Ehe lebenslang

Einander zum Fliegen bringen

Was Ehepaare im Lauf der Jahre erlangen und zustandebringen, kann kaum überschätzt werden. Das EGW-Magazin wort+wärch sprach mit der Paartherapeutin Susanna Aerne, Bildungsleiterin Beziehungen im Schweizerischen Weissen Kreuz.

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Susanna Aerne mit ihrem Mann Stefan
Susanna Aerne, was zeichnet Paare aus, die in einer langjährigen Ehebeziehung glücklich sind?
Susanna Aerne:
Sie haben ihre Gegensätzlichkeiten als Geschenk entdeckt, können sie als Ergänzung und Bereicherung anschauen und nicht als Konkurrenz oder Manko. Sie kennen sich und wissen gut, wie der andere etwas meint, ohne dass er alles erklären muss. Mit den Jahren wächst die Vertrautheit. Es geht weniger um mich als um die Sicht des anderen und darum, seine Stärken zu fördern, ihn zum Fliegen zu bringen. Dafür braucht es eine gewisse Reife.

Worauf sollen Paare, die am Anfang ihres gemeinsamen Weges stehen, achten, damit sie richtig einspuren?
Wichtig ist, genug Zeit zu nehmen, um sich wirklich gut kennen zu lernen in ganz unterschiedlichen Situationen. Und dies als bewusste Paar-Zeit einzuplanen. Das Gespräch über Vorstellungen, das Abgleichen der Visionen und Träume fürs gemeinsame Leben hilft. Paare sollen üben, sorgfältig zu kommunizieren.

Das gemeinsame Gebet hilft, die Beziehung zu reflektieren und durch den Blick nach oben, über Streit hinweg zu finden und zu lernen, was Liebe wirklich heisst, nämlich bedingungslose Annahme. Weiterhin sollten die Paare lernen, über Bedürfnisse und Gefühle zu reden, sowie Gemeinsames finden und stärken. Damit immer mehr ein WIR entsteht. Der Aufbau von guten Freundschaften zu anderen Paaren ist ebenfalls eine gute Investition für schwierigere Zeiten.

Muss man einfach viel beten für den Partner und die Ehe, und dann wird alles gut? Wie rechnen Sie mit Gott in Beziehungsfragen?
Wenn ich mit Gott in Beziehung bin, offenbart er mir sein Wesen und ich lerne, wie ich mit anderen in Beziehung treten soll. Manchmal offenbart er auch Einzelnes und Konkretes, aber Liebe und Akzeptanz durch Gottes Liebe gibt Frieden. Gott als Dritten im Bunde zu haben ist ein Geschenk und gibt Sicherheit. Ich verstehe das so: Gott hat den Ehebund geschaffen und geschenkt und innerhalb diesem dürfen mein Partner und ich unsere Ehe ausgestalten. Das ist spannend, abenteuerlich und bereichernd.

Was wenn nach Jahren der Glanz der Beziehung auf der Strecke geblieben ist? Wie frischen Paare ihr Miteinander auf?
Es ist belebend, vergessen gegangene Träume wieder auszugraben und als Paar etwas Neues, Mutiges und vielleicht auch etwas Verrücktes mit Gott zu wagen. Ein gemeinsames Projekt, eine gemeinsame Vision bereichert das Paar und gibt neue Verantwortung, neue Aufgaben. Ein Eheseminar wäre natürlich auch etwas. Oder eine Reise oder sonst etwas Aussergewöhnliches. Vielleicht werden Sie und Er auch etwas Gewöhnliches zu etwas Aussergewöhnlichem machen. Gemeinsam Erlebtes und Erarbeitetes verbindet.

Wie können Paare Schwierigkeiten begegnen? Manche bleiben ungewollt kinderlos, andere leiden unter chronischen Krankheiten oder Tiefschlägen.
Wenn die Ehe einen neuen Fokus braucht, ist es oft hilfreich, die Paar-Auszeiten zu intensivieren – bei Kinderlosigkeit liegt das Geheimnis darin, neue Möglichkeiten zu entdecken. Davor ist es aber nötig, Gott die eigenen Träume zurück zu geben oder auch Vergangenes loszulassen, um von Gott neue Perspektiven geschenkt zu bekommen. Paare tun gut daran, in ein tragfähiges Freundschaftsnetz zu investieren. Oft stellt sich die Frage: Kann ich Gott weiterhin vertrauen und hat er trotzdem gute Pläne für mich?

Ein Weg braucht Zeit. Die Seele hängt oft hinterher, hat immer einen längeren Weg zum Verarbeiten. Es ist gut, einen bewussten Trauerprozess zu durchlaufen, Wut und Traurigkeit zuzulassen und sich Zeit zu geben für alle Emotionen.

Wie kann sich der Einzelne beziehungsfördernd verhalten?
Eine fröhliche, wohlwollende Natur hilft. Hilfsbereitschaft und Zuversicht machen es einfacher, zusammen zu leben. Wer narzisstisch um sich selbst kreist, beschwert die Ehe. Der Charakter ist zwar grundsätzlich nicht veränderbar, das Verhalten aber schon. Man kann immer an seinem Verhalten arbeiten.

Weiterhin sollte ich mein Glück nicht von meinem Partner abhängig und ihn nicht dafür verantwortlich machen. Ich muss für mein Leben selber Verantwortung übernehmen und Zufriedenheit finden.

Was tun, wenn nur ein Partner unzufrieden ist in der Ehe oder wenn ein Partner ausserhalb der Ehe Interessen entwickelt?
Wichtig ist ein ehrlicher Austausch über ungestillte Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen. Einander verstehen wollen gehört dazu. Ich sage immer: Gesagt ist noch nicht gehört, gehört ist nicht verstanden, verstanden ist nicht einverstanden.

Dem anderen etwas zuliebe zu tun und sich Zeit füreinander zu nehmen, hilft über die innere Distanz hinweg. Wer emotional ausgehungert ist, weil ihm Verständnis, Nähe und Wertschätzung fehlen, wird anfällig für Wertschätzung und Vertrautheit von ausserhalb.

Welchen Einfluss haben unsere Herkunftsfamilien auf unser Beziehungsverhalten und wie gehen wir damit um?
Die Herkunftsfamilie hat einen grossen Einfluss. Diesen zu kennen, hilft auch den Partner zu verstehen. Positiv ist natürlich, wenn man gute Lösungsansätze gelernt hat und mitbringt. Wenn man sich der Prägung nicht bewusst ist und aus alter Last und Verletzung heraus reagiert, kompliziert dies die Ehe. Vieles läuft unbewusst ab. Änderbar ist es nur, wenn es bewusst wird. Prägungen sind änderbar.

Heute trennen sich viele Paare. Was ist der Wert einer langjährigen, stabilen Beziehung im Gegensatz zum Kick einer neuen, jungen Liebe?
Bindung und Vertrautheit, sich gut zu kennen, der gemeinsame Erfahrungsschatz, die gemeinsamen Erlebnisse, Freundschaften, Kinder: Das alles ist sehr wertvoll und vieles bricht abrupt ab, wenn man sich trennt. Der Kick geht auch in einer neuen Beziehung nach drei Jahren vorbei, der Trennungsschmerz und die Verletzungen bleiben bei einem selbst und im Umfeld jedoch längere Zeit. Ich nehme mich selbst und meine Prägungen und Verletzungen ja immer mit. Insgesamt scheitern mehr Zweit- als Erstbeziehungen.

Was motiviert Sie am meisten im Einsatz für Ehen und Beziehungsarbeit?
Ich empfinde Ehe als eine der genialsten Erfindungen und Geschenke von Gott. Sie ist sicherer Ort für mich und meine Familie und ich wünsche anderen, ebenfalls in solcher Sicherheit zu leben und aufzuwachsen. Nichts ist so sozialisierend und identitätsstiftend wie die dauerhafte Nähe und Zeit mit jemandem. Das bewusste Ja eines anderen Menschen hilft, über sich hinaus zu wachsen. Nichts hat mich so beflügelt wie mein Partner. Es ist ein Geschenk, jemanden so nah zu haben.

Susanna Aerne ist Bildungsleiterin Beziehungen im Schweizerischen Weissen Kreuz und dort auch verantwortlich für die twogether-Schulungen von Ehe-Mentoren für junge und erfahrene Paare. In eigener Praxis in Zofingen arbeitet sie zudem als systemische Paar- und Familienberaterin IKP.

Das Gespräch erschien im EGW-Magazin wort+wärch, Februar 2019.

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Datum: 11.02.2019
Autor: Ulrike Weininger
Quelle: wort+wärch

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