«Ethnische Säuberung» im Irak
Weltweite Entrüstung nach Christenvertreibung in Mossul
Die Vertreibung der Christen aus Mossul hat international heftige Kritik ausgelöst - vereinzelt auch bei Vertretern des Islam. Ein islamischer Professor wurde getötet, als er für Christen eintrat.
Die dschihadistische Terrorgruppe «Islamischer Staat im Irak und in Syrien» (ISIS) hatte am letzten Samstag ein Ultimatum gestellt: Alle Christen müssten entweder bis Mitternacht Mossul verlassen, zum Islam konvertieren oder Schutzgeld zahlen. Anderenfalls würden sie getötet. Augenzeugen berichteten, Rebellenkämpfer hätten in den vergangenen Tagen die Häuser von Christen mit einem «N» für Nassarah markiert. Dies ist der im Koran verwendete Begriff für Christen.Tausende Christen waren daraufhin am Wochenende panikartig aus Mossul in benachbarte Gebiete geflohen, um dort Schutz vor den radikalsunnitischen Kämpfern zu suchen. ISIS-Terroristen hatten nach Augenzeugenberichten vielen von ihnen Geld, Autos und allen Besitz abgenommen, den sie bei sich führten.
Ethnische Säuberung
«Dies ist ethnische Säuberung, aber niemand spricht darüber», sagte der irakische christliche Politiker Jonadam Kanna. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warnte, ISIS scheine entschlossen, «alle Spuren von Minderheitsgruppen in den Gebieten unter seiner Kontrolle im Irak zu tilgen». Insgesamt hat sich die christliche Minderheit des Landes seit Beginn des Irak-Krieges 2003 von über eine Million Menschen auf mittlerweile weniger als 400'000 dezimiert. Allein Mossul hatte einst eine der grössten christlichen Gemeinden im Irak. Vor der Militärintervention der USA 2003 lebten dort etwa 50'000 Christen. Die Metropole im Nordirak galt einst als «Rom des Orients». Wie im ganzen Nahen Osten blühten hier christliche Gemeinden lange vor der islamischen Expansion. Vor allem die Chaldäer sowie Syrisch-Orthodoxe und syrische Katholiken, prägten mit ihrer Kultur und ihrem Glaubensleben die Handelsmetropole an den Karawanenrouten zwischen Indien und Europa, Anatolien und Persien. In Mossul lebten zuletzt nur noch 5000 Christen.
Kritik von der UNO – und von Muslimen
Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon bezeichnete die «systematische Verfolgung von Minderheiten im Irak» als ein mögliches «Verbrechen gegen die Menschlichkeit». Das Vorgehen der ISIS hat auch innerhalb der Gemeinschaft der Muslime Empörung ausgelöst. Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) nannte die Verfolgung der Christen im Irak ein «unerträgliches Verbrechen» und bot humanitäre Hilfe für die Vertriebenen an. Die Vertreibungen stünden im Widerspruch zum Islam und seinen Prinzipien, «die zu Toleranz und friedlichem Zusammenleben auffordern». Die OIC ist ein Zusammenschluss von 57 Staaten mit hohem muslimischem Bevölkerungsanteil.
Muslim getötet, weil er für Christen eintrat
Viele Muslime im Irak haben sich mit den Christen solidarisiert und benutzen dazu den Buchstaben «N» auf Bannern und auf Facebook. Sie nennen die Kampagne «Ich bin Iraker, ich bin Christ» und demonstrierten zum Beispiel vor einer chaldäischen Kirche in Bagdad.
Warum schweigt die Türkei?
Sowohl die islamischen Politiker im Irak als auch Saudi-Arabien, Katar und vor allem der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan schweigen zu den Verbrechen. Anstatt sich eindeutig von dem IS-Terror zu distanzieren, betont Ministerpräsident Erdogan immer wieder, die Gewalt gegen Andersgläubige habe nichts mit dem Islam zu tun. Menschenrechts-Experten befürchten, dass sich der Terror noch ausweiten könnte. Die Islamisten verfügten jetzt über genügend Mittel – Öl, Waffen und Geld –, um ihren Kampf weiterzuführen. Nächstes Ziel könnte die noch starke christliche Minderheit im Libanon sein.
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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / idea.de / Deutsche Welle