Unihockey für Strassenkinder
Stock, Ball und Perspektiven
Der ehemalige Spitzen-Unihockeyspieler und Schulleiter Benj Lüthi blickt aus dem Bürofenster. Dort, wo sonst immer eine Schweizerfahne weht, flattert diesmal eine brasilianische Flagge. Für ihn ist das ein Zeichen Gottes. Er gibt den sicheren Job an der Schule auf und wird Geschäftsführer beim Verein Unihockey für Strassenkinder. Heute ist er begeistert, wie Gott an vielen Orten der Welt durch den Unihockeysport wirkt.
Benj Lüthi, was motiviert Sie bei der Arbeit als Geschäftsführer von Unihockey für Strassenkinder?Benj Lüthi: Ob in der Ukraine oder in Brasilien, ob in kriegerischen Konfliktzonen oder in den Favelas: Viele Kinder leben in zerrütteten Familien und hoffnungslosen Zuständen. Sie lassen sich treiben von Gleichgültigkeit und haben keine Vision für ihr Leben. Irgendwann begann ich diese Tatsache zu hassen. Mir war klar: Entweder schaust du weg oder beginnst die Situation dieser Kinder punktuell zu verändern. Die strahlenden Kinderaugen und die vielen Leiter, die dem Leben als Strassenkinder entflohen sind und heute Verantwortung tragen, bestätigen mir, dass hinschauen die bessere Variante ist.
Was für einen Nutzen haben Strassenkinder von Unihockey – brauchen sie nicht in erster Linie Essen und ein Dach über dem Kopf?
Diese Frage wird uns oft gestellt. Wir machen als Verein UfS keine Soloeinsätze. Wir arbeiten in allen Ländern mit Partnern zusammen, mit bestehenden Organisationen (Kirchen, Missionen, Hilfswerke), die zum Beispiel wie in Nepal Katastrophenhilfe leisten. Sie rufen uns, weil sie vor Ort beobachten, wie Kinder und Jugendliche mangels Perspektive im Begriff sind, auf die Strasse abzudriften. Durch Unihockey bekommen Kinder nicht nur eine Freizeitbeschäftigung, sondern auch eine Perspektive. Darum ist Unihockey Prävention im eigentlichen Sinne.
UfS arbeitet mit Freiwilligen – wie muss man sich die Arbeit in Entwicklungs- und Schwellenländern vorstellen?
Wir leisten als Organisation Anschubhilfe. Am Anfang eines von uns lancierten Projekts steht im Normalfall ein dreiwöchiger Einsatz mit Freiwilligen. Vor Ort schulen wir Personen, die schon als Lehrer, Jugendarbeiter oder Pastoren tätig sind und sich auch geistlich als Leiter bewährt haben. Wir bringen ihnen das Unihockey-Spiel bei, erklären die Regeln und leiten sie an, wie sie in Andachten biblische Inhalte mit Elementen aus dem Unihockey verknüpfen können. Am Schluss müssen die geschulten Leiter eine eigentliche Projekteingabe machen.
Was muss man sich darunter vorstellen?
Ein Projekt soll sich mehrheitlich an Kinder richten, die noch nicht zu einer Kirche gehören. Das Training soll an öffentlichen Plätzen oder Schulen stattfinden, weil das evangelistische Element für uns untrennbar zum sportlichen gehört. Wir erteilen also nur eine Bewilligung, wenn diese Punkte berücksichtigt sind. Wer die Vorgaben erfüllt, erhält ein Starterset mit 18 Stöcken, Bällen und weiterem Spielmaterial. Der Wert eines Sets beträgt knapp 600 Franken, der Empfänger erhält das Set nicht gratis. Auch wenn er oft nur einen symbolischen Beitrag leisten kann. Im Übrigen sind Mannschaftstrikots und Goalieausrüstungen meistens Spenden von Clubs – unter anderem auch der Schweizer Nationalmannschaft –, die ihr Material jährlich auswechseln.
Welche Voraussetzung müssen die Freiwilligen aus der Schweiz mitbringen, die an einem Einsatz mit UfS teilnehmen wollen?
Wer mit UfS in einen Einsatz reisen will, darf kein «Warmduscher» sein (lacht). Viele unserer Einsatzteilnehmer waren noch nie im Ausland und schon gar nicht an Brennpunkten der Weltgeschichte. Darum führen wir mit allen Interessierten vor dem Einsatz ein ausführliches Gespräch. Zudem müssen zwei von drei Bedingungen erfüllt sein:
- ein Herz für Kinder/Jugendliche
- eine Leidenschaft für Unihockey
- Mit Jesus unterwegs sein.
Diese Vorgabe hat sich bewährt. So reisen ältere Personen mit, die zwar wenig von Unihockey verstehen, aber einen tollen Zugang zu jungen Leitern haben. Oder junge Unihockey-Begeisterte, die Jesus noch nicht kennen und dann authentisches Christsein erleben und sich im Ausland oft auch mit existenziellen Lebensfragen konfrontiert sehen.
Welche Highlights gab es in letzter Zeit?
Deren gibt es viele: In Rumänien zum Beispiel gibt es Orte, da können unsere Mannschaften von Freitagnachmittag bis Samstagabend in Turnhallen von Schulen trainieren. In der Südostukraine haben sich in letzter Zeit 50 Kinder im Umfeld eines Clubs für ein Leben mit Jesus entschieden. Jährlich können wir rund 1000 ausgemusterte Stöcke weitergeben, die Mannschaften unter anderem in der Schweiz und in Schweden für uns sammeln. 2016 spürten wir, dass es in manchen Ländern dran ist, noch mehr Verantwortung an einheimische Leiter abzugeben. Wir suchten nach vertrauenswürdigen Schlüsselpersonen – heute sind es deren zehn. Das ist eine tolle Entwicklung!
Welche Zukunftsträume habt Ihr als Team von Unihockey für Strassenkinder?
Schon lange erarbeiten wir sogenannte «Faithtools», das sind Andachten, die Elemente des Unihockeys mit biblischen Inhalten verbinden. Diese liegen zurzeit auf Papier vor. Wir träumen davon, unseren ausländischen Leitern diese als professionelle Videoclips zur Verfügung stellen zu können. Das Projekt braucht neben viel Glauben und Zeit, fachlich versierte Leute und rund 15'000 Franken. Zudem sind wir gespannt, aus welchem Land die nächste Anfrage kommt. Bisher haben wir nämlich noch nie selber die Initiative ergriffen, um in ein neues Land zu gehen, immer waren es Menschen von irgendwo, die uns gerufen haben.
Zur Person:
Benj Lüthi ist 38 Jahre alt, verheiratet mit Corinne, die beiden haben drei Kinder im Primarschulalter. Bevor Benj bei Unihockey für Strassenkinder als Geschäftsführer einstieg, war er Lehrer und später Schulleiter. Er liess sich nebenher zum Master of Public Management ausbilden und liebt es, Teams voranzubringen. Zwölf Jahre spielte er bei den Unihockey Tigers Langnau (vormals Zäziwil) und bei Floorball Köniz auf Nati-A-Ebene, fünf Jahre war er Mitglied in der Nationalmannschaft und nahm an zwei Weltmeisterschaften teil. Heute trainiert er die E-Junioren in Thun. Lüthi wohnt in Thierachern und zählt sich zur Freikirche GPMC Thun.
Verein Unihockey für Strassenkinder (UfS)
Seit 2005 initiiert und begleitet der Verein Unihockey für Strassenkinder Präventionsprojekte in mehr als 20 Entwicklungs- und Schwellenländern auf vier Kontinenten. Durch die Ausbildung von Jugendarbeitern, Pastoren, Verantwortlichen von Schulen, Drogenrehas oder Jugendgefängnissen soll zum einen die Begeisterung für Unihockey weitergegeben werden. Zum andern lernen die verantwortlichen Leiter Möglichkeiten kennen, wie der Sport als Evangelisations- und Jüngerschaftstool bei der nachhaltigen Begleitung von Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden kann.
Jährlich reisen fünf bis acht Teams aus der Schweiz mit jeweils sechs bis zwölf Freiwilligen in die Einsatzländer, um dort Trainerausbildungen durchzuführen, bestehende Projekte weiterzuentwickeln und neue Teams mit dem erforderlichen Material auszurüsten. In der Ukraine sind durch die Initiative des Vereins Unihockey für Strassenkinder Clubs mit zum Teil bis zu 250 Mitgliedern (davon 200 Kinder) und ein nationaler Unihockeyverband entstanden. Im Ausland arbeitet der Verein unter dem allgemein verständlichen Namen Floorball4all.
Der Verein Unihockey für Strassenkinder wurde vom christlichen Unihockeypionier Hansjörg Kaufmann (ehemaliger BESJ-Sekretär) aufgebaut. 2012 übergab er die Verantwortung an den heutigen Geschäftsführer Benj Lüthi. Unihockey für Strassenkinder hat seinen Sitz in Thierachern BE und ist als gemeinnützig anerkannt.
Dieser Bericht stammt aus dem Wochenmagazin ideaSpektrum.
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Floorball4all
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Autor: Helena Gysin
Quelle: ideaSpektrum Schweiz