Filmkritik: Genesis 2.0
Menschen, Mammuts, Machbarkeitswahn
Ein Motorboot rauscht über die Arktis, im Gepäck sind Teile von Mammuts. Nicht nur die Bilder sind teils von apokalyptischer Stimmung, auch das Thema des Klonens hält Spannendes bis Grusliges bereit. Doch es ist kein Spielfilm; alles ist echt.
Livenet besuchte die Sondervorstellung mit dem renommierten und mehrfach preisgekrönten Regisseur Christian Frei, der mit «War Photographer», «Space Tourists» oder «Raving Iran» bekannt wurde. «Genesis 2.0» hat bereits wieder eine ganze Menge Preise abgeräumt, unter anderem beim berühmten «Sundance-Festival».Christian Frei stand vorgestern auch dem Publikum Rede und Antwort und erzählte beispielsweise, wie er einen einheimischen Filmemacher für die Aufnahmen auf der Insel beauftragen musste. Denn für ihn selber war eine Einreise in das russisch kontrollierte Militär-Sperrgebiet verboten.
Goldrausch in Weiss
Der Film schaukelt den Zuschauer hin und her, zwischen Faszination und zukünftigem Horrorszenario. Er beginnt mit einigen Männern, die stochernd durch die karge, arktische Landschaft stapfen. Dann, ganz beiläufig, schiebt der eine sogenannte Mammutjäger mit dem Fuss einen unterarmgrossen Knochen beiseite und meint, das sei eine Rippe. Doch das ganze Augenmerk auf der «Neusibirischen Inselgruppe» richtet sich auf die Stosszähne der Mammuts. Denn hier winkt das grosse Geld.Gott spielen?
Bis anhin wurden zwei beinahe unversehrte Mammute geborgen. Und im Film kommt plötzlich der Moment, wo Blut aus den gefrorenen Mammutüberresten fliesst, Jahrtausende altes Blut. Das bewegt. Sofort zückt der umtriebige Museumsbesitzer sein Reagenzglas und probiert, so viel wie möglich der unbezahlbaren Lebensflüssigkeit einzufangen. Er setzt in seinem Projekt alles daran, ein Mammut wiederauferstehen zu lassen.
Es ist der Bruder von einem der portraitierten Mammutsucher. Die unheilige Allianz von Wissenschaftlern und Klon-Fabrik lässt sie von einer Auferstehung eines Mammuts träumen, ganz à la Jurassic Parc.
Ein Gen-Forscher gibt zu, dass sie häufig gefragt werden, ob sie nicht Gott spielen würden. «Gottes Wort (Schöpfung) ist noch nicht perfekt, aber wir können Gott perfekt machen!» Zu dieser Aussage lässt sich der asiatische Wissenschaftler hinreissen.
Da klingt ein anderer beflügelter Satz der heutigen Tage in unseren Ohren. Die unerhörte und doch naheliegende Weiterentwicklung wäre dann: «Make God great again…»
Ein Mammut klonen?
Aufnahmen aus den USA zeigen, wie diverse Neuschöpfungen vorgestellt wurden, wobei das erste eine Mischung als Schaf und Ziege war; sie schmeckte scheinbar nach Huhn.Der Betrachter denkt unausweichlich an Photoshop und daran, dass die Bilder locker mit dem PC designt wurden; beispielsweise ein bisschen Pferd mit einem Zebra zusammenzusetzen. Aber es ist keine Computerspielerei, es ist die aktuelle Realität.
Wenn der eine vom 1:1-Klonen von Mammuts träumt, hat George Church, berühmter und angehimmelter Mikrobiologe, das Ziel, den Hybrid eines kälteresistenten Elefanten zu kreieren. «Weshalb auch immer?», bemerkt der Regisseur Frei und hinterfragt damit auch die Notwendigkeiten des Ganzen. Mit dem gefundenen Mammutblut und der Suche nach einer lebenden Zelle kommen sie diesem Traum schon sehr nahe.
Hundekopierer und ewiges Leben
Der Wunsch vom ewigen Leben wiederspiegelt sich auch bei den Hundehaltern, die ihren Vierbeiner für immer behalten wollen, und beim Mammut, das die Forscher zurückholen wollen. Zwar wird so der Tod eines Lebewesens nicht verhindert, aber es wird eine Kopie angefertigt, welche dann die Zeitreise weiterführen wird. Bereits hat die kommerzielle Klonfabrik BGI in Seoul rund 900 Hunde geklont und an ihre Kunden verkauft.
Es geht den wissensdurstigen Forschern um «den Code des Lebens», wie Leben entsteht und weitergegeben wird. Das perfekte Lebewesen wird angestrebt und so überrascht die schockierende Aussage einer Besucherführung von BGI nur mässig, dass man zukünftig konsequent alle Embryos mit Downsyndrom aussortieren könne.
Doch wo sind die ethischen Grenzen? Das ist die allesentscheidende Frage. Ein Bild spricht mehr als Tausend Worte. Das aufgesetzte Lächeln der Tourführerin wechselt rasch zu einem unerfreuten, nachdenklichen Gesicht und bleibt wie in Stein oder Eis gemeisselt. Auf die kritischen Fragen der Europäer war sie nicht gefasst.
Im chinesischen BGI-Zentrum, wo internationale Gen-Daten gesammelt werden, sitzen auch kommunistische Funktionäre und Militärvertreter. Also kann sich der Zuschauer denken, wozu die Daten alles verwendet werden können.
Dann wiederum wankt der Kinobesucher auf die andere Seite, wenn einer der skrupellosen Forscher mit glänzenden Augen ein «Einzigartig!» haucht und damit das Wesen eines Mammuts meint. Obwohl er unmittelbar im Nebensatz von Klonhoffnungen sprechen kann.
Mammuts und mehr
Vor einem Jahr wurden erstmals Gen-Eingriffe bei Affen getätigt und somit zwei Affen geklont. Jetzt erwähnte Christian Frei beim Publikumsgespräch, dass unlängst in China der erste Eingriff bei Menschen gemacht und dadurch das letzte Tabu gebrochen wurde.
Ebenfalls betonte er, dass ihm die positiven Aspekte der Forschung wichtig seien, auch in der Umsetzung des Filmes. Und er sie nicht allgemein verteufeln wolle.
Bleibt zu hoffen, dass die ehrfurchtsvollen Momente des Films, besonders der Wissenschaftler, bewahrt bleiben und wieder zu mehr Gottesfurcht führen. Es braucht viel Fingerspitzengefühl und Weisheit bei der Weiterentwicklung. Dadurch kann auch mehr Ehrfurcht gegenüber allen Lebewesen einziehen – die Menschheit 2.0 hat sie jedenfalls nötig.
Prädikat: aufrüttelnd, verblüffend, sehenswert. Zu sehen in ausgewählten Schweizer Kinos, beispielsweise morgen, Freitag (22. März 2019) im «Les Cinémas du Grütli», Genf.
Mehr Infos:
Genesis 2.0
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Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet