Frauen in Leiterschaft
SEA-Präsident Wilf Gasser: «In der Praxis haben wir viel Nachholbedarf»
In der Theorie ist man(n) sich in den Leitungsgremien von christlichen Gemeinden und Werken bis auf ganz wenige Ausnahmen einig: Frauen sollen ebenso die Chancen haben, im Reich Gottes verantwortungsvolle Posten zu übernehmen wie Männer. Trotzdem sind Leitungsteams nach wie vor stark von Männern dominiert. Warum ist das so? Diese Frage wurde am Freitag, 2. November 2018, beim «Livenet-Talk» in Bern diskutiert.Am ersten November-Wochenende 2018 standen die Türen zum Livenet-Büro weit offen. Interessierte aus der ganzen Schweiz nutzten die Gelegenheit, um einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Das vielfältige Angebot von Workshops liess die Besucher ausserdem gleich selbst kreativ werden, unter anderem beim kreativen Bibellesen mit «Bible Art Journaling» oder bei einer Schreibwerkstatt.
«Livenet-Talk» lanciert
Mit dem Thema «Frauen in Leiterschaft, ja aber…» wurde an den Tagen der offenen Türen bei Livenet ein neues Videoformat ins Leben gerufen. Bei dem sogenannten «Livenet-Talk» handelt es sich um Gesprächsrunden, in denen Persönlichkeiten aus der christlichen Szene über aktuelle Themen diskutieren.Unter der Moderation von Florian Wüthrich (Chefredaktor Livenet) unterhielten sich Sabine Fürbringer (Leiterin Campus WE), Marianne Meyner (CEO der Heilsarmee ) und Wilf Gasser (Präsident der Schweizerischen Evangelischen Allianz SEA) über ihre Erfahrungen. Das Publikum im Bistro sowie die Zuschauer des Livestreams im Internet erhielten die Möglichkeit, ihre Fragen in die Runde miteinzubringen.
Noch viel Potenzial vorhanden
Wilf Gasser, der einzige Mann unter den Talkgästen, wies auf das grosse Potenzial hin, das durch die Förderung von Frauen in Verantwortungspositionen vorhanden wäre. «Vom Kopf und vom Herz her ist für mich klar, wir sind eigentlich bereit für mehr Frauen, aber in der Praxis haben wir viel Nachholbedarf», gab er zu und ergänzte, «Irgendwie bräuchte es wahrscheinlich schon radikale Schritte.» Wie diese Schritte konkret aussehen, sei nicht so leicht zu beantworten. Wichtig sei, Frauen ganz spezifisch zu fördern.
Sabine Fürbringer erklärte, dass bei Campus für Christus das Entwicklungsziel formuliert wurde, in ein paar Jahren mehr Frauen in Führungspositionen zu haben. Sie stellte im Gespräch fest: «Es spiegelt sich hier etwas wider, was auch gesamtgesellschaftlich zu beobachten ist. Und hier haben wir eine Jahrtausende alte Geschichte hinter uns und die hat erst in den letzten 150 Jahren begonnen, sich umzuwälzen.»Dennoch gibt es für sie in den christlichen Kreisen einen bedeutenden Pluspunkt. «Ich bin zu tiefst überzeugt, dass wir als Christen, als Menschen, die Zugang haben zum Schöpfer, der uns als Mann und Frau ausgedacht und geschaffen hat, noch andere Möglichkeiten hätten, um auch in der Führungsebene in ein Miteinander zu kommen.» Denn ihr falle auf, dass die theologische Klärung, dass Frauen leiten und predigen dürfen, noch nicht eine Umsetzung in der Praxis nach sich ziehe.
Die Ehe als möglicher Bremsklotz
Ein gutes Beispiel dafür, dass diese Förderung offensichtlich möglich ist, bildet die Heilsarmee. Frauen erhalten nämlich flächendeckend die gleichen Rechte und werden auch nach der Eheschliessung individuell gefördert. Als Heilsarmee-Geschäftsführerin weiss Marianne Meyner, wovon sie spricht. Dennoch merkte sie an: «Selbst bei besten Voraussetzungen, muss man sagen, dass die Umsetzung nicht einfach ist.»
Auch in der Heilsarmee sei nur ein Bruchteil der Top-Führungspositionen von Frauen besetzt. Diese Frauen seien praktisch alle unverheiratet. Dies könne daran liegen, dass Frauen sich nach der Heirat und dem Kinderkriegen häufig mehr in den Haushalt einbringen. Deshalb sei es besonders wichtig, in der Ehevorbereitung die Aufgabenverteilung bewusst zu thematisieren. Für sie laute die relevante Frage: «Habt ihr euch überlegt, wer von euch wie viel Haushalt macht?»Wilf Gasser thematisierte ebenfalls die klare Kommunikation zum Start in die Ehe. Denn Männer seien eher karrieregetrieben und Frauen würden sich eher zurücknehmen. Ein Ansatz liege vielleicht darin, als Frau nicht ganz aus dem Beruf auszusteigen und relativ rasch weder teilzeitlich einzusteigen. Sabine Fürbringer, selbst auch Mutter von zwei erwachsenen Kindern, findet es absolut legitim, wenn sich Frauen ganzheitlich auf Zuhause konzentrieren wollen. Doch auch für sie sind die bewussten Entscheidungen ausschlaggebend.
Dranbleiben
In der Talkrunde waren sich alle einig, dass es noch viel Luft nach oben gibt. «Es ist ein Prozess, in dem wir uns befinden», sagte Sabine Fürbringer und bleibt zuversichtlich. Wilf Gasser räumte ein, dass es noch aufwändig sei, hartnäckig die gesetzten Ziele zu verfolgen. «Es braucht ein Dranbleiben, um Frauen zu ermutigen.» Dies bleibt auch für Heilsarmee-CEO Marianne Meyner eine Herausforderung. «Ich will sehr ermutigen, dass wir dranbleiben», sprach sie der Runde hoffnungsvoll zu.
Zum Livenet-Talk:
Autor: Annina Morel
Quelle: Livenet