«Ja, sie dürfen lehren und leiten»
Chrischona Schweiz ebnet Frauen den Weg auf die Kanzel
Darf eine Frau in der Kirche lehren und leiten? Katholiken, Orthodoxe, Teile der Lutheraner und einige Freikirchen sagen Nein. Der Chrischona-Theologe Christian Haslebacher sagt Ja. Seine Antwort, die er im Buch «Yes, she can!» darlegt, begründet auch er mit der Bibel.
Nach dem Studium am Theologischen Seminar St. Chrischona arbeitete Christian Haslebacher (40) mehrere Jahre als Pastor. Seit 2011 ist er als Regionalleiter Ost für 31 Chrischona-Gemeinden zuständig und Teil der Leitung von Chrischona Schweiz. Von 2004 bis 2007 arbeitete Haslebacher in der Chrischona-Projektgruppe «Der Dienst der Frau in der Gemeinde» mit. Zu eben dieser Fragestellung schrieb er seine Masterarbeit. Diese liegt nun in Buchform vor unter dem Titel «Yes, she can! Die Rolle der Frau in der Gemeinde. Ein bibelfestes Plädoyer» (Fontis, 2016). Seine Schlussfolgerung lautet: Ja, sie darf. Im idea-Gespräch mit Rolf Höneisen nennt er seine Argumente.idea Spektrum: Christian Haslebacher, schon 2004 arbeiteten Sie im Rahmen einer Projektgruppe innerhalb der Chrischona am Thema «Die Rolle der Frau in der Gemeinde». Was war das Ziel damals?
Christian Haslebacher: Die Projektgruppe rang mit den verschiedenen Positionen, die es in dieser Frage gibt. Denn eines ist klar: Es gibt zwar Bibelstellen, die für die eine Sichtweise sprechen, und Bibelstellen, die für die andere Sichtweise sprechen. Am Schluss kann die Antwort aber nur entweder ein «Ja, sie darf» oder ein «Nein, sie darf nicht» sein. Eine Grauzone gibt es in der Praxis nicht.
Dann widmeten Sie Ihre Masterarbeit diesem Thema. Hat sich Ihre Meinung im Laufe der Jahre geändert?
Ja. Ich war ursprünglich geprägt von der historisch-konservativen Auslegung. Aber erst 2004 begann ich, mich gründlich mit der Frage zu befassen. Es begann ein Prozess, in dem ich mich immer wieder hinterfragte, bis ich zur Meinung fand, die ich heute vertrete.
Gibt es einen Auslöser, einen entscheidenden Punkt, der Sie zur jetzigen Position führte?
Nein, es war ein fliessender Denkprozess hin zu einem stimmigen Gesamtbild. Nachdem ich alles abgewogen hatte, vollzog ich eine Art innere Gerichtsverhandlung. Aus der Fülle der Indizien formulierte ich schliesslich mein Fazit. Ich sage nicht, dass zu 100 Prozent alles für die progressive Auslegung, die ich im Buch vertrete, spricht. Es sind vielleicht 60 Prozent. Das heisst, 40 Prozent sprechen dagegen. Aus diesem Grund ringt die Christenheit bis heute mit der Frauenfrage.
Sie vertreten in Ihrem Buch, dass Frauen sämtliche Aufgaben innerhalb einer Kirche offenstehen. Täuschen sich Katholiken und jene freikirchliche Gemeinden, die das Predigen und Leiten nach wie vor den Männern vorbehalten?
Ich gehe davon aus, dass alle an dieser Diskussion Beteiligten aufrichtig tun wollen, was in der Bibel steht. Das nehme ich auch für mich in Anspruch. Wir ringen alle mit denselben Texten. Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mein Schluss dem gesamtbiblischen Zeugnis mehr entspricht als derjenige der Gegenposition. Ich finde es aber klar falsch, zu sagen, der Frau sei das Lehren und Leiten nur deshalb zu erlauben, weil eine dies ablehnende Ordnung nicht mehr zeitgemäss ist.
Das Ringen geht darum, wie biblische Aussagen heute anzuwenden sind, um der Absicht des Textes gerecht zu werden. Wie verhält sich dies Ihrer Meinung nach bei der Stelle aus 1. Timotheus – ich zitiere: «Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still.»? (1. Timotheus, Kapitel 2, Vers 12)
An dieser Schlüsselstelle entscheidet sich die Diskussion. Paulus argumentiert mit der Schöpfungsreihenfolge und dem Fall der Eva. Vertreter der historischen Position nehmen dies als Beweis, dass es sich hier um eine allgemeingültige Anweisung handelt.
Wie nähern Sie sich dieser Stelle?
Zum einen untersuchte ich, wie der Umgang mit Frauen in der Bibel ganz allgemein beschrieben wird. Wie handelt Gott mit den Frauen? Ich stellte fest, dass dies nicht immer so lief, wie in 1. Timotheus beschrieben. Dies ist demnach nicht der von Gott generell angewendete Standard. Das ist der erste Punkt. Dann untersuchte ich, wie Paulus auf das Alte Testament verweist. Ich habe insgesamt elf solcher Stellen gründlich studiert.
Was war die wesentliche Erkenntnis?
Dass Paulus nicht mit der Logik des westlichen Exegeten argumentiert. Er denkt eher wie ein jüdischer Rabbiner, der einen freieren Umgang mit dem Text hat. Diese zwei Punkte führten mich zum Schluss, dass Paulus im 1. Timotheusbrief keine Aussage für alle Gemeinden, in allen Kulturen und zu allen Zeiten macht. Er präsentiert keine umfassende Exegese, sondern wendet die Schrift teilweise selektiv oder ergänzend an, um seine Argumentation zu unterstützen.
Sie legen die Frauenfrage situations- und kulturbedingt aus. Darf man das?
Jeder, der in der Bibel liest, trifft Entscheidungen, was kulturbezogen ist und was nicht. Ich nenne mal das Kopftuch, die Haarlänge des Mannes, das Hosentragen der Frauen, die Praxis des Bruderkusses – übrigens: Sie haben mich heute nicht mit einem Kuss begrüsst, obwohl Paulus das befiehlt. Es gibt zahlreiche Beispiele, die wir oft unreflektiert als kulturbezogen einstufen. Zumindest was die Rolle der Frau in der Gemeinde betrifft, nehme ich für mich in Anspruch, mich mit diesen Fragen sehr intensiv auseinandergesetzt zu haben, um als Leitungsperson zu einer biblisch begründeten Meinung zu gelangen.
Da fragt sich die ältere Generation natürlich schon, ob sie die Bibel falsch verstanden hat. Was antworten sie ihr?
Ich kann gut nachvollziehen, dass ältere Geschwister grosse Fragen haben. Früher durfte man weder jassen noch tanzen und Frauen durften nicht predigen. Heute ist dies alles erlaubt. Es ist so: Jede Generation liest die Bibel durch die Brille ihrer Zeit. Das hilft, gewisse Fehler nicht mehr zu machen – dafür werden wir wiederum unsere eigenen Fehler machen. Der Theologe N.T. Wright sagt, er gehe davon aus, dass 20 Prozent seiner Theologie falsch sei – er wisse aber nicht, welche. Diese demütige Haltung sollten wir uns alle aneignen, gleichzeitig aber um eine bibeltreue Theologie ringen.
Sie sagen, Frauen dürfen leiten und lehren. Ist das nun offizielle Lehre bei Chrischona Schweiz und Chrischona International?
Die Leitung von Chrischona Schweiz steht im Grundsatz zum Fazit meiner Arbeit, so wie sie im Buch formuliert wird. Die Ortsgemeinden wiederum sind frei, eine Frau als Pastorin anzustellen oder in die Leitung zu wählen, oder dies nicht zu tun. Chrischona Deutschland bewegt die Frage zurzeit und am Theologischen Seminar St. Chrischona wird die Frage durchaus kontrovers behandelt, was ich gut finde.
Lesen Sie das ausführliche Interview in ideaSpektrum Nr. 24-2016.
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Autor: Rolf Höneisen
Quelle: idea Spektrum
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