Studie

Freikirchen gewinnen deutlich an Boden

Erstmals erscheint eine Studie über die evangelischen Freikirchen und Gemeinden. Verglichen mit den reformierten Kirchen wachsen die evangelischen Freikirchen und Gemeinden in der Schweiz markant.

Etwa 55 Prozent der freikirchlichen Christen in der Schweiz fühlen sich einer gemässigten Ausrichtung zugehörig. Das zeigt die erste, noch unveröffentlichte Studie über die evangelischen Freikirchen und Gemeinden in der Schweiz. Verfasst wurde sie von Jörg Stolz, Direktor des Observatoriums der Religionen in der Schweiz (Universität Lausanne), sowie von Olivier Favre, evangelischer Pastor und Doktorand am Religionsobservatorium.

In der Marketing-Sprache ausgedrückt, liesse sich sagen: Die Evangelischen nehmen den Reformierten Marktanteile weg. Viele von ihnen sind "evangelikal" ausgerichtet: Sie fühlen sich einem Christentum zugehörig, das sich unabhängig von der konfessionellen Zugehörigkeit einzig auf die Bibel als Glaubensgrundlage beruft. Die evangelischen Freikirchen und Gemeinden gewinnen in der Schweiz zusehends an Bedeutung.

Verhältnismässig viele Aktive

Gegenwärtig sind zwar bloss 2,2 Prozent der Schweizer Bevölkerung Mitglied der (evangelischen) Freikirchen, was 161000 Personen entspricht. Das sei zwar gesamthaft wenig, aber viel, wenn man es in Beziehung setze zu den 10 Prozent der katholischen und reformierten Schweizerinnen und Schweizer, die sich als regelmässige Kirchgänger bezeichnen, erklärt der Religionssoziologe Jörg Stolz.

Als regelmässiger Kirchgänger gilt für ihn, wer mindestens zweimal monatlich einen Gottesdienst mitfeiert. "Unter diesen Kirchgängern sind zwar die Katholiken in der Mehrheit, doch ein Drittel der reformierten Kirchgänger sind auch freikirchlicher Zugehörigkeit", erläutert Stolz in der aktuellen Ausgabe des Lausanner Universitätsmagazins "Allez savoir!"

Drei Tendenzen

Die evangelische Bewegung wird in der Schweiz durch 1.500 Gemeinden oder Gemeinschaften gebildet. Manche evangelische Christen sind sowohl bei den Freikirchen wie bei den reformierten Kirchen dabei. Gemäss Stolz sind unter den (evangelischen) Freikirchen drei Tendenzen zu erkennen. Da gibt es die charismatischen Kirchen oder Pfingstkirchen, die mit den Erweckungsbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts zu tun haben – sie machen etwa 33 Prozent der evangelischen Freikirchen und Gemeinden in der Schweiz aus. Es ist dies eine Tendenz, die stark auf das Gefühlshafte und die Bekehrung zentriert ist. 10 Prozent der evangelischen Freikirchen-Mitglieder gehören den "fundamentalistisch" Ausgerichteten an. Die Mehrheit – etwa 55 Prozent – sind in der Mitte des Spektrums angesiedelt; dazu gehören beispielsweise die Wiedertäufer oder auch die Methodisten.

Bush als Stein des Anstosses

Die Kommerzialisierung des Glaubens nach US-amerikanischem Muster stösst in der Schweiz eher auf Ablehnung. Stein des Anstosses sei derzeit vor allem US-Präsident George W. Bush, bekennender Christ, erklärt Olivier Favre, evangelischer Pastor, Doktorand und Mitverfasser der Studie: "Einerseits lieben die evangelischen Christen zwar die Idee, dass man die jüdisch-christliche Moral verteidigt, andererseits können sie sich mit der Irak-Invasion der USA überhaupt nicht anfreunden".

Sinn für Kommunikation

Gemäss Favre sind die Alphalive-Kurse derzeit das am meisten geschätzte Instrument zur Evangelisierung, "eine Einführung in die Grundlagen, welche die in evangelischer Richtung tendierende anglikanische Kirche in London lanciert hat." Dieser Glaubenskurs wurde von reformierten wie von katholischen Pfarreien aufgenommen, so Favre.

Die Christen der evangelischen Freikirchen und Gemeinden hätten einen ausgesprochenen Sinn für Kommunikation, meint Favre und das lasse sich bei trendigen Freikirchen wie etwa bei ICF (International Christian Fellowship) in Zürich nachprüfen. Gottesdienste mit Musik, Themen, die junge Menschen ansprechen, Fragen rund um Sex zum Beispiel. In der Sache allerdings bleibe ICF "sehr fundamentalistisch", meint Stolz.

Übereinstimmung in ethischen Fragen

Eine Umfrage im Rahmen der Studie zeigt eine ausserordentlich grosse Übereinstimmung der freikirchlichen evangelischen Christen in ethischen Fragen. 97 Prozent der Befragten sind der Überzeugung, dass einzig ein „Bekehrter“ (jemand der sich Bewusst für Jesus entscheidet) ein wirklicher Christ ist. Die Mehrheit der Anhänger evangelischer Freikirchen und Gemeinden wendet sich gegen sexuelle Beziehungen vor der Ehe – bei den Reformierten sind es dagegen bloss 6 Prozent und bei den Katholiken nur 4 Prozent. Unter den "fundamentalistisch" eingestellten Evangelischen äussern fast 90 Prozent die Überzeugung, dass es nur eine "wahre Religion" gibt. Dieser Standpunkt wird bloss von 8 Prozent der Reformierten und 6 Prozent der Katholiken geteilt.

Webseiten:
www.freikirchen.ch
www.vef.info

Datum: 21.02.2005
Quelle: Kipa

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