Reportage
Charakterweekend: Männer, Natur, Schottland!
Wie rutscht beim Mann der Glaube vom Kopf ins Herz? Die Organisation «Der 4te Musketier» schickt die Herren der Schöpfung dafür in die Natur. Am ersten Maiwochenende ging es in die schottischen Highlands. Ein Erlebnisbericht von Christof Bauernfeind.
Flughafen Basel-Mulhouse, Gate Nummer 22: Ich warte mit einigen Kollegen auf das Boarding, als plötzlich mein Name ausgerufen wird. Klar und unmissverständlich. Nur ich kann gemeint sein, schliesslich bin ich in der ganzen Schweiz der einzige, der so heisst. Der wenig erfreuliche Grund: Ich habe doch tatsächlich meine Jacke beim Abschied von der Familie im Kinderwagen liegenlassen! Ausgerechnet den teuren wasser- und winddichten Anorak, den ich extra gekauft hatte! «Kann ich nochmal durch den Sicherheitsbereich gehen, um ihn zu holen?» – «Keine Chance, das Flugzeug startet gleich.» Ohne Jacke auf einen Outdoortrip in die schottischen Highlands – das geht ja gut los!Ein Charakterweekend für Männer soll es werden
Laut Veranstalter (einer Gruppe mit dem verheissungsvollen Namen «Der 4te Musketier») erwartet uns eine «herausfordernde geistliche und physische Reise». Vier Tage werden wir draussen in freier Natur verbringen, bewaffnet nur mit Zelt und Rucksack. Auf dem Anmeldungsflyer heisst es: «Männer träumen von grossen Abenteuern. Sie wollen bedeutend sein, etwas erreichen und für eine gute Sache kämpfen.» Doch in Wahrheit seien sie oft nur mit sich selbst und den eigenen Ängsten und Sorgen beschäftigt. Die Leute vom 4ten Musketier sehen in der Erfahrung draussen in der Natur die geeignete Umgebung, um Männlichkeit neu zu entdecken, Gott zu finden und den Charakter zu stärken. Denn der ist bekanntlich ein widerspenstiges Ding, das sich nun mal schlecht auf dem Fernsehsessel formen lässt. Auch die Kirchenbank ist dafür nur begrenzt geeignet. Für Persönlichkeits- und Charakterbildung muss man schon selbst etwas er- oder durchleben, am besten in Gemeinschaft mit anderen.
Marcel Hager, der Schweizer Leiter der christlichen Männerbewegung, betont: «Wir wollen Männer bewusst an Grenzen führen, auch in den Zerbruch.» Damit das auch passiert, sind diese Wochenenden keine normalen Wandertouren. Einige strikte Regeln sind einzuhalten; so darf etwa kein eigenes Essen mitgenommen werden. Konsumiert wird nur, was die Verpflegungsration hergibt. Meinen Teamkollegen Maurice stellte das schon vor Beginn der Reise vor die erste Herausforderung: Ohne seine regelmässige Dosis Koffein bekomme er unweigerlich starke Kopfschmerzen. Doch dann gewöhnte sich der Sozialpädagoge in den Wochen zuvor das Kaffeetrinken ab und siehe da: Es ging auch ohne! Natels, Fotoapparate und Uhren sind ebenfalls nicht willkommen oder sollten zumindest ganz unten verstaut werden. Wir erfuhren lediglich, dass wir uns um 17 Uhr am Flughafen von Edinburgh treffen würden – alles Weitere blieb im Dunkeln.
«Was macht man bei Unterkühlung?»
Edinburgh, 30. April, wir sind gelandet. 160 Männer aus Deutschland und 40 aus der Schweiz warten darauf, wie es weitergehen soll. Meine kleinlaute Frage, ob jemand zufällig zwei Jacken dabei hat, wird natürlich verneint. Gut eine Stunde habe ich Zeit, irgendwo ein outdoortaugliches Kleidungsstück aufzutreiben. Zum Glück hat meine geistesgegenwärtige Frau von zuhause aus einen Shop gegoogelt und schreibt mir die Adresse per SMS. Und siehe da: Es hat geklappt! Jetzt nur nicht lange über den Preis von Jacke (plus Taxi!) nachgrübeln. Ich bin bereit...
Nach zwei Stunden Busfahrt ins schottische Hochland versammeln sich die Männer auf einem Parkplatz irgendwo in der Pampa und bekommen Instruktionen. «Was macht man bei Unterkühlung?» – «Müssen wir das wirklich wissen?», frage ich mich. Dann laufen wir in Achter- bis Zehner-Teams los. Es wird dunkel, doch der Mond leuchtet hell, eine sternenklare Nacht. An einem Fluss halten wir. Lobpreis, Fackelschein, wir stellen die Zelte auf. So schön! Doch kaum im Schlafsack merke ich, wie die Kälte langsam durchsickert. Der Komfortbereich von mindestens zehn Grad wird wohl nicht ganz erreicht werden. Ich ziehe mehr und mehr Schichten an. Trotz drei Paar Socken bleiben die Füsse kalt. Wie war das mit der Unterkühlung? Naja, wenigstens kann ich schlafen.
«Bin ich ein alter Mann?»
Am frühen Morgen brechen wir schon wieder auf. Die Landschaft unterscheidet sich stark von der Schweiz. Das gesamte Gebiet ist sumpfig, es gibt fast keine Bäume. Die eigentlich nicht sehr hohen Berge sind teils schneebedeckt. Auf dem Weg halten wir immer wieder an sogenannten «Speakerpoints» an, wo wir durch kurze geistliche Inputs ermutigt werden. Unsere Gruppe gehört zu den jüngeren Teams. Wir haben ein solides Tempo drauf. Doch dann geht es bergauf. Bereits am ersten Hang merke ich, dass ich abfalle. Jeder Schritt wird mühsam, ständig muss ich innehalten und verschnaufen. Einerseits liegt das wohl an meiner allgemein mangelnden Fitness, hervorgerufen durch sportliche Enthaltsamkeit. Zusätzlich habe ich aber auch noch eine akute Rachenentzündung mit nach Schottland gebracht, die mich bei grosser Anstrengung stark ins Schwitzen bringt und mir Energie raubt. Jedenfalls komme ich schlecht vom Fleck und beginne daran zu zweifeln, dass meine Teilnahme eine gute Idee war.Mein Teamkamerad Christian (ein Chrischona-Pastor) bietet mir schliesslich an, etwas von meinem Gepäck zu tragen. «Bin ich ein alter Mann?», schiesst es mir durch den Kopf. Doch es hilft nichts, die erste Lektion wird gelernt: Im Team braucht es Demut und Ehrlichkeit. Ich gebe ihm also meinen kleineren Rucksack und schleppe mich hinterher, wobei ich weiterhin von negativen Gedanken geplagt werde. Durch das ständige Auf und Ab wird mir abwechselnd heiss und kalt. Was, wenn ich jetzt erst richtig krank werde und am nächsten Tag gar nichts mehr geht? Was, wenn sich die Entzündung auf die Lunge legt? Negative Gedanken sind seit jeher vertraute Begleiter meines Lebens. Warum muss das Glas immer halb leer sein? Während des Laufens spüre ich: Das ist der Punkt, an dem mich Gott an diesem Wochenende packen will; das sind meine Grenzen, die er aufbrechen will.
Eine wichtige Erfahrung!
Nachdem wir den ganzen Tag auf den Beinen waren, bin ich völlig fertig. Ich kann nicht mehr, negatives Denken hin oder her. Der Platz unseres Nachtlagers muss laut GPS-Gerät nur wenige hundert Meter entfernt sein. Unser Navigator zeigt in eine Richtung und meint: «Hinter diesem Berg ist es.» Ich blicke nach oben und sehe eine dunkle, steile Wand vor mir. «Da gehe ich nicht mehr hoch!», verkünde ich entschlossen. Nochmal schwitzen, nochmal kalten Wind, nochmal frieren beim Abstieg. «Vergesst es!» Doch aussenrum gehen dauert etwa dreimal so lang. Schliesslich gebe ich nicht nur nach, sondern einmal mehr ein Stück Gepäck ab. Wir finden eine machbare Route und siehe da: Es geht doch!
Wieder liegt eine kalte Nacht vor uns, doch diesmal bin ich besser vorbereitet. Ich fülle heisses Wasser in eine Feldflasche und lege sie zwischen meine Füsse. Herrlich! Der nächste Tag verläuft dann wesentlich besser als erwartet. Ich bin wohl nun etwas eingelaufen und komme gut mit. Unser Team ist ausserdem enger zusammengewachsen, wir stimmen uns aufeinander ab. Wir steigen auf den höchsten Punkt der Tour und erleben eine wunderschöne Landschaft um uns herum. Meine negativen Gedanken verfliegen. Eine wichtige Erfahrung! Am Abend stellen wir zum letzten Mal unser Zelt auf – direkt an einem malerischen See (Loch) neben einer alten Burgruine. Ein toller Abschluss! Die Organisatoren hatten sich auf der Tour übrigens noch einige Überraschungen und Erlebnisse einfallen lassen, auf die ich hier nicht näher eingehen will, weil sie eben genau das bleiben sollen: Überraschungen. Nur so viel: Sie reichten von «etwas speziell», über «herausfordernd» bis zu «einfach genial!».
Am Sonntag ist dann leider schon wieder Abreise. Den Abschlussgottesdienst feiern wir in einer idyllischen alten Kirche. Eine ganze Reihe Männer tritt nach vorne und erzählt ihre Erfahrungen. Einer wurde auf dem Weg seine Knieschmerzen los, ein anderer ist trotz einer leichten Unterkühlung ganz begeistert, es geschafft zu haben, ein weiterer berichtet von überwundenen Ängsten, unter anderem Flugangst. Er kam trotzdem mit und siehe da: Es ging doch! Es scheint, das Charakterwochenende ist seinem Namen gerecht geworden.
Der 4te Musketier
Die christliche Männerbewegung will Männern helfen, ihr volles Potenzial zu entdecken und sich für Gott, Familie, Gemeinde und Gerechtigkeit einzusetzen. Die niederländische Bewegung wurde durch Marcel Hager in die Schweiz gebracht und wird von ihm geleitet. Hager ist Erlebniscoach, Referent und Autor des Buches «Sehnsucht, Mut und Stärke».
Nächstes Charakterwochenende: 22.10 bis 25.10.2015 im Tessin.
Zur Webseite:
Der4teMusketier
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Autor: Christof Bauernfeind
Quelle: idea Spektrum