Kirchen in den Medien
«Freikirchen hatten zu hohe moralische Ansprüche»
Das Image von Freikirchen ist ausserhalb der Szene
laut einer Studie in der Schweiz nicht das beste. Der PR-Berater Markus
Baumgartner erklärt, worauf es für Kirchen bei der Kommunikation
ankommt und was sie dabei von Jesus lernen können.Markus Baumgartner, Sie sagen, man muss in der Lage sein, seinen Glauben möglichst in 20 Sekunden erklären zu können. Warum?
Markus
Baumgartner: Für eine SMS oder auf Twitter hat man nur wenige Zeichen
zur Verfügung, um etwas mitzuteilen, da muss man die Informationen auf
den Punkt bringen. Aber auch wenn Sie die Chance haben, in den
Abendnachrichten im Fernsehen ein Statement zu geben, wäre das nicht
länger als fünfzehn bis zwanzig Sekunden. Ich habe Pastoren geschult,
vor der Videokamera die wichtigsten Botschaften rüberzubringen. Wer ist
Jesus? Ist die Bibel glaubwürdig? Was die Bibel lehrt, das sind unsere
selbstverständlichsten Fragen, unsere wichtigsten Werte. Man kann sich
darauf vorbereiten, das in nur zwanzig Sekunden zu sagen. Die Pastoren
haben das im Training in der Kürze der Zeit hinbekommen. Aber es war nur
für Insider verständlich. Das hätte nicht im Fernsehen gesendet werden
können. Man muss so etwas verständlich machen, eine Brücke schaffen.
Wie zum Beispiel?
Auf
die Frage, wer ist Jesus, wäre eine mögliche Antwort in zwanzig
Sekunden: «Wenn Donald Trump behauptet, er ist der mächtigste Mann in
Amerika, dann ist Jesus für mich der mächtigste Mann der ganzen Welt. Er
hat mit seinem Tod am Kreuz meine ganze Vergangenheit geregelt. Er gibt
mir Sinn im Hier und Jetzt. Und egal, was Donald Trump in Zukunft
machen will, mit Jesus hab ich eine blendende Zukunft.» Ich verbinde
mein Statement mit einer säkularen Gegebenheit, für die es
Aufmerksamkeit gibt. Dazu brauchen wir eine intelligente Sprache. Aber
unsere Sprachfähigkeit in der Gesellschaft ist verlorengegangen. Das
müssen wir trainieren.
Warum sollten Gemeinden überhaupt in die Medien kommen?
Nehmen
wir an, die Medien sind ein grosser Dorfmarkt. Wenn die Christen kein
Angebot dort haben, sind sie nicht Teil des Dorfes. Es ist, um ein
anderes Bild zu nehmen, wie ein Fischernetz auszuwerfen. Die Fische muss
Gott hineinbringen. Aber wenn das Angebot nicht bekannt ist, wie sollen
die Leute irgendwo andocken können? Unser minimaler Auftrag als
Christen ist es, so präsent zu sein, dass die Leute wissen: Dort könnte
ich hingehen.
Wie kommt eine Kirche in die Medien?
Medien
bilden nichts ab, was nur für Insider interessant ist. Ein Journalist
fragt immer: Ist das, was jetzt bei euch passiert ist, auch wesentlich
für alle anderen Bevölkerungsgruppen? In dem Sinne könnte die Kirche
einen Jahresplan machen für 2020 und überlegen, mit welchen Anlässen und
Themen sie auch für die säkularen Leute interessant sein könnte. Man
holt zum Beispiel Prominente für einen Anlass oder veranstaltet ein
kontroverses Podium.
Was sollten Gemeinden oder Gemeindeverbände beachten, wenn sie öffentlich kommunizieren?
Beim
Verband der Freikirchen in der Schweiz haben wir zum Beispiel ein
fundamentales Problem: Er heisst VFG und niemand weiss, was das heisst. Das
ist ein unbedeutendes Kürzel, also weg damit. Es braucht auch ein
Monitoring. Ich muss wissen, was andere über mich schreiben, dann kann
ich auch Fehler korrigieren. Und vor allem braucht es einen aktiven
Ansatz, sich nicht nur dann zu melden, wenn man gefragt wird. Dazu
gehört ein Kommunikationskonzept, das die eigenen wichtigsten Werte und
Forderungen enthält. Die kann ich dann kommunizieren.
Was kann ein einzelnes Gemeindeglied tun, um für eine positive Aussenwahrnehmung zu sorgen?
Einerseits
muss es darum gehen, dass ein Pastor seine Leute «ausbildet», Montag,
Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag als Christen zu leben.
Andererseits: Wenn wir montags gefragt werden: Was hast du am Wochenende
gemacht?, dann zu sagen: Ich war in der Kirche und das war supergut und
diese Woche wird sensationell, weil es das beste war, was ich gehört
habe. Also dass wir stolz sind auf den Sonntag. Dann hat die Kirche
gewonnen. Wenn die Kirche kein Thema ist, dann hat sie verloren.
Worauf kommt es in den Gottesdiensten selber an?
Aus
Sicht der Kommunikation braucht es zwei Predigten: die Exegese und die
Rhetorik. Die Leute sind aus der TV-Welt gewohnt, dass sie auf der Bühne
was geboten kriegen. Der Pastor muss keinen Fernsehgottesdienst machen,
aber ein Erlebnis schaffen. Ein ganz simples Beispiel: Ein Pastor hat
über Salz gepredigt und ein kleines Döschen mit Salz herumgegeben. Das
durften alle anschauen und probieren. Was war der Effekt? Alle hatten
einen salzigen Mund und haben darauf gewartet, dass sie ins Kirchencafé
können, um ihren Durst zu löschen. Das haben die nicht so schnell
vergessen.
Was können Christen von der Kommunikation Jesu lernen?
Er
war ausserordentlich verwurzelt im jüdischen Alltag. Er hat sehr
geschickt Beispiele aus dem Umfeld der Menschen erzählt und das auf ganz
neue Art und Weise ausgelegt. Ich finde Jesus sensationell. Wir haben
2000 Jahre Zeit gehabt, seinen Lebensstil zu übernehmen. Aber wir sind
weit davon entfernt. Heute sind Christen teilweise sehr militant. Dieser
«Marsch fürs Leben» in der Schweiz gegen Abtreibung zum Beispiel: Da
gibt es eine gewaltsame Gegendemo und ohne Polizei-Einsatz wäre dieser
Marsch nicht mehr durchführbar. Einige Jahre sind sie auch mit
Kindersärgen durch die Strassen gelaufen. Damit bringen sie zum Ausdruck:
Du bist ein Mörder. Was macht das mit dir, wenn Christen öffentlich zu
dir sagen: Du bist ein Mörder? Glaubst du dann in voller Liebe an Jesus?
Die Demo hat ein berechtigtes Anliegen, aber kommunikativ ist sie
komplett falsch aufgestellt.
Sie
haben für Ihr Buch eine Umfrage unter der Schweizer Bevölkerung
gemacht. Dabei kam heraus, dass 42 Prozent noch nichts von Freikirchen
gehört haben. 19 Prozent derjenigen, die sie kannten, haben schlechte
Erfahrungen mit ihnen gemacht. Woher kommt das?
Das
grösste Problem ist, dass die Christen nicht bereit sind für ihre
Hauptbotschaft. Und was ist das? Liebe den Herrn mit deiner ganzen
Kraft, mit ganzem Herzen und mit deinem Verstand. Wir haben in den
Freikirchen moralisch grosse Fehler gemacht und hatten vor allem einen
falschen Anspruch. Ich finde, Moral ist ganz wichtig. Wenn ich mich für
ein Leben mit Jesus entscheide, dann weiss ich: Mein Geist wird erneuert
und will auch immer artig sein. Aber mein «Fleisch» bleibt ein Sünder
bis ans Lebensende und ist Tag und Nacht fähig, die grösste Schweinerei
zu begehen. Und das ist bei Christen auch passiert. Diese Diskrepanz
zwischen Heiligung und Schweinereien ist gross. Wir hatten aber immer so
getan, als hätten wir moralisch alles im Griff. Es gab einen Christen
im Nationalparlament, der verkündet hat, bei Christen gibt es keine
Scheidung. Inzwischen sagt der Politiker das nicht mehr, denn zwei
seiner Söhne sind geschieden. Die Lebenserfahrung hat ihn eingeholt. Wir
haben überzogene moralische Vorstellungen gehabt, die wir nicht
einhalten können. Und das hat uns unglaubwürdig gemacht.
Das heisst also, dass auch die Gemeinden selbst ihren Beitrag für ein schlechtes Image geleistet haben?
Ja.
Mein Lieblingsspruch zum Thema Missionierung ist: Ich bin ein Bettler,
der einem anderen Bettler erzählt, wo es etwas zu essen gibt. Aber ich bin
keinen Deut besser. So zu tun, als sei ich besser, kommt nicht gut an.
Da wäre Ehrlichkeit viel wichtiger. Wir wissen, dass die Glaubwürdigkeit
steigt, wenn Menschen für einen Fehler einstehen. Aber es geht gegen
einen tiefen Stolz, den wir Christen eben auch haben.
Wie liesse sich das Image verbessern?
Wir
müssen interessant sein. Es muss in der Wahrnehmung der Menschen ein
Plus sein, zu sagen, ich bin gläubiger Christ: Dem kann man vertrauen,
er hat solide Werte, er ist treu, er wird seine Verträge einhalten, mit
dem kann man gut zusammenarbeiten. Wir müssen das Bild von uns ändern
und sagen: Hey, ich bin ein Plus, ich bin eine Bereicherung für die
Gesellschaft. Oft schämen wir uns und warten demütig, dass Jesus
wiederkommt. Aber wir müssen das aktiv in die Hände nehmen, und dann ist
die Kommunikation eine Folge dieser guten Dinge: Tue Gutes und sprich
darüber. Jakobus sagt in seinem Brief, Wort und Tat gehören zusammen.
Wenn wir nicht Täter des Wortes sind, ist unser Glaube zu nichts nutze.
Wir müssen hinausgehen, mobile Angebote machen, wo die Leute sind. Das
Salz gehört in die Suppe, das Licht gehört ins Dunkle. Wenn die Gemeinde
sich nur um sich selber dreht und es schön hat, dann fehlt die
Existenzberechtigung.
Manche
Christen argumentieren: Wir müssen angefeindet werden, denn wir sind
nicht von dieser Welt und müssen uns mit unseren Meinungen von ihr
unterscheiden...
Das ist ein
selbst gewähltes Martyrium: Ich mache etwas, damit ich Haue kriege, und
fühle mich bestätigt. Ich bin bereit für Verfolgung, aber nur, wenn ich
verfolgt werde wegen Jesus, nicht wegen übertriebener moralischer
Ansprüche. Es gibt in der Bibel auch Apostelgeschichte, Kapitel zwei:
«Die Christen hatten Gunst beim Volk.» Das wäre meine Idealvorstellung.
Zum Originalartikel auf PRO.
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Autor: Jonathan Steinert
Quelle: PRO Medienmagazin | www.pro-medienmagazin.de