Viele Freikirchen
"Winterthur ist eine Hochburg der Frommen“
Ralf Kaminski, Winterthurer Korrespondent des "Tages-Anzeigers" und Autor des fast ganzseitigen Artikels, findet die Freikirchen "ein spannendes Gebiet“. Sie seien in Winterthur wirklich sehr präsent und auffällig. Mit der Verteilzeitung der Evangelischen Allianz "4telstunde für Jesus" kam Kaminski in der Osterzeit ein Flugblatt mit dem Stadtplan und einer Übersicht der 17 Gemeinden in die Hand. Dies war der Auslöser für den Artikel, der allerdings aus Platzgründen erst im "Sommerloch" ausreichend Platz in der Zeitung fand. Knapp 3000 Personen in Winterthur gaben bei der letzten Volkszählung an, zu einer Freikirche zu gehören. Das sind 3.3 Prozent, was deutlich über dem Landesdurchschnitt von 2.2 Prozent liegt. In umliegenden Gemeinden wie Schlatt, Henggart, Truttkon oder Hüntwangen liege der Anteil der Freikirchler sogar zwischen 6 und 10 Prozent, stellte Kaminski fest. Damit sei diese Gegend eine "Hochburg der Evangelikalen" – vergleichbar nur mit Teilen des Kantons Bern. Dargestellt wird die Verbreitung der Freikirchen-Mitglieder in einer übersichtlichen Grafik, die alle politischen Gemeinden des Kantons Zürich zeigt.
Freikirchen haben Tradition
Die Gründe für die Dichte der Frommen in der zweitgrössten Stadt Zürichs liegen laut den Recherchen des "Tages-Anzeigers" darin, dass freikirchliche Bewegungen seit den Herrnhutern im 18. Jahrhundert in Winterthur und Umgebung immer schon vorhanden waren, missionierten und auf das persönliche Glaubenserlebnis grossen Wert legten. Im 19. Jahrhundert seien die heute noch bestehenden traditionellen Freikirchen entstanden wie die Freie Evangelische Gemeinde, die Chrischona, die Methodistenkirche und die Heilsarmee. Heute liege der Einfluss der Freikirchenszene nicht zuletzt an der Stiftung Schleife, die eine landesweite Ausstrahlung habe, wird im Zeitungsartikel durch Georg Otto Schmid von der Informationsstelle Kirchen-Sekten-Religionen in Greifensee dargelegt.
Antwort auf Bedürfnisse der Menschen
Als weiterer Grund für den Erfolg der Freikirchen führt der "Tages-Anzeiger" die Antworten an, die die Freikirchen auf zwei grundsätzliche Probleme der modernen Gesellschaft, nämlich Individualisierung und Wertauflösung, gäben. Sie setzten den Einsamkeitsgefühlen und der Kontaktarmut etwas entgegen und lieferten Antworten auf die Frage, was richtig und was falsch sei. Dies ziehe Anhänger und Mitglieder an, schreibt Ralf Kaminski. Zitiert wird im Artikel auch der SP-Stadtpräsident Ernst Wohlwend, der die Evangelikalen gesellschaftlich für "keine unbedeutende Kraft" hält. Diese sei zwar schwierig zu fassen, weil sie nicht direkt öffentlichen Einfluss nehme. Auch er anerkenne das soziale Engagement der Freikirchen: "Sie übernehmen Aufgaben, die sonst die Stadt erbringen müsste", wird von Wohlwend übermittelt. Als lobenswert ist auch ein Kasten auf der Zeitungsseite zu bezeichnen, der unter dem Titel "Was Evangelikale glauben" in sechs Punkten ziemlich treffend deren Glaubensinhalte zusammenfasst.
Fromme in der Landeskirche vergessen
Dass Ralf Kaminski in seinen Feststellungen zwei Irrtümern aufsitzt, ist ihm angesichts des sonst gut gelungenen Artikels fast zu verzeihen: Die Zahlen aus der Volkszählung hat er vom Bundesamt unkritisch übernommen und damit Angaben gemacht, die wegen der Doppelmitgliedschaften in Landes- und Freikirchen sowie der Mitzählung von Sekten wie den Zeugen Jehovas, den Neuapostolen und den Mormonen ungenau sind. Niemand weiss also, wie viele Personen zu den Freikirchen auf reformatorischer Glaubensgrundlage gehören. Falsch ist im Weiteren, dass Kaminski Freikirchler mit Evangelikalen gleichsetzt. In den Landeskirchen und ihren pietistischen Bewegungen dürften wohl ebenso viele "evangelikale" Christinnen und Christen zu finden sein wie in den Freikirchen. Zwar sind keine exakten Zahlen vorhanden. Es ist aber davon auszugehen, dass die Zahl der in ihrer Frömmigkeit der Evangelischen Allianz nahe stehenden Personen in der Schweiz heute bei etwa fünf Prozent der Bevölkerung liegt.
Quelle: idea Schweiz