Dr. Luka
Ein Arzt im Bombenhagel
Dr. Luka Deng, den alle nur «Dr. Luka» nennen, ist der einzige Arzt im Umkreis von 25 Kilometern. Manche Patienten gehen bis zu sechs Stunden, um sich von ihm betreuen zu lassen. Er studierte zwar in Kairo und lebt ab und zu in London; für die Südsudanesen hat er aber einen entscheidenden Vorteil: Er ist ein Einheimischer. Er spricht nicht nur Englisch und Arabisch, sondern auch die regionale Dinka-Sprache.
Daniel Gerber: Für die Leute hier sind Sie ein «Lucky Punch» – ein Glückstreffer: Sie stammen aus der Gegend, sprechen die Landessprache und kennen alle typischen Krankheitssymptome der Menschen hier.
Dr. Luka: Ich bin aus London hierher zurückgekehrt, weil mich die Leute hier das wollten. Es waren keine qualifizierten Ärzte da. Eigentlich gäbe es sie schon; einer wohnte etwa 14 Kilometer von hier ... aber seine Klinik ist in Frankreich. Ein anderer praktiziert nicht und ist die meiste Zeit in Nairobi. Einige weitere haben ebenfalls ihr Studium abgeschlossen. Ich weiss von zwei, die in Kanada leben, und von einem, der sich in den USA niedergelassen hat. Ein Gebiet mit rund drei Millionen Menschen hat sechs Ärzte hervorgebracht.
Warum kommen diese Ärzte nicht zurück?
Das Problem ist die Unsicherheit. Es gab viele Kämpfe und Bombardements. Sie wollen nicht ihr Leben riskieren. Als mein Volk rief, habe ich mich entschieden zu kommen.
Ungefährlich ist es nicht. Ihre Familie lebt weiterhin in London.
Ja. Wenn ich sterbe, bleibt meine Familie. Aber Gott ist gross. Mir ist noch nichts geschehen. Einmal ist eine Bombe 100 Meter von mir explodiert. Es gab einen grossen Krater. Viele Bomben werden hier abgeworfen, man sieht hier zum Teil sehr grosse Krater. Zwischen 2000 und 2003 wurden hier sehr, sehr viele Bomben abgeworfen.
In jedem dieser Jahre bombardierte die Regierung die Region hier?
Ja, manchmal zweimal pro Tag.
Es könnte also auch jetzt plötzlich wieder losgehen?
Ja. Solange kein echter Frieden und Stabilität da ist.
Was erhoffen Sie sich für die Zukunft?
Meine Hoffnung ist, dass es einen Frieden gibt und einen eigenständigen Südsudan mit den Grenzen von 1956. Dies wäre viel besser als es jetzt ist. Wir könnten die Infrastruktur aufbauen und jeder seiner Arbeit nachgehen. Entweder muss es einen echten Frieden mit dem Norden geben oder dann einen unabhängigen Süden. Das ist unser Wunsch, dass es dereinst zwei Staaten sind. Der Süden wird nie akzeptieren, Teil des Nordens zu sein.
Der Norden wird nie akzeptieren, dass der Süden das Öl hat ...… nun, …
Ein vierstrahliger Frachter donnert im Tiefflug über die Region... das ist ein UN-Flugzeug, das Hilfslieferungen abwirft.
Wir müssen also nicht unter einen Baum flüchten ...
Nein. Der Klang der Antonow-Bomber kennen wir bestens. Bei manchen Gebäuden gibt es ein Loch, wo man reingehen kann (damit einen keine Splitter treffen; Anm. d. Red.). Wenn man auf gleicher Höhe ist wie die Flugzeuge, kann man von Bombenteilen getroffen werden.
Können die Leute hier auch zurückschiessen?
Gegen die Flieger hat die SPLA* nichts. Am Boden kann sie uns aber verteidigen. Hier, wo wir jetzt sitzen, ist seit 1997 kein arabischer Kämpfer mehr gestanden.
Sie können also aus der Luft angreifen, am Boden aber nicht.
Genau. Im Gelände ist es schwer für sie. Ausserdem ist hier in der Nähe ein Stützpunkt der SPLA. Die Truppen aus dem Norden wissen nicht, wo wir sind. Sie werfen einfach mit ihren Flugzeugen Bomben ab. Manchmal fallen die sogar in einen Fluss.
Haben Sie aber nicht Angst, wenn die Klinik grösser und grösser wird? Dann kann man sie aus der Luft zunehmend besser sehen.
Sie sehen von der Luft aus nicht, dass es eine Klinik ist. Sie sehen höchstens, dass es ein eingezäuntes Gelände ist. Sie fliegen sehr hoch, sie sehen praktisch nichts. Tiefer fliegen sie nicht, damit man sie nicht doch abschiessen kann. Sie können nur etwa erahnen, über welcher Ortschaft sie sich grade befinden, und dann werfen sie ihre Fracht einfach ab.
* SPLA: Sudan People Liberation Army
Sie ist die Autorität im Süden und konnte bisher verhindern, dass der moslemische Norden den animistischen und christlichen Süden vollends überrennt.
Lesen sie auch die Serie dazu:
1. Teil Ich war 15 Jahre lang eine Sklavin
2. Teil Meine Klinik begann unter einem Baum
4. Teil Noch keine Skorpione
5. Teil Die Milizen geben auf
6. Teil Gefangen, verkauft, unterdrückt
7. Teil Um diese Zeit kommen manchmal die Bomber
8. Teil Hühner schreien zwischen den echten "Music Stars
9. Teil So wurde aus der Kornkammer ein Armenhaus
10. Teil Vier Kinder vom angetrauten Vergewaltiger
11. Teil Eine entvölkerte Schweiz, mitten im Sudan
12. Teil Die Sternstunde
13. Teil Der älteste Sohn der Familie vergewaltigte mich
14. Teil Nicht ohne meine Kinder
15. Teil Schweizer Hilfswerk macht Weltpolitik
16. Teil So wurde die UNO zum Regime-Komplizen
17. Teil Wir haben die Hand Khartums geführt
18. Teil Die USA und das gigantische Missverständnis
19. Teil Wir machen uns zu Komplizen
20. Teil Wie viele sterben noch in Darfur?
21. Teil Nothilfe Sudan
22. Teil Gegen die Hungerkatastrophe im Sudan ankämpfen
23. Teil Weihnachten im Hungergebiet
24. Teil Diesesmal kein Tränengas zu Weihnachten
25. Teil "Wir werden eure Männer und Söhne töten" - wie lange schaut die Welt den Gräueln in Darfur zu?
Webseite: www.csi-int.org
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch