Apologetik-Konferenz ISTL
Muss Gott verteidigt werden?
Vergangene Woche veranstaltete das Theologische Seminar ISTL eine Konferenz, bei der es um die argumentative Verteidigung des Glaubens ging. Doch ist es heute überhaupt noch angebracht, sich auf Glaubens-Diskussionen einzulassen?
Rund 130 meist junge Leute sitzen in einem grossen Saal in der Heilsarmee in Oerlikon. Sie hören zwei jungen Referenten aus England zu. Einer davon ist Max Jeganathan. Er stellt den Teilnehmern folgende Aufgabe: «Formuliert in 90 Sekunden, warum ihr an Gott glaubt und schreibt es auf.» Daraufhin geben einige Teilnehmer ihr «90-Sekunden-Zeugnis» auf der Bühne weiter. Einer berichtet, dass er in einer christlichen Familie aufgewachsen sei. Als sich die Eltern trennten, brach seine Welt zusammen. Schliesslich habe er auf einer Jugendfreizeit Gott erlebt. Er konnte seinem Vater, «der uns verlassen hat», vergeben. Ein anderer hatte das Lebensziel, Profimusiker zu werden. Aber die «3 bis 4 Minuten Applaus» konnten seine innere Leere nicht ausfüllen. «Jesus hat mir gezeigt, dass er ein ganzes Universum an Zeit und Liebe für mich hat.»Keiner der Vortretenden sagt, dass er die «Für» und «Wider» des Glaubens sorgfältig abgewogen hab und schliesslich zu dem nüchternen Schluss gekommen sei, dass das Christentum eben stimmen muss. Die meisten Menschen kommen durch Erlebnisse, Krisen oder durch Freunde zum Glauben. Und doch geht es an dieser Konferenz des «International Seminary of Theology and Leadership» (ISTL) um Apologetik (von altgriechisch apologia: Verteidigung, Rechtfertigung), also die Verteidigung oder Bestätigung des Glaubens mit den Werkzeugen des Verstandes. Die Teilnehmer sollen «das Rüstzeug erhalten, ihren christlichen Glauben gegenüber Personen zu verteidigen, die ihm kritisch gegenüberstehen». Wozu soll das gut sein? Ist so eine Apologetik noch zeitgemäss?
In England hat Apologetik lange Tradition
Die Verteidigung des Glaubens hat eine jahrhundertealte Tradition. Schon in der Bibel in 1. Petrus, Kapitel 3, Vers 15 steht: «Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.» Das Urchristentum setzte sich mit den verschiedenen Strömungen seiner Zeit auseinander, etwa mit der griechischen Philosophie (Apostelgeschichte, Kapitel 17, Vers 16-34). In der frühen Kirche verteidigten christliche Apologeten wie Justin der Märtyrer (gest. 165 n. Chr.) oder Tertullian (gest. ca. 220 n. Chr.) den neuen Glauben gegen sektiererische Lehren ihrer Zeit. Im Mittelalter versuchte man mit verschiedenen Gottesbeweisen zu zeigen, dass der Glaube nicht nur mit dem Verstand vereinbar ist, sondern sich sogar logisch ergibt. Eine besondere Tradition entwickelte das Debattieren über die Rationalität des Glaubens in England und speziell in Oxford. 1860 fand im Museum der Universität die berühmt gewordene Debatte zwischen dem Biologen Thomas Huxley und dem Bischof von Oxford, Samuel Wilberforce, über Charles Darwins Evolutionslehre statt. An dieser Tradition knüpfte später C.S. Lewis an, der in Oxford Literaturwissenschaft lehrte. Mit seinem Buch «Pardon, ich bin Christ» verfasste Lewis die bekannteste apologetische Schrift des 20. Jahrhunderts. Heute ist vielen der christliche Mathematikprofessor John Lennox ein Begriff, dessen öffentliche Diskussionen mit den Atheisten Richard Dawkins, Christopher Hitchens und Peter Singer grosses Aufsehen erregten. Es ist also kein Zufall, dass heute in Oxford eine apologetische Akademie existiert, das «Oxford Centre for Christian Apologetics», bei dem auch Max Jeganathan mitarbeitet.Im englischsprachigen Raum hat die apologetische Auseinandersetzung eine viel grössere Tradition und einen höheren Stellenwert als bei uns. Man nimmt sich gegenseitig ernst, hat weniger Berührungsängste auf beiden Seiten und scheut sich weniger, Glaubensfragen zum öffentlichen Thema zu machen. Während hierzulande der Glaube schon derart zur Privatsache erklärt wurde, dass man nur dann darüber spricht, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt. «Bei uns ist die Debatte eher unterbelichtet. Man geht sich lieber aus dem Weg, als die Konfrontation zu suchen», meint Stefan von Rüti, der Leiter des ISTL.
Medien werden immer anti-christlicher
Demgegenüber steht allerdings auch eine Medienlandschaft, die dem Christentum grösstenteils immer kritischer bis offen feindselig gegenübersteht. Der katholische Theologe Thomas Staubli (Freiburg) erklärte kürzlich, in den Schweizer Medien werde subtil Anti-Christianismus verbreitet. Dieser Vorgang gehe weitgehend unkommentiert vor sich und werde nicht als Problem wahrgenommen. Erschwerend wirkt in diesem Zusammenhang das Aufkommen des islamistischen Terrorismus, der Religion insgesamt in ein schlechtes Licht rückt. Vielen ist nicht bewusst, dass auch das Christentum stark unter dieser Entwicklung leidet. Wo sind die Christen, die dagegenhalten können?
Schliesslich findet auch eine enorme Online-Diskussion statt. In sozialen Netzwerken und ihren Kommentaren laufen täglich unzählige Streitgespräche über Religion und Glaube ab, die jedoch meist «extrem oberflächlich und nicht durchdacht sind», wie Stefan von Rüti sagt. Selten finde man konstruktive Auseinandersetzungen. Die hitzigen Wortgefechte in der digitalen Welt zeigen aber auch, dass religiöse Fragen vielen Menschen unter den Nägeln brennen. Wenn es aber um den Glauben geht, ist Fragen stellen en vogue, Antworten geben nicht. Wer mit Antworten kommt, gilt als intolerant, und doch wird im Grunde nach Orientierung gesucht. Viele Menschen fragen sich insgeheim, was in der heutigen Zeit noch gilt, was unserem Leben Sinn gibt. Doch mit wem kann man darüber sprechen?
Liebe zu den Menschen hinter den Fragen haben
Es braucht Christen, die sprachfähig sind, die sich mit ihrem Glauben verstandesmässig auseinandersetzen und das auch formulieren können. Die keine Angst vor den grossen Fragen unserer Zeit haben. Voraussetzung dafür ist, dass man den eigenen Fragen und Zweifeln nicht ausweicht, sondern sich mit ihnen beschäftigt, sie im Gebet vor Gott legt. «Es gibt Fragen, an denen man vielleicht Jahre lang kauen muss. Gerade an den Themen, vor denen wir am meisten Angst haben. Aber wir sollten uns nicht mit einem billigen Glauben zufrieden geben», sagt Jeganathan. «Wir müssen nicht alle Antworten haben, aber wir sollten es versuchen.»Stefan von Rüti erklärte nach der Konferenz, dass ihm vor allem «das Wissen und die Scharfsinnigkeit verbunden mit einer starken Liebe» bei den jungen Referenten beeindruckt habe. Liebe zu den Menschen hinter den Fragen, ohne Berührungsängste zu haben. Für den Leiter des ISTL hat die Apologetik vor allem eine evangelistische Aufgabe. Natürlich könne man niemanden zum Glauben überreden, aber man könne Menschen auf den Weg helfen.
Zudem stärke es das eigene Selbstbewusstsein als Christ ungemein, wenn man für die eigene Meinung Gründe hat und sich nicht in die Defensive gedrängt fühlt. Die beste apologetische Antwort sei aber noch immer das persönliche Zeugnis. Das betonte auch Max Jeganathan vom «Oxford Centre for Christian Apologetics». Es gäbe kein stärkeres Argument, als zu erzählen, wie man Gott im eigenen Leben erfahren hat. Denn letztlich geht es im Glauben eben doch um Beziehung und nicht um Wissen. Aber man sollte das Wissen auch nicht gering schätzen.
Zum Thema:
Apologetik-Konferenz im ISTL: Als Christen lernen, den Glauben auf gute Art zu verteidigen
Persönlich gesehen: Apologetik, die mich (nicht) überzeugt
Kommentar: Für eine bessere Apologetik
Autor: Christof Bauernfeind
Quelle: idea Schweiz