Shell-Jugendstudie: «Ego-Taktiker im Trend»

Berlin. Die aktuelle Shell-Studie über die deutsche Jugend enthält das neue Bindestrichwort «Ego-Taktiker». Im Trend liegt der karrierescharfe Einzelgänger.

Auf dem Höhepunkt der Rave-Bewegung war es die Spass-und-Tralalagesellschaft, Anfang der Neunziger die im Gleichschritt marschierende Phalanx der jungen Männer, die sich vor lauter emotionaler Unbeheimatetheit Glatzen rasieren und Runen tätowieren liessen - regelmässig erfasst die Shell-Studie den Zustand der jeweils heutigen deutschen Jugend und erzeugt Schlagzeilen in Feuilletons und sorgenvolle Stirnfalten bei wertkonservativen Leitartiklern.

Nun treten die Jugendforscher mit dem Neuwort «Ego-Taktiker» an die Öffentlichkeit. Der Bielefelder Soziologe Klaus Hurrelmann, wissenschaftlicher Leiter der Studie, liess das Wort im Interview mit dem «Stern» fallen. Die 12- bis 25-Jährigen stünden durchaus der «Spassgesellschaft nahe», seien aber «so sicherheits-und leistungsorientiert wie ihre Eltern».

Selbstbezogenheit, Karrieredenken: Politische Interessen zeige die Jugend nur noch dann, wenn sie selbst Nutzen daraus ziehen kann, etwa bei Protesten gegen Studiengebühren und Lehrermangel. Politik als Einsatz für Ideale oder Visionen sind der Jugend der Studie zufolge weitgehend fremd. Die meisten Jugendlichen suchten in jeder Situation den eigenen Vorteil.

Hurrelmann sieht die grösste Veränderung bei jungen Frauen. Bei ihnen setze sich mehr und mehr das Karrieredenken durch. Praktisch keine junge Frau sehe sich nur noch als Hausfrau und Mutter. Diese Tendenz ziehe sich durch alle Gesellschaftsschichten, während sich früher vor allem gebildete junge Frauen mit bürgerlichem Hintergund besonders stark in Bildung und Beruf engagierten.

Als eine Typische Vorreiterin der „Ego-Taktiker“ könnte man Madonna anführen. Sie zählt zu den einflussreichsten Frauen des Showbiz. Madonna gelingt es immer wieder, sich trotz der Kurzlebigkeit der Branche im Pop-Geschäft zu halten. Rund 130 Millionen Platten verkaufte sie weltweit - und denkt noch lange nicht ans Aufhören. Madonna gehört unumstritten zu den erfolgreichsten weiblichen Popstars und hat ein geschätztes Vermögen von über 600 Millionen Euro. Ihre Ausstrahlung und ihr Geschäftssinn begünstigen ihre Karriere.

Hinter dem Erfolg steht eine unglaublich kreative Frau, die mit äusserster Disziplin und unendlicher Willenskraft buchstäblich jede Minute arbeitet und die für die berufliche Karriere häufig alle privaten Verpflichtungen vernachlässigt. Eine Ursache für diese Ruhelosigkeit und ständige Suche nach Ruhm und Anerkennung liegt sicher in dem frühen Verlust der Mutter, die an Brustkrebs stirbt, als Madonna gerade fünf Jahre alt ist.

Bereits als Schülerin hat Madonna jede freie Minute getanzt oder für Theater Rollen geprobt, um einfach besser zu sein als alle anderen. Ihre Fähigkeit, die Überbleibsel der modernen Kultur zu durchforsten, und ihre erfolgreiche Zusammenarbeit mit anderen Künstlern sind zweifellos die Markenzeichen ihrer Karriere. Eine Quelle ständiger Bewunderung jedoch ist ihre Fähigkeit, ihre Konzentration mühelos von einem Thema auf das nächste zu richten: Von der Diskussion über einen Verkaufsdeal wechselt sie ohne Übergang zur Planung des "Köders" für ihren nächsten Song. Das Mädchen, das mit einer Handvoll Dollars in New York ankam, war und ist Verlegerin, Musik-Mogul, TV-Produzentin, Verkaufsleiterin und Filmproduzentin in einem.

Doch wenn man so intensiv aufbricht, die ganze Welt für sich zu erobern, kann der Preis dafür sehr hoch sein - die Seele könnte auf den Weg dahin Schaden erleiden.

Datum: 19.08.2002
Autor: Bruno Graber
Quelle: Livenet.ch

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