Wirkliche Gemeinschaft
„Als Muslimin war ich eine Dienerin Gottes, nicht sein Kind“
Frau Siebert, Sie kamen aus einer christlichen Familie. Was fehlte Ihnen, so dass Sie Muslimin geworden sind?
Andrea Siebert: Es kamen damals mehrere Sachen zusammen. Einmal vermisste ich in der Kirche wirkliche Gemeinschaft. Die Formen in unserer damaligen Gemeinde waren starr. Ich vermisste auch Gleichaltrige. Ausserdem empfand ich den christlichen Glauben als konturlos. Die meisten Christen, die ich kannte, erschienen mir irgendwie als Mitläufer und zeigten keine Flagge. Ich war jung und suchte wirkliche Orientierung.
Was hat Sie am Islam fasziniert?
Zunächst einmal war das diese intensive Gemeinschaft in der islamischen Gruppe, in die ich hineinkam. Das war ja genau das, was ich vermisst hatte. Dann natürlich die Entschlossenheit, mit der die Muslime ihre Religion leben. Irgendwann meinte ich, dass ich innerlich sowieso schon Muslimin sei, so dass ich dann auch offiziell den Islam annehmen wollte. Das tat ich, indem ich einfach im Beisein von mehreren Muslimen auf Arabisch das islamische Glaubensbekenntnis aussprach. Damit war ich Muslimin.
Haben Sie dann im Islam eine feste Grundlage für Ihr Leben in der westlichen Gesellschaft gewinnen können?
Am Anfang erschien es mir so. Es war alles ganz klar und einfach, da der Islam jeden auch noch so kleinen Bereich des Lebens regelt. Das geht vom Gebet über das Essen bis hin zum Händewaschen oder Anziehen. Allerdings merkte ich mehr und mehr, dass es sehr schwer ist, als Muslimin in einem westlichen Land zu leben und dabei auch die Gebote und Verbote des Islam einzuhalten.
Es gelang Ihnen nicht, all Ihren religiösen Pflichten nachzukommen?
Ich bemühte mich sehr, allen Pflichten nachzukommen. Aber ich stellte leider fest, dass das nicht möglich war. Ich lag oft abends im Bett wach und dachte: „Wenn ich jetzt sterbe, komme ich in die Hölle!” Immer musste ich Angst haben, nicht genug getan zu gaben. Hier eine Unaufmerksamkeit beim rituellen Gebet, dort ein Bissen unerlaubtes Essen. Denn bei vielem weiss man schliesslich nicht genau, ob es nicht vielleicht etwas Verbotenes enthält. Auch hatte ich immer das Gefühl, meine Gebete kämen nicht über die Zimmerdecke hinaus. Irgendwann fragte ich mich, ob es überhaupt einen Menschen gibt, der das Paradies erreichen würde. Zunehmend litt ich darunter, dass der Islam zwar Gesetze auferlegt, aber keine von mir zutiefst ersehnte Erlösung brachte.
Aber nun haben Sie sich aus dieser Religion und ihrer starken Bindung herausgelöst. Was hat Sie dazu veranlasst?
Ich war in meinem Leben an einen Punkt gekommen, an dem ich sagte, es muss irgendetwas passieren, so kann es nicht bleiben. Ich hatte nur nicht sagen können, was genau sich eigentlich ändern sollte. In dieser Situation wurde ich von jemandem auf die Bibel, speziell auf Jesaja 53, und auf den Fund der Schriftrollen in Qumran hingewiesen. In diesem Fund befindet sich auch eine Schriftrolle aus der Zeit 100 vor Christus, die den gesamten Jesaja-Text enthält. Mir war bekannt, dass Jesaja 53 sehr detailliert von der Erlösungstat Jesu spricht, und diese Schriftrolle stammte eben aus einer Zeit, in der noch keiner von Jesus wissen konnte. Das war der Auslöser. Ich dachte Tag und Nacht nach, wie ich diese Tatsache „islamisch” einordnen konnte. Es gelang mir nicht. Ich merkte, dass ich mich selbst aus dieser Lage der absoluten Ungewissheit, was wahr und was unwahr ist, nicht befreien konnte und betete zum ersten Mal bewusst in Jesu Namen: „Gott, wenn du wirklich dieser Gott bist, von dem hier gesprochen wird, wenn Jesus wirklich dein Sohn ist, der für uns am Kreuz gestorben ist, dann sag es mir.” Nach diesem Gebet fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Gott hatte mir geantwortet. Plötzlich verstand ich Bibelstellen, die ich früher nie begriffen hatte, und ich sah den roten Faden in der Bibel, den Erlösungsplan Gottes für uns.
Haben Sie jetzt bei der christlichen Freiheit weniger Halt als vorher in den Ordnungen und Regeln im Islam?
Nein, ich habe nicht weniger Halt. Im Gegenteil. Gott lässt mich über seinen Willen nicht im Unklaren, aber er entmündigt mich dabei nicht, wie ich es heute im Islam empfinde. Er nimmt mich als sein Gegenüber ernst, ich bin nicht nur seine Dienerin, sondern sein Kind. Die Bibel ist sein Wort, durch das er schon oft zu mir gesprochen hat. Die Gemeinde ist meine Familie. Ich bin glücklich, dass ich heute in einer lebendigen Gemeinde sein darf. Dort bin ich mit Menschen zusammen, die Jesus lieb haben, die seine Liebe weitergeben und weitersagen möchten, die aneinander Anteil nehmen.
* Name von der Redaktion geändert
Autor: Ernst Schrupp
Bearbeitung: David Sommerhalder
Quelle: Neues Leben