Wiedertäufer: Versöhnung – nach 500 Jahren

Vom 1.-4. Mai 2003, findet in der Eulachhalle in Winterthur die Konferenz "Heile unser Land" statt. Die Stiftung Schleife, der Veranstalter, sieht die Zeit für "Schritte der Versöhnung mit den Wiedertäufern" gekommen. "Wiedertäufer" ist das Schimpfwort, das der Bewegung der Täufer seit ihren Anfängen, die mit dem Ursprung der Zürcher Reformation parallel liefen, angehängt wurde. Der Wattenwiler Pfarrer Paul Veraguth hat in einer 100-seitigen Schrift unter dem Titel der Konferenz diese Geschichte zusammengefasst und eine ‚Anfrage' an die reformierten Grosskirchen formuliert.

Die Bedeutung der Konferenz ergibt sich aus der Geschichte von Zwinglis Reformation in Zürich und anderen eidgenössischen Orten, die eine repressive Schattenseite hat. Aus dem Aufarbeiten dieser Vergangenheit können - so hoffen die Winterthurer Veranstalter - Impulse für ein besseres Verhältnis von Reformierten und Freikirchen in der Schweiz erwachsen. Denn zugleich mit der Zürcher reformierten Kirche entstand 1525 auch die erste Freikirche der Schweiz, die bald unterdrückt wurde.

Neben Schweizer Mennoniten werden auch Nachfahren der verfolgten Täufer, die heute in den USA leben (charismatische Amische und Mennoniten) nach Winterthur kommen. Ihr Wunsch, sich mit ihren Wurzeln zu versöhnen, gab laut den Veranstaltern den Anstoss zur Konferenz. In ihrem Rahmen finden am 3. Mai auch zwei Feiern im Zürcher Grossmünster und im Oberländer Dorf Bäretswil (wo sich Täufer in einer Höhle versteckten) statt.

Der Reformator und seine radikalen Freunde

Wie der Schleife-Leiter Pfr. Geri Keller im Konferenzprospekt schreibt, ist die Täuferbewegung "gleichsam ein uneheliches Kind der Reformation". Felix Manz und Konrad Grebel waren zwei Freunde des Zürcher Reformators Huldrych Zwingli, die nach 1520 mit ihm die Bibel in den Ursprachen studierten. Nach dem Durchbruch zur Reformation 1523 setzten sie sich von ihm ab, weil sie aufgrund des Evangeliums, wie sie es verstanden, eine andere Umsetzung der Beschlüsse des Rats von Zürich als notwendig erachteten.

Für das Gedeihen des jungen Pflänzchens setzte Zwingli auf das Zusammenwirken von Staat und Kirche. Er suchte, wie Paul Veraguth gegenüber Livenet sagt, "seine neue Kirche unter den Schutz der Obrigkeit zu stellen"; dies sollte im Lauf weniger Jahre zu einem Zürcher Kirchenregiment führen. Zwinglis radikale Freunde legten dagegen alles Gewicht auf eine tiefgreifende Erneuerung des christlichen Lebens, der Einzelnen und ihrer Gemeinschaft - und dies ohne staatliche Aufsicht.

Reformation mit der Obrigkeit - gegen die Bewegung

In der Zweiten Disputation im Oktober 1523 ging es um die Erneuerung des Gottesdienstes. Zwingli wollte es dem Rat überlassen, wann die Messe erneuert würde; Konrad Grebel, Sohn eines Ratsmitglieds, mahnte ihn: "Meister Ulrich, es steht nicht in eurer Gewalt, das Urteil darüber in die Hand zu spielen. Sondern das Urteil in dieser Sache ist schon gefallen: Der Geist Gottes urteilt." Doch überwog in der Zürcher Versammlung die Meinung, der Staat müsse die religiöse Erneuerung mit fester Hand steuern. An Ostern 1525 wurde zum erstenmal das Abendmahl nach der neuen evangelischen Ordnung gefeiert: als nüchternes Erinnerungsmahl an Tod und Auferstehung Jesu.

Zwingli unterschied zwischen Staat und Kirche, aber er band sie zusammen in der Pflicht, Gottes Reich auf der Erde zu fördern. Er wisse wohl, schrieb er 1525 in seinem ‚Kommentar über die wahre und falsche Religion', "dass letztlich die Kirche Christi sich aus solchen zusammensetzt, die auf Christus vertrauen, während der Staat sich damit zufrieden geben kann, dass du dich, auch ohne christusgläubig zu sein, als treuen Bürger zeigst". Aber: "Ein Staat wird nur dann kraftvoll und heilig dastehen, wenn guten Gesetzen eine gute Gesinnung entgegenkommt. Folglich ist dasjenige Staatswesen am glücklichsten, in dem zugleich die wahre Religion lebt."

Die erste Freikirche entsteht

Grebel und Manz hatten sich von Zwingli abgesetzt, um eine vom Staat unabhängige christliche Gemeinde zu bilden, die auf urchristlichen Grundlagen aufbaute. Zu dieser Gemeinde (so die Schweizer Mennoniten auf ihrer Webseite) "sollte gehören, wer sich Jesus Christus zugewandt hatte und sich ihr freiwillig anschloss, dies mit der Taufe bezeugte und bereit war, Christus mit seinem ganzen Leben nachzufolgen. Massgebend waren dabei die neutestamentlichen Grundsätze, besonders die Gewaltlosigkeit und gelebte Gemeinschaft."

Am 21. Januar 1525 liess sich in einer Hausversammlung Georg Blaurock, ein Ex-Mönch aus dem Bündnerland, von Konrad Grebel taufen und taufte dann selbst 15 Personen. Die Kunde davon verbreitete sich rasch. Weitere Erwachsene begehrten die Taufe. In Zollikon vor den Toren der Stadt entstand die erste Täufergemeinde. Felix Manz erläuterte die Taufpraxis in Schriften an den Rat.

Standhaft im Kerker

In den folgenden Auseinandersetzungen flogen die Fetzen, wie Paul Veraguth mit Zitaten anschaulich macht. Zwingli verteufelte seine ehemaligen Gefährten. Die Täufer kritisierten, dass der Reformator zur Verteidigung der Kindertaufe auf die alttestamentliche Beschneidung zurückgriff (Jahre zuvor hatte er sich gegen das Taufen von Babies ausgesprochen).

Nach einer Disputation forderte der Rat die Täufer ultimativ auf, ihre Kinder zur Taufe zu bringen. Sie taten es nicht. Es kam zu Festnahmen, Verhören und Bussen; erste Täufer wurden des Landes verwiesen. Bei Wasser und Brot schmachteten Männer und Frauen im Wellenberg, dem Gefängnisturm in der Limmat.

Viele Mitglieder der Bewegung verweigerten den Militärdienst, den Eid und die Übernahme eines öffentlichen Amtes. Die Obrigkeit und Zwingli suchten das Neue zu unterdrücken. Die damalige Kirche, heisst es im Winterthurer Konferenzprospekt, "konnte die Fragen der Täufer nur mit Gewalt zum Schweigen bringen".

Im November 1525 erklärte Zwingli in einem öffentlichen Streitgespräch, wer eine Wiedertaufe vornehme, kreuzige Christus ein zweites Mal. So grenzte er die Täufer als Sekte endgültig aus. Von Verfolgung und Haft geschwächt, starb Konrad Grebel 1526 an der Pest. Felix Manz wurde am 5. Januar 1527 - als erster Märtyrer der Täufer - in Zürich in der Limmat ertränkt.

Bis aufs Blut verfolgt

Damit war, wie Veraguth schreibt, "die offene Stadt Zürich für wehrlose Andersdenkende zu einer Falle geworden". Viele flohen und fanden keine Bleibe mehr. Über Generationen, bis weit ins 17. Jahrhundert, hatten die Zürcher Pfarrer die Aufgabe, täuferische Umtriebe zu unterbinden. Auch in Bern wurden Täufer verfolgt. Die Obrigkeit verbannte sie auf die kargen Jurahöhen, in die Freiberge. Einige, die ihren Überzeugungen nicht absagen wollten oder konnten, litten Schreckliches auf venezianischen Galeeren. In Süddeutschland und Österreich wurden viele tausend Täufer hingerichtet.

Doch die Bewegung liess sich nicht vernichten. Wie die Mennoniten auf ihrer Webseite schreiben, breitete sie sich "unter Unterdrückung und Verfolgung rasch über ganz Europa aus und entwickelte sich in unterschiedlichen Ausprägungen: hier eher biblizistisch, da gütergemeinschaftlich (Mähren, Hutterer), andernorts spiritualistisch oder sogar gewalttätig (Münster, Norddeutschland). In den Niederlanden kam der pazifistische Flügel der Täuferbewegung zu seinem Namen ‚Mennoniten', nach Menno Simons, einem ihrer Führer."

Erst die Gewährung der Glaubensfreiheit infolge der Französischen Revolution brachte den Täufergemeinschaften Ruhe. Die Auswanderung aus den Verfolgungsgebieten hat dazu geführt, dass heute in 50 Ländern auf allen fünf Kontinenten Mennonitengemeinden zu finden sind.

Was soll eine Konferenz im Jahr 2003?

Das Erbe der Täuferbewegung (Freiheit des Gewissens, Gemeinde als Gemeinschaft der Heiligen, ein Glaube, der sich in tätiger Liebe erweist) ist auf Seiten der Grosskirchen neu (oder immer wieder) ernst zu nehmen; davon ist Geri Keller von der Stiftung Schleife überzeugt. Er schreibt: "Die Zeit scheint reif zu werden, wo die Kirche der Reformation ihre Vaterschaft gegenüber den Täufern anerkennt; wo aber auch die Täufer sich nicht nur im ‚Märtyrerspiegel' wiederfinden, sondern ihr Spiegelbild auch im reformatorischen Brunnen entdecken, aus dem ihre Vorfahren getrunken hatten."

Alois Burger, Geschäftsführer der charismatisch ausgerichteten Winterthurer Stiftung, meint, dass auch die Täufer einen Weg gehen müssten. Vor allem aber gehe es um die Frage: "Was will Gott uns durch die Radikalität der Täufer heute sagen?"

Versöhnung - und mehr

Paul Veraguth weiss, dass Leiter der Zürcher reformierte Kirche vor einigen Jahren an Versöhnungsfeiern teilnahmen - allerdings fand da noch kein Brückenschlag zu den Mennoniten selbst statt (in Zürich und der ganzen Ostschweiz gibt es keine Mennonitengemeinde). "Mit der Konferenz wollen wir nun an die Basis gelangen", sagt der Wattenwiler Pfarrer, der selbst täuferische Vorfahren hat.

Veraguth erwartet nicht offizielle Erklärungen von Kirchenleitungen, sondern hofft, dass die Konferenz "einer Versöhnungsdynamik zum Durchbruch verhilft, die nachhaltig wirkt, unter Pfarrern, bei Einzelnen, in Gemeinden und Gebetskreise hinein". In seiner Schrift bezeichnet er Versöhnung nicht als Ziellinie, sondern als Startlinie - für ein unbeschwertes, gemeinsames Dienen von Christen verschiedener Kirchen. "Die Chance, welche die Mennoniten für uns darstellen, ist das lebendige Beispiel der Nachfolge."

2003... 2004

Die Zürcher Reformierte Kirche stellt am kommenden Samstag das Grossmünster für eine Feier zur Verfügung. Sie schliesst einen Rundgang zu den Stationen der Täuferverfolgung in Zürich ab (Besammlung für den Rundgang um 13.30 Uhr auf der Grossmünsterplattform). Der Zürcher Kirchenratspräsident Pfarrer Ruedi Reich wird an der Feier teilnehmen und mitwirken. Allerdings tönt es in Zürich fast so, als ob die Winterthurer Konferenz in einem gewissen Sinn ein Jahr zu früh käme: Die Zürcher Reformierten bereiten sich aufs Bullinger-Jahr 2004 vor.

Heinrich Bullinger war der Nachfolger Zwinglis, der nach dessen Tod auf dem Schlachtfeld 1531 die Reformation (die Täuferbekämpfung inbegriffen) fortführte und sicherte. Nächstes Jahr soll Bullingers 500. Geburtstag mit einer Werkausgabe und zahlreichen Veranstaltungen gefeiert werden. In diesem Zusammenhang wird ein Thementag zu Reformation und Täuferbewegung angedacht, mit Vertretern verschiedener Kirchen aus der täuferischen Tradition.

Links:
Stiftung Schleife: www.schleife.ch (Konferenzbesuch als Tagesgast möglich)
Schweizer Mennoniten: www.menno.ch

Datum: 25.04.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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