Shannon von Scheele
«Warum ich mich gegen Menschenhandel engagiere»
Sklaven erkennt man nicht mehr am Halsring. Aber es gibt sie nach wie vor. Das weiss auch Shannon von Scheele aus Berlin. Bereits seit ihrem Studium engagiert sich die Christin deshalb gegen jede Form von Menschenhandel. Sie begann, im «Netzwerk gegen Menschenhandel e.V.» mitzuarbeiten, das zum Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten) gehört. Inzwischen ist sie dessen Projektkoordinatorin. Ein Interview.Livenet: Frau von Scheele, Sie engagieren sich im «Netzwerk gegen Menschenhandel». Was tut dieser Verein konkret?
Wir betreiben kein Schutzhaus oder ähnliche Einrichtungen, aber als Hilfsorganisation geben wir Informationen zum Thema moderner Menschenhandel weiter, an einzelne oder Gruppen, in Schulen oder in Gottesdiensten. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf Prävention. Dazu bieten wir Workshops an und betreiben eine eigene Webseite: «Liebe ohne Zwang». Hier können sich junge Leute zum Beispiel online darüber informieren, mit welchen Maschen Zuhälter auch in unserer Nachbarschaft Menschen in ihre Abhängigkeit bringen. Wer diese Tricks kennt, kann sich schützen.
Heute anders als vor zehn oder fünfzehn Jahren. Damals bin ich oft Unverständnis begegnet. Viele dachten, so etwas gäbe es nicht, hielten Berichte für übertrieben oder meinten: Eigentlich sind die Frauen doch selber schuld… Inzwischen stosse ich auf grosse Offenheit und Akzeptanz. Die meisten Leute haben von der Problematik des Menschenhandels gehört und machen sich Gedanken darüber. Heute finden es die meisten, mit denen ich darüber ins Gespräch komme, gut, dass ich mich hier engagiere.
Wie sind Sie persönlich auf die Menschenhandel-Problematik aufmerksam geworden?
Ich bin Amerikanerin. Während meines Studiums arbeitete ich ehrenamtlich als Streetworkerin in der Grossstadt unter Prostituierten. Vordergründig boten wir HIV-Tests und Kondome an – darüber hinaus aber auch den Ausstieg aus dem Milieu. Menschenhandel und Zwangsprostitution waren vorher für mich keine Themen gewesen, doch diese Zeit auf der Strasse hat meine Augen dafür geöffnet. Ich habe Unvorstellbares gesehen, das in meiner direkten Nachbarschaft passiert. Und ich habe die betroffenen Menschen kennengelernt.
Was war Ihre erste Reaktion?
Ich war überrascht, dass die Mädchen, denen ich begegnete, so normal waren. Ich merkte, dass es praktisch jeden treffen kann – und trifft! Nachdenklich bin ich geworden, vor allem, was globale Zusammenhänge angeht oder Geschlechterrollen. Damals lebte ich noch nicht lange als Christin. Umso erstaunter war ich, wie negativ viele andere Christen darüber dachten. Der ganze Bereich Prostitution war davon überschattet, dass es um Sünderinnen ging – und von denen hatte man sich fernzuhalten. Kaum jemand stellte Fragen nach Ursachen oder Hilfen.
Warum haben Sie sich entschieden, mehr zu machen?
Die persönlichen Begegnungen haben mich verändert. Ich habe mich weiter informiert. Schnell habe ich gemerkt, dass ich erst an der Oberfläche war. Es gab noch viel mehr als Zwangsprostitution: Zwangsarbeit zum Beispiel, angetrieben von unserem (meinem!) Konsumverhalten. Als Aufbaustudiengang wählte ich «Public Affairs», um das Thema zu vertiefen. Ich wollte mich mit den Wurzeln menschlichen Handelns genauso auseinandersetzen wie mit der politischen Ebene des Ganzen. Nach dem Studium arbeitete ich in Berlin in einem Strassenprojekt mit und lernte 2006 die Arbeit vom «Netzwerk gegen Menschenhandel» kennen. Inzwischen bin ich dort fest als Projektkoordinatorin.
Was freut Sie, wenn Sie mit Menschen über Ihre Arbeit ins Gespräch kommen?
Es freut mich, wenn Leute wachgerüttelt werden. Wenn sie ihre Augen öffnen für die Realität und dann noch fragen: Was kann ich tun? Dabei geht es mir weniger um grosse Entwicklungen. Nicht jeder kann oder soll ein Schutzhaus für ausgestiegene Prostituierte gründen. Aber jeder kann sich der Herausforderung stellen, eigene kleine Schritte tatsächlich zu gehen, und nicht nur darüber nachzudenken.
Und was ärgert Sie?
Sensationslust. Wir werden immer wieder nach Kontakten zu «echten Opfern» angefragt, mit möglichst drastischen Geschichten. Dem verweigern wir uns, denn zum einen wollen wir diese Opfer schützen und zum anderen wollen wir sie auch nicht lebenslang auf diese Opferrolle festlegen. Es ärgert mich, wenn Menschen sich zurücklehnen und mich quasi auffordern: Erzähl mir etwas Schlimmes. Ich will geschockt werden.
Sklaverei und Menschenhandel stehen in Europa seit 200 Jahren auf der «schwarzen Liste», trotzdem boomt das Geschäft. Ist es nicht umsonst, was Sie tun?
Ja, manchmal ist es frustrierend. Ich kenne die Momente, wo ich denke, dass es nichts bringt. Aber andererseits arbeite ich in der Prävention. Mein Ziel ist es, die Jugend zu erreichen, zu informieren, jungen Menschen zu einem gesunden Selbstbild zu helfen, das sie vor Abhängigkeiten schützt. Und ich merke ausserdem, wie gut es tut, dass ich nicht die Verantwortung dafür trage, alle Menschen zu retten. Ich tue meine Arbeit, so gut es geht, aber Gott trägt die Verantwortung dafür, was am Ende herauskommt.
Haben Sie eine «schöne» Geschichte? Ein Erlebnis, das Sie motiviert?
Ich habe nicht das eine Erlebnis, das mich motiviert und begleitet. Aber ich freue mich von Herzen, wenn eine Prostituierte den Ausstieg schafft und einen neuen Anfang macht; wenn ein ehemaliger Menschenhändler Christ wird und jetzt auf unserer Seite mitarbeitet; wenn Firmen anfangen, fairen Handel als Wert zu sehen. Und ich freue mich über junge Menschen, die sagen: «Menschenhandel – nicht mit mir!», weil sie Gottes Perspektive gewinnen.
Auf der Webseite «Liebe ohne Zwang» bietet das Netzwerk gegen Menschenhandel Materialien, Schulungsangebote, Videos und die Möglichkeit zum persönlichen Kontakt.
Zum Thema:
Moderner Menschenhandel: Die Sklaverei ist abgeschafft – oder?
StopArmut-Konferenz 2013: Stoppt den Menschenhandel
Liebe ist nicht käuflich: Sexualität und Menschenwürde denken und leben
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet