Prof. Dr. Stefan Schweyer

Gottesdienst: verstehen – gestalten – feiern

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Stefan Schweyer am Predigen (Bild: zVg)
Stefan Schweyer war Referent der FEG-Pastorenkonferenz zum Thema Gottesdienst im Herbst 2021 und hat ein Buch mit Titel «Gottesdienst: verstehen – gestalten – feiern» geschrieben. Harry Pepelnar befragte ihn dazu.

Warum braucht es ein Buch über Gottesdienste?
Stefan Schweyer: Wir feiern Gottesdienste oft aus Gewohnheit oder Tradition. Ich glaube, dass es uns gut tut, darüber nachzudenken, was eigentlich passiert, wenn wir Gottesdienst feiern. Warum machen wir es so, wie wir es machen?

Wieso braucht es Gottesdienste?
Weil ein Gottesdienst eine öffentliche Proklamation ist, wer Gott ist und wer sein Volk ist. Gottesdienst ist ein Zeichen von Menschen, die damit zum Ausdruck bringen: Es gibt da etwas, das uns wichtiger ist als alles andere, nämlich Jesus Christus. Wenn dieses Signal nicht mehr da ist, tut das einer Gesellschaft nicht gut.

Im Gottesdienst kommen Himmel und Erde zusammen?
Das ist Gottes grosses Ziel mit der Welt. Die Offenbarung beschreibt es so, dass Gott mitten unter seinem Volk wohnt. Das heisst, dass Himmel und Erde zusammenkommen. Gottesdienst ist der Ort, wo das ein Stück weit schon heute passiert. Biblisch begründe ich das mit Matthäus, Kapitel 18, Vers 20: «Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.» In der gottesdienstlichen Versammlung ist die Gegenwart von Jesus noch einmal eine andere als die allgemeine Gegenwart von Gott in meinem Alltag.

Ist Hauskreis gleich Gottesdienst?
Bei Gottesdiensten geht es nicht darum, wie viele Menschen dabei sind, sondern es geht um Gott, den wir feiern. Aber jetzt zeichnet uns die Bibel ein Bild, dass ich mit Menschen zusammen bin, mit denen ich sonst nicht zusammen wäre. Auch vielleicht mit Menschen, die mir gar nicht so sympathisch sind. Es ist ein Merkmal der christlichen Gemeinde, dass in einem Gottesdienst Menschen aus allen Schichten dazu gehören. Das heisst also: Wenn es aus irgendwelchen Gründen nicht anders geht, als in kleinen Gruppen Gottesdienst zu feiern, nehmen wir die kleine Gruppe. Wenn es aber die Möglichkeit gibt, im grösseren Rahmen Gottesdienst zu feiern, dann ist es ein Teil des Evangeliums, mit möglichst vielen unterschiedlichen Menschen Gottesdienst zu feiern – und dann würde es dem Evangelium nicht entsprechen, diese Möglichkeiten nicht zu nutzen und sich in eine kleine Gruppe zurückzuziehen.

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Harry Pepelnar
Kann man Christ sein ohne Gottesdienst?
Es wäre eine Überheblichkeit, wenn ich sage, ich habe Gottesdienste nicht mehr nötig. Das könnte ich vielleicht sagen, wenn es mir gut geht. Und dann kann schnell eine Zeit kommen, in der es mir  nicht gut geht und ich auf andere Menschen angewiesen bin. Dann lerne ich den Wert von Gemeinde und Gottesdienst neu schätzen. Dann hilft mir, dass ich in ein Lied einstimmen kann, das ich selber nicht mehr anstimmen könnte. Und ganz allgemein gilt: Ich bin darauf angewiesen, dass mir jemand das Wort von Gott sagt. Wie es in einem Sprichwort heisst: Das Wort, das mir hilft, kann ich mir nicht selber sagen.

In 1. Korinther, Kapitel 14, Vers 26 heisst es, dass jeder etwas beitragen kann. In vielen Gottesdiensten sitzen die Leute einfach da und schauen sich ein Programm an. Warum?
In unserer Gesellschaft haben wir uns an eine Konsumhaltung gewöhnt. Es gibt Produzenten und Konsumenten. Wenn wir in einen Gottesdienst gehen, verhalten wir uns oft als Konsumenten und nicht als Mitgestalter. Und wenn wir Produzenten sind, gestalten wir ein Programm, statt die Besucher in ein gemeinsames Handeln zu führen. Da sind wir stark von unserer Kultur gefärbt.

Was wäre die Lösung?
Freikirchen machen schon vieles gut. Zum Beispiel, dass man den Produzenten wechselt. Nicht jeden Sonntag machen die Gleichen das Gleiche. Es hilft, dass die Akteure nicht nur immer produzieren, sondern auch als Teilnehmer dabei sind. Ich rede darum von Gottesdienst-Teilnehmern und nicht mehr von Besuchern. Das ist mein erster Schritt und betrifft die Haltung. Auf der Gestaltungsebene überlege ich mir, bei welchen Handlungen im Gottesdienst sichtbar wird, dass Teilnehmer nicht nur Konsumenten sind. Das Wichtigste in unseren Freikirchen ist das miteinander Singen. Die Musikverantwortlichen helfen, dass die Gemeinde in diese Erfahrung kommen kann. Als Gottesdienstleiter mache ich mir Gedanken: Wie kann ich die Gemeinde in das gemeinsame Beten hineinführen? Wo gibt es Raum für Wortbeiträge? Es ist aber nicht die Lösung, dass wir denken, jeder Einzelne muss unbedingt etwas gesagt haben.

Gottesdienst und Kollekte einsammeln. Stört das nicht?
In der Bibel ist klar, dass der Glaube mit Geld zusammenhängt. Aber es braucht eine kulturell sensitive Form. Das Geben von Geld ist auch ein Ausdruck von Hingabe. Deshalb passt beispielsweise das Einsammeln der Kollekte nicht an den Anfang. Der Gottesdienst fängt ja nicht damit an, dass ich etwas bringe, sondern dass Gott sich mir schenkt und ich etwas von ihm empfange. Kollekte passt eher in ein Antwortgeschehen als Ausdruck der Hingabe. In der klassischen Form gehörte die Kollektensammlung zum Abendmahl. Man brachte Naturalgaben an den Altartisch und was übrig blieb, hat man dann den Bedürftigen verteilt.

Die Musik im Gottesdienst, sollte da nicht mehr Vielfalt sein?
Das wichtigste Kriterium ist die Frage, was sich eignet, um gemeinsam singen zu können. Es gibt heute Worship-Lieder, die zu kompliziert sind für die Gemeinde. Das Mitsingkriterium finde ich fast wichtiger als die Stilrichtung. Man kann sich auch fragen: Ist es ein Lied, das ich auch unter der Dusche singen könnte? Das mich also in den Alltag begleiten kann? Da spielt dann der Stil keine Rolle mehr. Kein Stil sollte jedoch zu extrem gepflegt werden. Denn Extremformen in jedem Stil (extrem klassisch, extrem jazzig, extrem rockig etc.) sind für den gemeinsamen Gesang nicht geeignet.

Gibt es ein Rezept gegen langweilige Gottesdienste?
Es fängt mit der eigenen Freude an Gott an. Haben die Menschen im Gottesdienst Freude an der Begegnung mit Gott? Nicht nur die Menschen auf der Bühne, sondern auch die Teilnehmer? Wenn ich schon mit der Einstellung gehe, es könnte langweilig sein, dann wird es schwierig. Wenn ich aber mit der Einstellung gehe, dass ich selbst ein Teil der Gottesdienstgemeinde bin und durch meine Person den Gottesdienst mitgestalte, hilft mir das. Wenn ich verantwortlich bin für die konkrete Gestaltung, dann würde ich sagen: alles kürzer und prägnanter machen. Wir zerreden manchmal vieles und das macht es langweilig.

Zum Buch:
Gottesdienst: verstehen – gestalten – feiern

Zum Thema:
Die evangelische Mitte: Kirchen schöpfen Kraft aus der Auferstehung
Fundierte Studie: Freikirchliche Gottesdienste sind vielfältig
Vom Leiden zum Handeln: Gottesdienst ist mehr als Predigt

Datum: 20.04.2022
Autor: Harry Pepelnar
Quelle: FEG-Magazin

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