«Sie sind nicht allein!»
Ryan Casey Waller: Gläubig. Depressiv. Gehalten.
Über Geld redet man nicht, das hat man. Dasselbe scheint immer noch für psychische Probleme zu gelten. Gerade im christlichen Umfeld ist es schwer, über Depression zu sprechen – besonders wenn es die eigene ist. Ryan Casey Waller tut es.
«Wenn ich ehrlich bin, weiss ich, dass der Wahnsinn kein Fremder ist, der weit weg in einem fernen Land lebt, sondern ein Bekannter, der an meine Tür klopft, und dass es mich manchmal viel Kraft kostet, ihm nicht die Tür zu öffnen.» Das schreibt der Anwalt, Pastor und Therapeut Ryan Casey Waller in seinem Buch «Gläubig. Depressiv. Gehalten.». Es ist ein typischer Satz, denn so lesbar und nah ist das gesamte Buch.
Darüber muss man doch reden können
Unter Christen kann man über alles reden. Schwer wird es, wenn es um psychische Probleme geht. Die eigenen. Und sich die nicht wegbeten lassen. Das ist nicht zynisch gemeint, sondern eine Erfahrung, die wahrscheinlich alle gemacht haben, die sich im gemeindlichen Umfeld bewegen und unter Alkoholismus leiden, Angststörungen, Depression oder etwas Vergleichbarem. Waller schreibt sein Buch aus therapeutischer Sicht, aber auch als persönlich Betroffener. Und er beginnt es nicht mit Statistiken zum Thema, sondern mit seinem persönlichen Versagen. Er war angetrunken im Gottesdienst, aber er sass nicht in der letzten Reihe, sondern er stand vorne und hielt die Predigt. Er lallte. Er taumelte. Und dann holten ihn die Mitverantwortlichen in der Gemeinde von der Bühne.
Indem Waller peinliche Geschichten wie diese erzählt, nimmt er dem Versteckspiel rund um alles, was mit psychischen Störungen zu tun hat, die Macht. Die Folge ist keine peinliche Stille, sondern das Gefühl, dass hier jemand das Fenster aufreisst und endlich wieder frische Luft hereinkommt. Seine selbstverständliche Art, Schwierigkeiten beim Namen zu nennen, tut gut. Und sie ermutigt dazu, selbst zu reden.
Sie sind nicht allein!
Eine der grössten Lügen, die depressive Menschen glauben, lautet: «So schlimm bist nur du. Niemand versteht dich. Du bist allein.» Dem setzt Waller durch sein gesamtes Buch ein entschiedenes Nein entgegen. Das äussert sich in Zahlen, die zwar aus den USA stammen, aber bei uns in Europa kaum anders aussehen werden: «Bei Menschen zwischen 10 und 34 Jahren ist Selbstmord die zweithäufigste Todesursache.» – «Jährlich leidet jeder vierte US-Amerikaner an einer psychischen Störung.» – «Bis 2030 werden die jährlichen Kosten für psychische Störungen auf 16 Billionen Dollar geschätzt, mehr als für Diabetes und Krebs zusammen.» Und es äussert sich in vielen Erlebnissen von ihm selbst und von Menschen aus seinem Umfeld.
Natürlich geht Waller in diesem Zusammenhang auch darauf ein, wie sich Christen gegenseitig stützen und helfen können – gerade in dem Bewusstsein, dass vieles Leid weder erklärbar ist, noch eine direkte Lösung gefunden wird.
Konkret, aber ohne «Schritte zum Erfolg»
Das Buch ist kein Selbsthilferatgeber, der in sieben leichten Schritten den Weg aus der Depression möglich macht, aber es ist auch keine theoretische Abhandlung. Waller spricht darin über den Umgang mit Suizidgedanken, über professionelle therapeutische Hilfe (die von Christen zu selten in Anspruch genommen wird!), über den Einsatz von Medikamenten und natürlich immer wieder über die heilende Wirkung von Gemeinschaft.«Gläubig. Depressiv. Gehalten.» ist informativ, hilfreich, persönlich, praktisch. Ein Buch zum Weinen und Lachen. Und eines, das sich kompetent um eine der grossen Fragen unserer Gesellschaft kümmert: Wie gehen wir mit psychischen Störungen um? Bei uns selbst und bei anderen? Waller hält fest: «Mein Leben hat sich geändert, als ich anfing zu glauben, dass das Suchen nach Hilfe kein Ausdruck von Schwäche, sondern von Stärke ist.» Dazu ermutigt er seine Leserinnen und Leser.
Zum Buch:
Ryan Casey Waller: Gläubig. Depressiv. Gehalten.
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet