Leiterforum von SEA und VFG

Wie die Bibel an Einfluss gewinnen kann

Die Bibel hat ihren früheren Stellenwert in vielen Gemeinden eingebüsst. Defizite machen sich bemerkbar. Das Leiterforum der Schweizerischen Evangelischen Allianz (SEA) und des Freikirchenverbandes VFG gab Impulse für eine Kehrtwendung.

Drei Referenten mit ganz unterschiedlichem Hintergrund setzten dazu Akzente. Beat Ungricht, leitender Pastor der FEG Winterthur, sprach mit dem Bild der «zerrissenen Bibel» die Tendenz an, die Heilige Schrift auf das zu reduzieren, was mich gerade persönlich anspricht, zum Beispiel die Lebenshilfe. Matthias Wenk, promovierter Theologe und Pastor der BewegungPlus in Burgdorf, gab Anreize, wie die Bibel zeitgenössischen Menschen wieder zugänglich gemacht werden kann. Ralph Kunz, Professor für Praktische Theologie an der Universität Zürich, zeigte, wie die reformatorischen Zugänge zur Bibel bis heute höchst aktuell sind und weithin dem entsprechen, was besonders in den Freikirchen hochgehalten wird oder neu entdeckt werden könnte.

Die Schrift nur verstehen, genügt nicht

Ralph Kunz erläuterte die vier grundlegenden reformatorischen Prinzipien im Umgang mit der Bibel: Sola Scriptura (die Bibel genügt, um die grundlegenden Wahrheiten der Offenbarung Gottes zu entdecken) – Scriptura sui ipsum interpres (Die Schrift legt sich selbst aus und braucht dazu keine Hilfe von aussen) – Ad fontes (zurück zu den Quellen, sie sind in der Bibel zu finden) – Was Christum treibet (die gesamte Schrift ist darauf gerichtet, in Jesus Christus erfüllt zu werden).

Es kann aber laut Kunz nicht nur darum gehen, die Schrift zu verstehen, sondern sich von ihr umwandeln zu lassen. Im Lesen der Schrift erkennen wir wie in einem Spiegel uns selbst und erkennen das Bedürfnis, von ihr geprägt zu werden. In anderen Worten: «Nimm und lies die Bibel und du wirst gelesen und gewendet werden!»

Das ist nicht immer ohne Anleitung und Unterstützung möglich. Luther war vorerst überzeugt, dass allein das Lesen der Schrift in der eigenen Sprache – daher übersetzte er gleich zu Anfang die Bibel – das Volk evangelisiert. Ebenso erwartete er die Bekehrung der Juden. In beidem wurde er enttäuscht. Ebenso musste er zur Kenntnis nehmen, dass es zu falschen Lehren und Entgleisungen kam. Dennoch blieb es bei der Überzeugung, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, die Bibel – das Wort Gottes – zu verstehen. Zwingli ermutigte die Nonnen, beim Lesen auf den Heiligen Geist zu vertrauen, später setzte er aber stärker auf die Vernunft.

Die Bibel so lesen, dass sie zur Umkehr führt

Nach einem Exkurs über Verbalinspiration und verschiedene Auslegungsmethoden sowie den Kampf der Kirche gegen radikale Auslegungsmethoden und Konfessionskriege, brachte Kunz den Schriftsteller und evangelischen Theologen Klaas Huizing ins Spiel, einen radikalen Kämpfer gegen die Verbalinspiration: «Wenn jedes Wort Diktat des Heiligen Geistes sein soll, wird die Schrift zur Diktatur des Buchstabens.» Die Bibel wird zum Objekt, statt Subjekt zu bleiben. Der Ausleger hört nicht mehr auf die Stimme, die ruft.

Huizing fragt stattdessen nach der Wirkung, die das Lesen der Schrift auf den Menschen hat: Die Bibel spricht nicht nur, sie liest uns. Sie zeugt von Gott, der das Risiko der Offenbarung eingegangen ist und erzeugt ihn. Insbesondere die Evangelien führen vor, wie Jesus gelesen werden soll, indem der Leser ermutigt wird, umzukehren und ihm nachzufolgen. 

Ein Gegenüber haben

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Matthias Wenk
Matthias Wenk zeigte einen Weg, wie die Bibel zum heutigen Menschen sprechen kann, und ging von einem Abschnitt im Roman von Hakan Nesser  «Mensch ohne Hund» aus. Darin empfiehlt Benita ihrer depressiven Freundin Edda, die Bibel zu lesen. Nicht, weil eine von ihnen gläubig ist, sondern weil Benita überzeugt ist, dass ihre Freundin ein Gegenüber braucht, mit dem sie reden kann.

Entscheidend sei, dass wir heute die Bibel nicht als Dogmenbuch oder Propagandaschrift vermitteln, sondern als eine Sammlung menschlicher Erfahrungen. Der Erfahrung, Teil der Schöpfung zu sein, aber auch den Erfahrungen von Hass, Neid, Konkurrenz und Bevorzugung in Geschichten, in denen sich die Menschen selbst erkennen.

Auf die Eigenwirksamkeit vertrauen

Matthias Wenk ermutigte, auf die «Eigenwirksamkeit» der Bibel und auf das Wirken Gottes zu vertrauen. Ihre Worte wirken oft auch ohne Erläuterungen und  Kommentare. Es gilt der Bibel zuzutrauen, dass sie selbst spricht. Wichtig ist das Bedürfnis der Lesenden. Nach seiner Erfahrung wendet sich heute aber kaum jemand der Bibel zu ohne Aussicht auf persönlichen Gewinn.

Ein weiterer Grundsatz ist «Lebensnähe vor Sachnähe». Nicht theologische Positionen sind interessant, sondern dass die Bibel die Lebensrealität der Menschen anspricht. Auch Spannungen innerhalb der biblischen Bücher und der Bibel insgesamt sollten nicht überschätzt werden. Wenk: «Es ist nicht unserer Aufgabe als Kirche, die Glaubwürdigkeit der Bibel zu beweisen.» Die Wahrheit der Bibel werde vor allem in ihrer Verlässlichkeit erkannt. Die Kirchen müssten ihre Aufgabe nicht in der Rechtfertigung der Schrift erkennen, sondern darin, sie zu bezeugen. Das Ziel für die Hörenden und Lesenden liege in der «Teilhabe am Bezeugten». Und er betonte: «Die biblischen Texte wollen prägen, aber ohne zu manipulieren oder zu infantilisieren.»

Die Texte wurden jeweils in Arbeitsgruppen vertieft und die Ergebnisse im Plenum ausgetauscht. Dabei wurde zum Beispiel über folgende Fragen ausgetauscht:
-    Welche Texte haben besonderen Einfluss auf mich? Gibt es solche, denen ich eher aus dem Weg gehe?
-    Wie bleibe ich ein Hörender?
-    Wie gehe ich mit offenen Fragen und den Spannungsfeldern rund um die Bibel um?

Umfrage

Wie fördern Sie das Bibellesen in Ihrer Kirche?

«...indem wir Bibelverse auf unseren Einsätzen auf der Strasse unter die Leute bringen.
...indem wird gemeinsam als Kleingruppen Gottes Wort auf unseren Lebensvollzug anwenden und einüben.»

Roman Bamert, Gemeindeleiter und Pastor Evangelische Gemeinde Mui AG (Bund Evangelischer Gemeinden BEG)

«Wenn ich predige, setze ich meine ganze Energie dafür ein, den biblischen Text in seinem Kontext zum Leuchten zu bringen. Ich erlebe immer wieder, dass dadurch wiederum der Text viel Energie entfaltet, was die Leute fasziniert und hoffentlich zum eigenen Bibellesen motiviert.»

Christian Haslebacher, Märstetten, Regionalleiter Chrischona Ostschweiz

«2017 werden wir in Zusammenarbeit mit dem Bibellesebund die Kampagne bibel-essentiell.ch durchführen. Wir wollen das Leben mit der Bibel und die Bibel mit dem Leben verbinden.»

Beat Ungricht, Pfarrer FEG Winterthur

Zum Thema:
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WEA-Direktor Tunnicliffe: Christen sollen an vorderster Front mitwirken
Dynamische Gemeinden: Die Freikirchen im gesellschaftlichen Umbruch

Datum: 14.12.2015
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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Hier noch ein Input zum Thema: Der adventistische Gottesdienst besteht aus zwei Teilen: 1. Bibelgespräch in Gruppen (35 - 45 Min.) 2. Predigt. Für das Bibelgespräch gibt es ein vierteljährliches "Studienheft zur Bibel", dessen Wochenabschnitt alle Gesprächsteilnehmerinnen während der Woche studiert haben sollten, um konstruktiv mitdiskutieren zu können. In diesem Vierteljahr haben die Adventisten weltweit den Propheten Jeremia studiert. Das Studienheft kann bestellt oder als PDF heruntergeladen werden (Euro 3,80) http://www.advent-verlag.de/cms/cms/front_content.php?idcat=213

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