100 Jahre nach dem Genozid

1,5 Millionen armenische Völkermordopfer werden heiliggesprochen

Machtvolle kirchliche Demonstration: Die armenisch-apostolische Kirche gedenkt des Armenier-Genozids durch das damalige Osmanische Reich dadurch, dass die bis zu 1,5 Millionen Opfer heiliggesprochen werden.

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Dieses Armenier-Mahnmal in der Türkei, das von Erdogan entfernt wurde, erinnerte an den Völkermord an den Armeniern.
Die Zeremonie findet am 23. April in der Hauptkathedrale der armenisch-apostolischen Kirche in Etchmiadzin, Armenien, statt. Sie wird vom Oberhaupt der Kirche, Katholikos Karekin II., geleitet. So gut wie alle Bischöfe der armenischen Kirche, sowie viele weitere Geistliche und Gläubige aus aller Welt werden zu der Feier in Etchmiadzin erwartet. Es ist die erste Heiligsprechung in der armenisch-apostolischen Kirche seit dem 18. Jahrhundert. Der 24. April wurde von der armenischen Kirche zum Gedenktag der Märtyrerinnen und Märtyrer bestimmt.

Am 24. April 1915 hatten Einheiten der osmanischen Geheimpolizei in Istanbul hunderte armenische Intellektuelle verhaftet und nach Anatolien deportiert, wo die meisten den Tod fanden. Dies war der Startschuss für den Völkermord an den Armeniern und weiteren Christen syrischer Tradition, der bis zu 1,5 Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Auch religiöse Dimension

Von armenischer Seite wird darauf verwiesen, dass der Genozid auch eine religiöse Dimension hatte. Obwohl die Hauptverantwortlichen – die Führungsriege des im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs regierenden «Komitees für Einheit und Fortschritt» – nahezu alle Atheisten und Agnostiker waren, spielten sie bei der Durchführung der systematisch durchgeplanten Ausrottungskampagne auch die religiöse Karte aus: Armenier, die sich zum Islam «bekehrten», blieben weitgehend verschont.

Auf diesem Hintergrund würde die Kanonisation der Genozid-Märtyrer auch nach den strengen Regeln für Heiligsprechungen halten, weil die Morde «in odium fidei» (aus Hass gegen den christlichen Glauben) erfolgten, hiess es von armenischer Seite.

Grosse Feier in Rom

Im Blick auf den 100. Jahrestag des Beginns des Armenier-Genozids wird Papst Franziskus am «Sonntag der Barmherzigkeit», 12. April, im Petersdom einen Gottesdienst leiten, den man ruhig als historisch bezeichnen kann. Offizieller Anlass ist die Verleihung des Titels «Kirchenlehrer» an den heiligen Gregor von Narek, inoffiziell steht jedoch das Gedenken an die Opfer des ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt.

Die Feier hat grosse Bedeutung sowohl für die Armenier der ganzen Welt als auch für die Ökumene. Darüber hinaus ist sie ein Zeichen im Blick auf die bedrängte Lage der christlichen Kirchen im Nahen Osten, die in den Ansprache und Gebeten zu Wort kommen wird.

Papstwort zu Völkermord erwartet

Mit Spannung wird erwartet, was Franziskus in seiner Ansprache zu dem türkischen Tabuthema des Genozids sagen wird. Die offene Frage ist, ob er das Wort «Völkermord» in den Mund nehmen wird. Dies entspricht wohl dem Wunsch der armenischen Kirchen. Die Türkei weigert sich bis heute, dies als Völkermord anzuerkennen. Und jeder der von einem Genozid spricht, muss mit geharnischtem Protest aus Ankara rechnen.

Im Jahr 2006, als Jorge Mario Bergoglio noch Erzbischof von Buenos Aires war, hatte er die Türkei aufgefordert, die osmanischen Massaker der Weltkriegsjahre in Anatolien als «das grösste jemals von der ottomanischen Türkei begangene Verbrechen gegen das armenische Volk und die Menschheit insgesamt» anzuerkennen. Das offizielle Ankara hatte daraufhin Beschwerde eingelegt und den Apostolischen Nuntius ins Aussenministerium einbestellt.

Als Franziskus die Gräueltaten an den Armeniern knapp drei Monate nach seinem Amtsantritt, Anfang Juni 2013, als «ersten Genozid des 20. Jahrhunderts» bezeichnete, protestierte die Türkei ebenfalls offiziell.

Deutlicher als Franziskus

Johannes Paul II. war seinerzeit weit über Franziskus hinausgegangen. Der polnische Papst, der den Völkermord an den Juden miterlebt hatte, bekundete 2001 während seiner Armenien-Reise in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Oberhaupt der armenischen Kirche, Katholikos Karekin II.: «Die Ermordung von anderthalb Millionen Christen ist das, was generell als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird».

Zum Thema:
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Datum: 11.04.2015
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet

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