Helena Adelino
«Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich»
Helenas erste Jahre verliefen normal. Sie ging in den Kindergarten, hatte ein paar ältere und jüngere Schwestern, und sie musste erste kleine Arbeiten im Haushalt übernehmen. Dass sie selbst Wasser holen konnte, erfüllte sie mit Stolz. Gern und oft spielte sie mit ihren Freundinnen «Fangen». Darin sei sie gut gewesen, erzählt sie uns. Eine Kindheit, wie sie sich hier in der Schweiz, Deutschland oder Österreich hätte abspielen können. Dann aber, im Alter von sechs Jahren, gab es einen Bruch, der in Westeuropa in dieser Dimension unvorstellbar ist: Ihr und dem ganzen Dorf lauerten eines Tages Männer auf, die «Fangen» nicht nur spielten. Und diesmal gehörte Helena nicht zu den besten, sondern wurde nach wenigen Metern gepackt. Es waren Regierungsmilizen, die das kleine Mädchen als Sklavin vom schwarzafrikanischen Südsudan in den arabisch-moslemischen Norden verschleppten (vergleiche Folge 9 «So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus» )
«Allahu Akhbar!»
Helena kann sich längst nicht mehr an alles erinnern. Aber sie weiss noch von verzweifelten Schreien, von lichterloh brennenden Hütten und von Rauchschwaden, als die Milizen Khartums mit Pferden ins Dorf eingebrachen, wüteten und mordeten. Von ihrer Familie hat die heute 24jährige nichts mehr gesehen. Die Männer wurden niedergemetzelt, die Frauen und Kinder versklavt und mitgenommen.
«Wir mussten marschieren. Sie sassen auf Pferden und trieben uns wie Vieh. Wer nicht mehr weiter konnte, wurde niedergeschlagen und zertrampelt.» Die Hitze sei mörderisch gewesen und lange nicht alle hätten diesen zweitägigen Horrormarsch überlebt. Und immer wieder Schläge von ungewaschenen Männern mit kalter Mordlust in den Augen. Das einzige, was die moslemischen Milizen Khartums offenbar pflegten, waren die dauernden «Allahu-Akhbar!»-Rufe («Allah ist gross»).
«Schwester»
Damit war Helena ihrer Kindheit beraubt. Sie kam in eine Art Camp, wo sie als Sklavin an eine arabische Familie verkauft wurde. Ein sechsjähriges Kind! Ihre Arbeiten: Pflanzen, abwaschen, putzen, Wasser holen und mit zunehmendem Alter auch kochen sowie sich um die jüngeren Mitglieder der siebenköpfigen Familie kümmern. Freie Tage oder Lohn? Nein. Dafür sieben Tage die Woche schuften und Prügel kassieren, wenn man mit der kleinen Sklavin nicht zufrieden war.
«Ich spreche nur arabisch», sagt Helena. Ihre Dinkasprache hat sie mit der Zeit verlernt. In ihrem Leben schien nur eine kleine Sonne. Es waren die jüngsten Kinder dieser Familie. Isa, Nonoya und Hohwa hiessen sie und waren kleiner als Helena. Sie haben das schwarze Mädchen rasch in ihre Herzen geschlossen. «Sie sagten Schwester zu mir. Das hat mir sehr gut getan», blickt Helena zurück.
Eine Tortur
Sie war gerade 13, als ein weiteres, finsteres Kapitel ihres Lebens geschrieben werden sollte. Mohammed, der älteste Sohn der Familie, führte die wüste Feder. «Er vergewaltigte mich mehrfach. Die Schmerzen waren enorm.» Hilfe kriegte sie keine. «Ich schrie, doch seine Eltern polterten an die Wand und sagten, ich solle still sein.»
Sie war noch immer 13, als sie an einen anderen moslemischen Araber weitergegeben wurde. Ob verkauft oder verschenk, das weiss sie nicht. «Ich habe nichts darüber erfahren.»
Lesen sie auch die Serie dazu:
1. Teil Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
3. Teil Ein Arzt im Bombenhagel
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
7. Teil Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber
8. Teil Hühner schreien zwischen den echten "Music Stars"
9. Teil So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
11. Teil Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
12. Teil Die Sternstunde
14. Teil Nicht ohne meine Kinder
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
20. Teil Wie viele sterben noch in Darfur?
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten
25. Teil "Wir werden eure Männer und Söhne töten" - wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?
Webseite: www.csi-int.org
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch