«Gott ist grösser»
Überleben helfen und Gott reflektieren im Südsudan
Die Jahre des Krieges sind für den
Südsudan vorbei. Doch noch fehlt es an vielem – das Schweizer Werk «Medair» steht
der Bevölkerung bei. «Vor allem anderen möchten wir
durch unsere Arbeit Gottes Liebe reflektieren und verzweifelten Menschen
Hoffnung bringen», erklärt Joshua Eberle, stellvertretender Logistik-Leiter im Südsudan,
im Interview mit Livenet.Joshua Eberle, was
genau ist im Südsudan in den letzten Jahren passiert?
Joshua Eberle: Der Südsudan wurde 2011 von seinem
nördlichen Nachbarn Sudan unabhängig. Im Vorfeld herrschten viele Jahre lang
Konflikte. Nach einer kurzen Phase der Stabilität brach 2013 ein Bürgerkrieg
aus. Zusätzlich ist das Land auch von Dürren stark betroffen. All diese Umstände
führen dazu, dass die grundlegendsten Nahrungsmittel meist kaum verfügbar sind,
obwohl der Südsudan eigentlich über viel Agrarland verfügt.
Ungefähr vier Millionen Menschen, also ungefähr ein Drittel der Bevölkerung, wurden aufgrund des Bürgerkriegs vertrieben und leben nun in Flüchtlingslagern der Nachbarländer. 2018 beendete ein Friedensabkommen die weit verbreiteten Kämpfe. Am 22. Februar 2020 konnte eine Einheitsregierung aus Vertretern von Opposition und Regierung gebildet werden. Noch dauert die Notlage jedoch an. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung benötigt humanitäre Hilfe. Das Land ist stark unterentwickelt. Die Entwicklung der Infrastruktur oder wichtige Dienstleistungen wie beispielsweise die Stromversorgung wurden selbst in der Hauptstadt Juba kaum vorangebracht. Im Index für menschliche Entwicklung 2019 belegt der Südsudan den viertletzten Platz unter 189 Ländern. Diese Situation betrifft jeden Aspekt des täglichen Lebens: Es herrscht Mangel an Nahrungsmitteln, an Zugang zu sauberem Trinkwasser und auch Gesundheitsdienste sind kaum verfügbar. Ein Jahr nach dem Friedensabkommen konnte endlich wieder Getreide angebaut werden. Ende 2019 verursachten jedoch überdurchschnittlich starke Regenfälle kurz vor der Erntezeit schwere Überschwemmungen. Ernten, Vieh, Häuser – die wieder aufgebauten Lebensgrundlagen –, alles wurde zerstört. Eine Zunahme der Unterernährungsraten in der kommenden «mageren Jahreszeit» von Mai bis Juli ist absehbar.
Was tut Medair im
Südsudan?
Der Südsudan
befindet sich in einer chronischen humanitären Krise – nicht nur aufgrund des Konflikts,
sondern damit zusammenhängend wegen des Mangels an Gesundheitsdiensten und der
hohen Ernährungsunsicherheit. Medair fokussiert sich auf die medizinische Versorgung
in betroffenen Gebieten, bietet Therapie und Nachsorge für unterernährte
Menschen an, schafft verbesserten Zugang zu sauberem Wasser, sanitären
Einrichtungen, stellt Notunterkünfte bereit und verteilt wichtige
Haushaltsgegenstände. Unser Team besteht aus Ärzten, Krankenschwestern und
Hebammen, Ingenieuren und Ernährungsexperten. Wir unterstützen jedes Jahr mehr
als 350'000 Menschen. Unsere Mitarbeiter stammen hauptsächlich aus dem Südsudan
und arbeiten in ihren eigenen Gemeinschaften mit Mitgliedern unseres
internationalen Teams zusammen. In unserem Zentrum für reproduktive Gesundheit
in Renk bringen Hebammen jedes Jahr über 1'000 Babys zur Welt und betreuen
Frauen während der Schwangerschaft und nach der Geburt. An 40 Standorten
behandeln wir akute Unterernährung bei Kindern unter fünf Jahren und
schwangeren und stillenden Frauen.
Welchen Unterschied
macht Medair an den betroffenen Standorten?
Wir leisten
Nothilfe in vernachlässigten Regionen, welche oft schwer erreichbar sind. Aus
diesem Grund sind wir oft auch die einzige oder wichtigste Anlaufstelle im Gesundheits-
und Ernährungsbereich. An der Grenze zum Sudan ist unsere Abayok-Klinik beispielsweise die einzige
Einrichtung, in der eine Frau ihr Baby mit Hilfe einer qualifizierten
medizinischen Fachperson zur Welt bringen kann. In Aweil, im Nordwesten des
Landes, sind wir die einzige Organisation, die Unterernährung behandelt. Wir
arbeiten dort an 16 Standorten die bis zu kleinen Dörfern im weiteren Umkreis
von Aweil reichen. Wir engagieren uns zudem in der Ausbildung unserer lokalen
Partner, damit diese die Dienste in absehbarer Zeit selber weiterführen können.
Am meisten bedeutet mir persönlich jedoch, dass wir den Gemeinschaften nicht nur helfen, Krisen zu überleben. Vor allem anderen möchten wir durch unsere Arbeit Gottes Liebe reflektieren und verzweifelten Menschen Hoffnung bringen. Ich glaube, wenn wir den Menschen mit dem Respekt und in der Würde begegnen, die sie verdienen, dann fällt es ihnen leichter, sich so zu sehen, wie Gott sie sieht.
Warum wird dem Südsudan
in den Medien so wenig Aufmerksamkeit geschenkt?
Es liegt in der
Natur des Menschen, sich den Dingen bewusster zu sein, die einen direkt
betreffen. Die humanitäre Krise in Syrien liegt beispielsweise geografisch näher
an der Schweiz als ein ostafrikanisches Land. Ich erinnere mich auch gut an die
unzähligen Medienberichte über die Migrationsströme von Nordafrika über das Mittelmeer.
Doch ich habe nur wenige Berichte über die tatsächlichen Bedingungen in Ländern
wie dem Südsudan gelesen, in denen die Menschen ebenfalls leiden und unsere
Hilfe brauchen.
Wie hilft der christliche
Glaube den Menschen?
Einige unserer südsudanesischen Mitarbeiter gehören dem Stamm der «Kakwa»
an. Die Kakwa stammen aus der Region «Westäquatoria». Einer unserer Fahrer, der
zu diesem Stamm gehört, erzählte mir, dass sie oft «Ngun Kata» sagen, wenn etwas
ungerecht erscheint. «Ngun Kata» bedeutet «Gott ist gross» oder «grösser» und
erinnert daran, dass Gott allen Dingen überlegen ist. Er vertraut darauf, dass
Gott treu ist, dass Gott seine Umstände kennt und dass seine Weisheit grösser
ist als die eigene. Mich inspiriert dieser aufrichtige Glaube und die
Tatsache, dass ein so einfacher Ausdruck helfen kann, in schweren Situationen
Frieden zu finden.
Zur Webseite:
Medair
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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet