«Niemandskinder»
Stiftung «Gott hilft» stellt sich ihrer Vergangenheit
2012 wurde die Stiftung «Gott hilft» von Boulevardmedien angegriffen. Die Stiftungsleitung stellte sich den Vorwürfen und ging noch einen Schritt weiter. Sie liess die Vergangenheit aufarbeiten und forderte Ehemalige auf, ihre Geschichte zu erzählen.
In die Offensive
Nicht so die Stiftung «Gott hilft» in Zizers. Nachdem der Blick berichtet und sich einzelne Ehemalige aus früheren Jahrzehnten ebenfalls zu Wort gemeldet hatten, ging die Stiftungsleitung mit Gesamtleiter Daniel Zindel in die Offensive.Sie schuf eine unabhängige Anlaufstelle, der man allfällige schwierige Erfahrungen melden konnte, und die auf Wunsch auch anonym aufgenommen und dokumentiert wurden. Und sie richtete gleichzeitig einen Hilfsfond zur therapeutischen Aufarbeitung ein. Zugleich unterstützte die Stiftung die Arbeit des «Runden Tischs für Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen» und half mit, dass ein Fond für Härtefälle eingerichtet wurde.
Nicht nur eine Jubelfeier
Am Jubiläumsanlass am 10. September wird ein Brunch für Ehemalige angeboten. Sie können auch das Fotoarchiv der Stiftung besichtigen und ein Gespräch mit Gesamtleiter Daniel Zindel führen. Zindel hat schon bisher etliche Gespräche mit Ehemaligen geführt, die mit ihm über Erfahrungen aus ihrer Zeit in einem «Gott hilft»-Heim sprechen wollten.
Aus Anlass der 100-Jahrfeier 2016 beschloss die Stiftung, ihre Geschichte auch kritisch aufzuarbeiten. Sie gewann dafür mit der promovierten Historikerin Christine Luchsinger eine aussenstehende Fachperson. Sie hat ihre Erkenntnisse im Buch «Niemandskinder» auf 316 Seiten dokumentiert und beschrieben, das jetzt im Verlag Desertina erschienen ist.Vergleichbarer Erziehungsstil
Das Buch zeigt, dass sich die Erziehungsmethoden in den «Gott hilft»-Heimen nicht wesentlich von denen unterschieden, die auch in Familien bis in die 1970er-Jahre und darüber hinaus üblich waren. Dazu gehörten Körperstrafen und auch «Demütigungen». Dann setzte eine fundamentale Wende ein, die zusammen mit der Professionalisierung der Erziehung auch in den «Gott hilft»-Institutionen Einzug hielt. In einem Interview mit Radio DRS machte Christine Luchsinger am Sonntag (4. September 16) der Stiftung daher keine Vorwürfe und betonte, dass sie bei ihrer Arbeit von der Leitung unterstützt wurde und unter anderem ungehindert Zugang zum ganzen Archiv der Stiftung hatte.
Transparenz statt Abschottung
Das Vorgehen der Stiftung darf als modellhaft gesehen werden. Obwohl die Vorwürfe die Leitung in der ersten Phase stark herausforderten, behielt sie kühlen Kopf und beschloss, die Offenlegung ihrer Vergangenheit mit allen Risiken, welche diese Transparenzoffensive mit sich brachte. Doch die medialen Attacken liessen schnell nach und das Resultat, dokumentiert in einem Buch, belegt jetzt, dass sie damit richtig lag. Intern lösten die Vorgänge zudem ein Nachdenken über zeitgemässe Heimpädagogik aus, das zum Teil in der Zeitschrift «lebendig» der Stiftung durch verschiedene Artikel anschaulich gemacht wird.
Das soll auch an der 100-Jahr-Feier am nächsten Samstag sichtbar werden. Das Programm bietet Fachreferate zu Themen der fünf Arbeitsfelder der Stiftung an sowie Besichtigungen der Einrichtungen und eine Ausstellung zum Thema «100 Jahre Kinder- und Jugendhilfe».
Zur Webseite:
Stiftung Gott hilft
Zum Programm des Jubiläumsfests
Jubiläumsausgabe der Zeitschrift «lebendig» der Stiftung Gott hilft
Zum Buch:
«Niemandskinder»
Zum Thema:
100 Jahre Stiftung «Gott hilft»: Von einer Heilsarmee-Offizierin zu einer grossen sozialen Stiftung
50 prägende Jahre: Von der Heimerziehung zur Sozialpädagogik
Stiftung Gott hilft: Ausstellung: «100 Jahre Kinder- und Jugendhilfe»
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet
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