belege auch die Forschung der letzten Jahre. Christliche Hoffnung habe ihre Quelle im Ostersonntag, dem Tag, an dem der Sohn Gottes vom Tod auferstand. «Glaube ist der wichtigste Faktor, wenn es um Vermeidung seelischer und körperlicher Erkrankungen geht.»
Hilfe für Menschen in der Ukraine
Andrej Lohin, Leiter einer christlichen Klinik im ukrainischen Lwiw (deutsch: Lemberg), forderte Deutsche dazu auf, den Menschen in der Ukraine mit Medikamenten zu helfen. Mehr als 300 medizinische Einrichtungen seien in der Ukraine teilweise oder völlig zerstört. Die Bevölkerung brauche aber neben medizinscher vor allem psychologische Hilfe.
Zur Webseite:
akademieeps.de
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Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet