Zur Moschee umgewandelt
Hagia Sophia bekommt einen Imam
Zum ersten Mal seit Umwandlung der Hagia-Sophia-Moschee in ein Museum vor 81 Jahren durch Kemal Atatürk hat die türkischen Religionsbehörde (Diyanet) wieder einen Imam für die ursprünglich christliche Kirche eingesetzt.
Von christlichen Kreisen in der Türkei wird der Zeitpunkt der Imam-Einsetzung ausgerechnet zum 25-jährigen Amtsjubiläum des Konstantinopler Patriarchen Bartholomaios I. aber als gezielte Provokation gewertet: Die Hagia Sophia war vom 6. Jahrhundert bis zur osmanischen Eroberung 1453 als «Grosse Kirche Christi» Sitz der orthodoxen Patriarchen und wird bis heute in kirchlichen Dokumenten so angeführt.
Im Namen des Volkes ...
Die gleichgeschalteten türkischen Medien begrüssen die Einsetzung des ständigen Imams als «Erfüllung eines Wunsches des türkischen Volkes». Zwar bleibt der Amtssitz des Imams vorderhand im benachbarten Hünkar Kasri (Fürstenschlösschen), das von Sultan Murad III. (1574-1595) angebaut wurde. Er verrichtet aber bereits ständig das fünfmal tägliche Moscheegebet, auch über die Lautsprecher der vier Minarette der Hagia Sophia. Es war erstmals während des letzten Fastenmonats Ramadan «vorübergehend» eingeführt worden.
Taktisches Manöver vor Volksabstimmung
Beobachter in Istanbul bringen dessen dauerhafte Etablierung mit der Absicht Erdogans in Zusammenhang, möglichst breite Massen türkischer Muslime vor der geplanten Volksabstimmung über eine neue Verfassung mit an ihn praktisch unbeschränkten Vollmachten für sich als Re-Islamisierer einzunehmen.
Salami-Taktik
Zum ersten Mal, seit Atatürk 1935 die Hagia Sophia in ein Museum umgewandelt hatte, fand schon im April 2015 ein islamischer Gebetsgottesdienst in der Hagia Sophia statt. Bis dahin waren religiöse Handlungen und Zeichen jeder Religion in ihren Mauern streng verboten. Daran mussten sich sogar drei Päpste bei ihren Besuchen halten; nur Paul VI. war 1967 das Niederknieen zu einem – stillen – Gebet gelungen.
Provokation am Freitag
Ausgerechnet am Karfreitag 2015 verkündete jedoch der berühmte Koran-Rezitator Ali Tel aus Ankara laut und lang ganze Suren, dass es in der Hagia Sophia nur so widerhallte. Nach dem Religionsrecht der Scharia war schon damit die säkularisierte Reichsmoschee der Osmanen wieder als solche eingeweiht, ohne dass es noch einen besonderen Umwandlungsbeschluss dazu brauchte. Den offiziellen Charakter dieses ersten neuerlichen islamischen Gebetsgottesdienstes in der Sophienkirche unterstrich bereits damals die Teilnahme von Mehmet Görmez, dem Leiter des staatlichen Religionsamtes Diyanet. Er ist es auch, der jetzt den ersten ständigen Imam bestellt hat.
Radikale Forderung des Kulturministers
Eine weitere Verhärtung der Forderung nach Moscheeisierung des Hagia-Sophia-Museums erfolgte dann von Seiten des Kultur- und Tourismusministers in der türkischen Übergangsregierung von 2015, Yalcin Topcu, der sofort mit radikalen Forderungen und Positionen hervortrat. Er forderte – wie schon andere Vertreter des Erdogan-Regimes vor ihm – die ständige Rückverwandlung der Hagia Sophia, einst die grösste christliche Kirche, in eine Moschee. Topcu vertrat im Kabinett die «Partei der Grossen Einheit» (BBP). Diese rechtsextreme Splittergruppe verbindet türkischen Rassenwahn mit militantem Islamismus und Antisemitismus. Durch ihren «Verband Türkischer Kulturvereine in Europa» (ATB) ist die Partei in der Diaspora stärker als in der Türkei selbst. Die BBP wurde in die Regierung aufgenommen, um zu einer Mehrheit des Erdogan-Lagers bei den vorgezogenen Neuwahlen am 1. November 2015 beizutragen.
Der Trend zur Reislamisierung
Ähnliche Vorgänge wie in Istanbul spielen sich zur Zeit um die Hagia Sophia in Nizàa, die Sophienkirche in Ainos (Enez) und den Sophien-Dom in Trapezunt (Trapzon) ab. Auch diese werden und wurden schrittweise in Moscheen zurückverwandelt. Vorschläge aus muslimisch-türkischen und christlichen Kreisen, eine Doppelnutzung dieser symbolträchtigen Kirchen als Kirche und Moschee einzurichten, versanden. Auch die Kritik des Ökumenischen Patriarchats bleibt wirkungslos. Siehe dazu den Hintergrundbericht des Orientalisten und Islamkenners Heinz Gstrein.
Ein Gegenbeispiel aus Bulgariern
Als Kontrast zu diesen Vorgängen sei ein Ereignis im südbulgarischen Dorf Kozlets erwähnt, das die Koexistenz von Muslimen und Christen aufrecht erhält. Dort haben 2015/16 Muslim-Bewohner über 1000 Lewa (etwa 1100 Franken, für Bulgarien eine grosse Summe) zur Wiederherstellung der Dorkirche gesammelt und bei ihrer Renovierung mit Hand angelegt. Zusammen mit den orthodoxen Christen erneuerten sie den Glockenturm und die Mauer um Kirchengelände und Friedhof. Sie renovierten auch den Innenraum. Viele muslimische Familien beteiligten sich, indem sie Einrichtungsgegenstände spendeten.
Wie der Bürgermeister des Dorfes, der Muslim Kadir Beynur, sagte, bestand die Gefahr, dass der Glockenturm einstürzt und dabei das Dach mitreisst. Das habe nicht nur die Christen, sondern ebenso die Muslime beunruhigt: «Deswegen haben wir beschlossen, das Geld zu sammeln.» Durch die Zusammenarbeit werde die Verbundenheit zwischen den beiden Religionen gestärkt. Diese feiern auch die jeweiligen Feiertage gemeinsam. Die Glocke erklang das erste Mal wieder zur Neueröffnung der Kirche am orthodoxen Ostersonntag, dem 1. Mai 2016. Nur rund 60 der 600 Einwohner des Dorfes sind Christen.
Hintergrundbericht des Orientalisten und Islamkenners Heinz Gstrein
Zum Thema:
Nur zum Schutz?: Türkische Regierung verstaatlicht Kirchen
Kirche in Apostelstadt: Christliche Spuren in der Türkei
Türkei duldet kein Kreuz auf armenischer Kirche
Die Türkei und die EU – religiöse Prägungen und Machtpoker
Autor: Heinz Gstrein / Fritz Imhof
Quelle: Livenet