Psychische Gesundheit Jugendlicher
Religion hilft – so what?
Eine neue Studie des Springtide Research Institute bestätigt die positive Beziehung zwischen Religion, Spiritualität und psychischer Gesundheit gerade bei Jugendlichen. Was bedeutet das für Kirchen und religiöse Institutionen?
Die Studie «The State of Religion & Young People 2022: Mental Health-What Faith Leaders Need to Know» (dt. «Religion und junge Menschen 2022 – was religiöse Leiter über mentale Gesundheit wissen müssen»), die letzte Woche veröffentlicht wurde, spiegelt eine Umfrage unter fast 10'000 jungen Menschen im Alter von 13 bis 25 Jahren zu ihren Überzeugungen, Praktiken, Verhaltensweisen, Beziehungen und ihrer psychischen Gesundheit wider. Gerade für die Schweiz wird hier ein hochaktuelles Thema angesprochen, nehmen doch psychische Probleme, Krankheiten und Depressionen bei Jugendlichen in alarmierendem Masse zu.
Die Studie ergab, dass während der Pandemiejahre für die meisten (53 Prozent) der Befragten die psychische Gesundheit ihre grösste Herausforderung war. Nur 34 Prozent von ihnen fühlten sich dabei wohl, mit Erwachsenen über ihre Probleme zu sprechen.
Etwa 57 Prozent erklärten, dass neue spirituelle Praktiken ihnen halfen, die Pandemie zu überstehen, und mehr als die Hälfte (51 Prozent) sagte, dass sie begonnen hätten, zu beten. Andere wandten sich Aktivitäten wie dem Lesen, Yoga, der Kunst oder dem Aufenthalt in der Natur zu.
Religion braucht Gemeinschaft
Die Studie ergab, dass Religion und Spiritualität «ein starkes Gegenmittel für vieles sein können, was zu psychischen Problemen bei jungen Menschen beiträgt» und dass «religiöse Menschen geistig und emotional besser dran sind». Befragte, die sich als «sehr religiös» bezeichnen, gaben mit grösserer Wahrscheinlichkeit an, dass es ihnen «sehr gut geht» (40 Prozent) als Befragte, die sich als nicht religiös bezeichnen (17 Prozent). Befragte, die «nicht religiös» sind, gaben mehr als doppelt so häufig an, dass es ihnen «nicht gut geht» (44 Prozent) als Befragte, die «sehr religiös» sind.
Allerdings gab nur 35 Prozent der Befragten an, dass sie einer religiösen Gemeinschaft angehören. Solchen ging es in Bezug auf ihr geistiges und emotionales Wohlbefinden eher «sehr gut» (29 Prozent) als solchen, die keiner religiösen Gemeinschaft angehören (20 Prozent).
Lösungen sind komplizierter
Die Studie zeigt also, dass Religion einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit haben kann; der Leiter von Springtide Research, Josh Packard, merkt in dem Bericht allerdings an, dass «Lösungen für psychische Probleme komplizierter sind als nur 'mehr Religion für junge Menschen'», da auch etwa 20 Prozent der «sehr religiösen» Befragten angeben, dass es ihnen «nicht gut geht».
Packard: «Die Realität ist, dass ein junger Mensch, dem es geistig und emotional nicht gut geht, oft allein nicht in der Lage ist, sich auf die Tiefe des Glaubens einzulassen oder seine Schönheit, Kraft und Liebe zu erkennen», schrieb Packard. Das Angebot einer offenen Gemeinschaft sei darum wichtig. Jeff Neel, der Geschäftsführer von «Northern Colorado Youth for Christ», drückt es so aus: «Junge Menschen müssen heilen und dazugehören, bevor sie hören und glauben können.» «Belong» kommt vor «Believe» – im Unterschied zu früher, wo man zuerst glauben musste, um dann dazuzugehören.
Darf für Kirchen kein Tabu sein
Auf die Frage, wie die Kirchen die psychische Gesundheit junger Menschen besser fördern können, antwortete Packard gegenüber «The Christian Post», dass sich die Kirchen zunächst stärker in die allgemeine Diskussion über psychische Gesundheit einbringen müssten – mit guten Begründungen. «Eines der Dinge, die so klar herauskommen, ist, dass es religiösen jungen Menschen besser geht», fuhr er fort. «Sie sind einfach in allen Lebensbereichen besser dran als ihre nicht religiösen oder sogar weniger religiösen Altersgenossen, einschliesslich ihrer psychischen Gesundheit.» Die Beweise für eine positive Beziehung zwischen psychischer Gesundheit, Religion und Spiritualität seien «ziemlich überwältigend. Es ist nicht nur so, dass es religiösen Jugendlichen ein bisschen besser geht. Es geht ihnen deutlich besser», sagte er.
Aber das Thema sei in Kirchen und Gemeinschaften noch zu häufig ein Tabu. «Viele religiöse Führungspersönlichkeiten und Organisationen halten sich aus diesem Gespräch heraus, weil es den älteren Generationen unangenehm ist. Für Menschen in meinem Alter ist das Thema psychische Gesundheit zum Beispiel ein grösseres Stigma als für 15-Jährige», sagt Packard. «Oft denken die Kirchen nicht, dass dies ihre Aufgabe ist… Je mehr wir das aber als Teil unserer Arbeit sehen und je mehr wir erkennen, dass der Glaube eine wichtige Rolle spielt, desto wichtiger wird das für junge Menschen.»
Kirchen und religiöse Gemeinschaften müssten darum «anerkennen, dass es eine echte Rolle zu spielen gibt und dass dies bestenfalls nicht parallel zu ihrer eigentlichen Aufgabe ist. Es ist ein Teil der eigentlichen Aufgabe, die wir in der Welt haben, vor allem, wenn es darum geht, junge Menschen anzusprechen.»
Ausserhalb der Kirchenmauern
Früher habe man eine Kirche, Moschee oder Synagoge gegründet, so Packard, und damit versucht, sich mit dem Wohnort zu verbinden. Das sei immer noch wichtig, aber: «Wir müssen heute vielleicht die Dinge ein bisschen ausserhalb unserer Räume machen. Eines der Dinge, die sich in unserer Gesellschaft in den letzten 50 Jahren verändert haben, ist das Vertrauen der Menschen in Institutionen aller Art, nicht nur in religiöse Einrichtungen. Eine Institution, der man beitreten sollte, wird nicht mehr die gleiche Wirkung haben wird wie früher, weil nicht nur junge Menschen, sondern auch ihre Eltern diesen Institutionen nicht mehr so viel zutrauen…. Um mit dieser Generation die gleiche Wirkung zu erzielen, müssen wir also etwas ausserhalb der Mauern tun», argumentiert er.
Es gebe zum Beispiel «viele christliche Campus-Gemeinden, und ich weiss nicht, ob sie ein Büro haben oder nur ausserhalb ihres Hauses arbeiten. Vielleicht verbringen sie ihre gesamte Zeit in Cafés oder in der Öffentlichkeit mit jungen Menschen, und wenn wir sehen, wie sich solche Gruppen engagieren, sehen wir auch, welche Wege es gibt, um die positive Wirkung der Religion zu erhalten.»
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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / Christian Post / Springtide Research